War Leonardo da Vinci schwul?
Warum blieb Leonardo unverheiratet?
Leonardo wird in allen Quellen als überaus gutaussehend und elegant beschrieben. Auch sein Charakter galt als überaus umgänglich und unterhaltsam. Es ist daher überraschend, dass er unverheiratet blieb. Dass er schwul war, ist dabei nur eine Möglichkeit. Er könnte ebenso asexuell gewesen sein. Auch ist es möglich, dass er nicht standesgemäße und daher heimliche Affären mit Hofdamen oder Mägden gehabt hat.
Sind homosexuelle Affären Leonardos bekannt?
Es gibt keine zeitgenössischen historischen Quellen, die Leonardos Homosexualität belegen. Belegt ist ein Gerichtsverfahren im Jahr 1476 wegen Sodomie (Homosexualität). Ursache war eine anonyme Anzeige. Leonardo und andere Beteiligte wurden freigesprochen, darunter ein enger Verwandter der Florentiner Herrscherfamilie Medici. Aufgrund der Umstände handelte es sich vermutlich um eine Verleumdung, mit dem Ziel den einflussreichen Medici zu schaden, wobei Leonardo ins Kreuzfeuer geriet.
Führte Leonardo eine Beziehung mit Salai?
Leonardo nahm den Mailänder Knaben Salai als Schüler auf, als dieser ca. 10 Jahre alt war. 10-15 Jahre war ein typisches Ausbildungsalter, Leonardo nahm auch andere Schüler auf, z.B. Francesco Melzi. Beide begleiteten den Meistermaler bis zu seinem Tod. Es gibt keine zeitgenössischen historischen Quellen, die eine Beziehung von Leonardo und Salai nahelegen. Belegt ist hingegen, dass Salai mit einer Bianca de Anono verheiratet war.
Warum wird behauptet, dass Leonardo schwul war?
Leonardo war gebürtiger Florentiner. Florenz war im Mittelalter eine Republik und unterstand keinem Adelshaus. Zudem waren die Bankhäuser von Florenz im 15. Jh die größten von Europa (z.B. die Medici-Bank). Die Banken hatten viele Schuldner und daher viele Feinde. Diese Umstände führten zu Anfeindungen, auch kriegerischen.
Es ist eine für Italien typische Beleidigung, jemanden sexuell zu beleidigen (z.B. 'Cazzo'). Es kam daher in Mode den Florentinern im Allgemeinen Homosexualität zu unterstellen. "Sex wie in Florenz" haben, oder "florenzen" wurde ein gängiger Ausdruck.
Der Dichter Lomazzo war dann maßgeblich daran beteiligt, die Legende von einem schwulen Leonardo zu verbreiten. Weit nach Leonardos Tod veröffentlichte er ein Bühnenwerk, das Leonardo sagen lässt, er hätte es mit Salai getrieben. Das Werk wurde sehr populär und die Legende konnte sich halten. Obwohl es sich bei dem Theaterstück um ein fiktives Werk handelt, wird es bis heute als historische Quelle angegeben (vgl. Frank Zöllner; Leonardo).
Außer Lomazzo behauptete der berühmte Psychologe Sigmund Freud in seinem Aufsatz "Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci" (1910), dass Leonardo passiv homosexuell gewesen sein muss. Sein Werk ist populärwissenschaftlich und entbehrt jeder historischen Grundlage, wie er mehrfach selbst feststellt. Es diente also vielmehr der Veranschaulichung seiner psychoanalytischen Methode, denn als Nachweis der Homosexualität Leonardos. Nichtsdestotrotz wird auch Freuds Aufsatz häufig als Beleg angeführt.
Darum war Leonardo schwul
Leonardo blieb unverheiratet und kinderlos
Ausgangspunkt aller Theorien zu Leonardos Sexualität ist die Feststellung, dass der stets als unterhaltsam, gutaussehend und klug beschriebene Leonardo, der darüber hinaus in den höchsten Kreisen Italiens und später Frankreichs verkehrte, Zeit seines Lebens ledig und kinderlos blieb. Es sind auch keine Affären bekannt geworden, noch nicht einmal Liebesbriefe sind überliefert.
Nur ist es hier zu kurz gedacht, daraus direkt eine Homosexualität abzuleiten. Daneben wäre es denkbar Leonardo
- war asexuell und lebte das tugendhafte Ideal des nach Wissen Suchenden
- war heterosexuell und führte Beziehungen zu gebildeten Adelsdamen, die für ihn als Maler aber nicht standesgemäß waren und so verheimlicht werden mussten. Es sind auch heimliche Beziehungen zu seinen Dienstmädchen möglich. Zum Beispiel bedachte er in seinem Testament auch seine Magd Maturina, über die aber nichts weiteres bekannt ist
Um nur zwei der zahlreichen Möglichkeiten zu nennen. Es wäre wünschenswert, die Kunstgeschichte würde allen Möglichkeiten mit derselben Begeisterung nachgehen.
Leonardo wurde wegen Sodomie angeklagt
Die anonyme Anzeige
1476, im Alter von 24 Jahren, wurde Leonardo wegen Sodomie angeklagt (im Kontext seiner Zeit waren hiermit homosexuelle Handlungen gemeint). Er und drei weitere Florentiner Bürger wurden anonym beschuldigt, mit einem gewissen Jacopo Saltarelli verkehrt zu haben. Die Anschuldigung wurde von Unbekannten anonym in einen für solche Zwecke aufgestellten öffentlichen Briefkasten geworfen, woraufhin es zur Anklage kam. Ein solche Anklage war nicht ungefährlich und eine Verurteilung hätte zur damaligen Zeit die Hinrichtung der Angezeigten bedeuten können. Der Inhalt des Zettels lautete:
Ein zweifelhafter Anzeigentext
Der Text wirkt insgesamt verleumderisch. Der anonyme Autor will den Jacopo mit "vielen Dutzenden Personen" verkehren gesehen haben, kann aber nur vier davon mit Namen benennen. Und dass, obwohl er offensichtlich aus der Gegend kommt, da ihm Straßen und Namen bekannt sind. Auch zu den beschuldigten Personen nennt der Text Einzelheiten, was besonders bei Baccino auffällt, dem Wamsmacher. Es stellt sich daher die Frage, warum die Liste der Beschuldigten nur so kurz ist.
Leonardos Mitangeklagter Tornabuoni
Es fällt auf, dass neben dem aufstrebenden jungen Künstler Leonardo da Vinci ein weiterer prominenter Name angezeigt wurde: Lionardo Tornabuoni. Die Tornabuoni waren eine einflussreiche Kaufmannsfamilie und eng mit einer berühmten Florentiner Familie verbunden, den Medici. Denn eine gewisse Lucrezia Tournaboni war die Mutter von Lorenzo dem Prächtigen, dem Familienoberhaupt der Medici.
Hintergrund: Leonardos Verbundenheit mit der Familie Medici
In Leonardos Heimatstadt Florenz gab es zu der Zeit zwei gegensätzliche politische Strömungen, die sich mit allen Mitteln bekämpften. Einer stark religiösen Gruppierung unter dem Einfluß der Kirche in Rom stand eine humanistische Gruppierung gegenüber, die von der reichen Bankiersfamilie Medici angeführt wurde und die seit Generationen die Geschicke der Stadt lenkte. Aufgrund des stetig wachsenden Einflusses in der Republik Florenz drängten die Medici zunehmend in die italienische Politik. Wie viele andere Florentiner Künstler war Leonardo ein Parteigänger der einflussreichen Medici, ebenso wie sein Vater, der als Notar für sie tätig war.
Daneben waren die Medici Förderer von modernem und fortschrittlichen Denken, frei von den sonst geltenden kirchlichen Dogmen. Ihre Aufträge für zahlreiche Kunstwerke haben viel zum heutigen Ruhm von Florenz als Hauptstadt der Renaissance beigetragen. Die aufgeklärten humanistischen Künstler aus Florenz waren daher finanziell und politisch eng mit den Medici verbunden. Dazu zählte auch Leonardos Lehrer Verrocchio, der die antike Statuensammlung der Medici betreute. Leonardo da Vinci selbst wurde von den Medici zeitlebens gefördert. Als sie 1513 schließlich erstmalig den Papst stellten, zögerten sie nicht, den zu der Zeit bereits 61-jährigen Leonardo nach Rom zu holen.
Der Machtzuwachs der Medici führte jedoch zu Konflikten mit anderen alteingesessenen Familien in Florenz. So wurde 1478, zwei Jahre nach Leonardos Anklage, bei einem Gottesdienst in der Kathedrale von Florenz ein Messerattentat auf die Medici verübt, wobei das Oberhaupt der Familie, Lorenzo de' Medici, verwundet und sein Bruder getötet wurde (Pazzi-Verschwörung). Leonardo war über deren Schicksal tief erschüttert. Berühmt ist seine Zeichnung von einem der gehängten Attentäter, Bernardo di Bandino Baroncelli, Angehöriger einer rivalisierenden Bankiersfamilie. Er wurde von den Medici gejagt, in Istanbul aufgespürt, nach Florenz verschleppt und dort gehängt, noch in seinen orientalischen Gewändern.
Es ist nicht unbedeutend, dass ein Bischof und rivalisierende Bankiersfamilien direkt am Attentat beteiligt waren. Es zeigt aus welchem politischen Lager die Gegnerschaft der Medici kam. Trotz des überstandenen Attentats wurde die Lage für die Medici zunehmend bedrohlicher und bereits 16 Jahre später wurden sie vorübergehend aus Florenz vertrieben. Eine wichtige Rolle spielte dabei der fanatische Prediger Savonarola, der die vorgebliche Amoralität und Verderbtheit der Medici anprangerte. Er ließ 1495 viele Kunstwerke, Kleidung, Möbel, Schmuck und sogar Spiegel in einem "Fegefeuer der Eitelkeiten" öffentlich verbrennen. Auch Leonardos ehemaliger Mitschüler Botticelli soll dort seine Gemälde ins Feuer geworfen haben. Erst mit der Wahl des Medici Papstes Leo X. konnte die Familie 1513 aus dem Exil zurückkehren.
Welche Folgen hatte die Anzeige für Leonardo?
Aufgrund der anonymen Anzeige wurde Leonardo vermutlich inhaftiert. Das legt das Zitat vom Anfang dieser Seite nahe ("Als ich das Kind Gottvaters machte, habt ihr mich ins Gefängnis gesteckt ..."). Es ist anzunehmen, dass der Prostituierte Saltarelli das Modell für dieses Kind Gottvaters war. Grundsätzlich war es nicht ungewöhnlich, dass Prostituierte als Modelle angeworben wurden, vor allem für Aktstudien. Denn die moralischen Vorstellungen jener Zeit verboten es den anderen Florentiner Bürgern sich nackt oder halbnackt zu zeigen. Daher musste auch das Anwerben der Prostituierten heimlich geschehen, um nicht in einen gewissen Ruf zu geraten bzw. zum Ziel von Anfeindungen zu werden. Das scheint in Leonardos Fall jedoch nicht gut geklappt zu haben.
In der Folge der Anzeige kam es zu einem Gerichtsprozess. In dem Verfahren traten viele Bürger von Florenz als Leumundszeugen für Leonardo auf, die ihn entlasteten, u.a. sein berühmter Lehrer Andrea del Verrocchio. Nach zwei Monaten und zwei Verhandlungen wurde die Anklage mangels Beweisen und Zeugen fallengelassen. Dieser Prozess wird dennoch häufig herangezogen, um die Homosexualität von Leonardo da Vinci zu belegen. Oftmals ist zu lesen, Leonardo habe vor, nach oder während des Prozesses Florenz überstürzt verlassen. Dem ist nicht so. Im Gegenteil: Er hielt sich nach dem Prozess für weitere sechs Jahre in Florenz auf und kehrte auch später immer wieder in die Stadt zurück.
Fazit zu dem Prozess
Vor dem Hintergrund der politischen Wirren wird klarer, dass die Anklage Leonardos nicht für sich allein zu betrachten ist, sondern sie war Teil einer Kampagne, die zum Ziel hatte, den Medici zu schaden und sie schließlich aus Florenz zu vertreiben. Denn sich mit einem der Sodomie angeklagten Leonardo da Vinci öffentlich zu zeigen, unschuldig oder nicht, konnte die Medici in den Augen der Öffentlichkeit diskreditieren.
Über die Anzeige eines Familienmitglieds der Tournaboni zugleich die Mutter des Medici Oberhaupts in die Nähe der Sodomisten zu rücken, sollte das Volk moralisch schockieren. Die Gegner der Medici wollten dem Volk sagen können: "Seht, was sind das für verdorbene Leute". Doch ihre Rechnung ging nicht auf. Die Pazzi-Verschwörung hatte durch das unrühmliche Attentat in der Kathedrale das Gegenteil bewirkt und das florentinische Volk auf die Seite der Medici gebracht. Zumindest für die folgenden 16 Jahre.
Leonardo trug rosa Kleider
Der anonyme Biograf Anonimo Magliabechiano, der wegen des leicht zu verwechselnden Stils öfters mit Vasari gleichgesetzt wird, erwähnt in seiner Biografie zu Michelangelo eine Begegnung von Leonardo und Michelangelo: "Er [Leonardo] trug ein rosenfarbenes Gewand, kurz bis zum Knie, obwohl zu dieser Zeit lange Kleider getragen wurden."
Diese Beschreibung des Anonimo Magliabechiano trägt heute viel zu der Vorstellung bei, Leonardo habe sich, gewissermaßen dem Stereotyp des exzentrischen, offen homosexuell lebenden, modernen Schwulen entsprechend, bevorzugt in rosa Kleidung dargestellt. Dass Leonardo der Mode der Zeit nach auch als Mann rockähnliche Kleidung trug, verstärkt diese Assoziation.
Rosa war nicht immer eine schwule Farbe
Die heutige Farbkodierung der Geschlechter kann nicht auf die Renaissance übertragen werden. Die Zuordnung von rosa als Mädchenfarbe und blau als Farbe für Jungen ist eine neumodische, die erst seit etwa dem 19. Jh. gilt (vgl. Marco Del Giudice; Pink, Blue, and Gender). Davor gab es keine Zuordnung der Farben zu den Geschlechtern, was sich an älteren Gemälden vor dem 19. Jh. gut feststellen lässt.
Also selbst wenn Leonardo stets rosa Kleidung trug, wäre das in Bezug auf seine Sexualität in der damaligen Zeit unbedeutend. Zur Zeit der Renaissance war rosa keine Mädchenfarbe und hätte von einem Mann getragen auch keine schwule Bedeutung gehabt.
Leonardo nahm nur Knaben als Schüler auf
Dass sich Leonardo stets mit jungen Männern umgab, wird ebenso als Hinweis auf Leonardos Homosexualität verstanden.
Frauen durften keine Maler werden
Die Malerwerkstätten waren männlich geprägt, da es bis in die Neuzeit hinein Frauen nicht gestattet war, eine Ausbildung als Malerin zu beginnen. Dass Leonardo ausschließlich männliche Schüler hatte, erklärt sich daher nicht aus einer sexuellen Neigung.
Die Ausbildung zum Maler begann in jungen Jahren
Es gab zur Zeit der Renaissance keine öffentlichen Schulen. Die Kinder und Jugendlichen, die das Privileg der Bildung genießen wollten, und keine reichen Eltern hatten, waren daher auf die Ausbildungsbetriebe und das Wissen derer Meister angewiesen. Das typische Alter für eine Ausbildung lag bei 10-15 Jahren. Leonardo selbst hatte seine Ausbildung zwischen 12 und 14 Jahren begonnen. Das erklärt, warum sich auch minderjährige Schüler in Leonardos Werkstatt aufhielten.
Warum Leonardo Schüler aufnahm
Der Maler Leonardo da Vinci war nicht allein tätig, sondern wie alle berühmten Künstler seiner Zeit Leiter eines großen Handwerksbetriebes. Zu der Malerwerkstatt gehörten angestellte Diener, Mägde und Gehilfen. Dass Leonardo Schüler aufnahm, brachte auch ihm zahlreiche Vorteile.
- Nachruhm
Der Meister gab den Schülern sein Wissen weiter, woraufhin diese ihn verehrten. Der Maler mehrte so seinen Ruhm und hatte Einfluss auf zukünftige Entwicklungen - Finanzielle Gründe
Der Leiter der Malerwerkstatt bekam in der Regel eine Ausbildungsgebühr und war dadurch finanziell abgesichert. Das konnte ein lohnendes Geschäft sein, wenn die Kinder reicher Gönner betreut wurden - Politische Gründe
Die politische Vernetzung, die durch die Aufnahme von Schülern entstand, ist nicht zu unterschätzen. So entstammte der Leonardo Schüler Francesco Melzi einer sehr wohlhabenden Mailänder Adelsfamilie. Als Leonardo in den Wirren der Eroberung Mailands durch die Franzosen seinen Dienstherren Ludovico Sforza verlor, konnte er eine Zeit lang auf dem Anwesen der Melzis wohnen - Praktische Gründe
Schüler konnten monotone Hilfsarbeiten, wie z.b. das Grundieren von Leinwänden oder auch Botengänge usw. übernehmen - Menschliche Gründe
Bei der Aufnahme von Schülern spielte sicherlich auch Sympathie eine Rolle. Das sich daraus langjährige Freundschaften entwickelten ist anzunehmen. Mindestens zwei seiner Schüler, Salai und Francesco Melzi begleiteten Leonardo bis zu seinem Tod
Leonardo bevorzugte männliche Aktmodelle
Die Aktzeichnungen Leonardos zeigen mehrheitlich Männer. Die wenigen weiblichen Aktzeichnungen tragen zumeist männliche Züge.
Die Kirche und Nacktheit
Das erklärt sich aus der Tatsache, dass nach damaligen kirchlichen Verständnis die Darstellung von Nacktheit nicht tugendhaft war. Wollte ein Maler nackte Menschen zeigen, ohne den Argwohn der Kirche zu erregen, war das nur für wenige religiöse Motive zugelassen, etwa die Geburt der Venus, Adam und Eva im Paradies, Jesus als Baby im Arm der Madonna oder Jesus am Kreuz.
Mangel an Aktmodellen
Um zur Übung dennoch Menschen nach der Natur malen zu können, wurden in den Künstlerwerkstätten heimlich Nacktzeichnungen von Modellen angefertigt. Das galt nur für die besseren Werkstätten, die schlechteren begnügten sich damit, antike Statuen oder andere Gemälde zum Vorbild zu haben. Leonardo kritiserte das, da so auch deren Fehler kopiert werden würden.
Aus verständlichen Gründen war es schwierig, Aktmodelle zu finden. Gelang es nicht, nahmen sich die stets männlichen Schüler der Werkstätten gegenseitig zum Modell. Das war dann der Not geschuldet und nicht zwingend einer erotischen Vorliebe. Fanden sich unter den Schülern keine Nacktmodelle, z.B. weil sie angesehenen Familien entstammten und daher auf ihren Ruf achten mussten, wurde auf Prostituierte zurückgegriffen, die als Modelle dienten. Dabei waren für Außenstehende die Besuche von männlichen Prostituierten in den männlich geprägten Künstlerwerkstätten weniger verdächtig, als Besuche weiblicher Prostituierte. Dadurch konnte vermieden werden, dass die jeweilige Künstlerwerkstatt in einen zweifelhaften Ruf geriet.
Die Parodien
Aus dem Mangel an weiblichen Modellen, erklären sich dann auch Zeichnungen von Männern mit Brüsten, die den amüsanten Vorgang der Entstehung parodieren. Denn die meist männlichen Modelle wurden auch als Vorlage für Zeichnungen von Frauen benutzt. Entweder wurden sie als Frauen verkleidet oder es wurden ihren Zeichnungen, der Fantasie nach, weibliche Merkmale hinzugefügt. Außerdem war es vor allem in Italien üblich, das Werk von Kollegen dadurch zu verballhornen, indem es sexualisiert wurde. Ein Werk das nicht gefiel, wurde zum Beispiel mit einem erigierten Penis übermalt oder ähnliches.
Leonardo führte eine schwule Ehe mit Salai
Das ist die These: Leonardo soll den hübschen 10-jährigen Salai aus einem homoerotischen Bedürfnis heraus bei sich aufgenommen haben, als er 38 Jahre alt war. Als Salai dann älter wurde, wandte sich Leonardo wider Erwarten nicht von ihm ab, obwohl Salai erwachsen, großspurig und unbegabt war und ihn überdies auch noch bestahl. Denn trotzdem liebte Leonardo Salai und lebte mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Als Leonardo starb, hinterließ er Salai das gemeinsame Haus in Mailand. Salai überwand den Tod Leonardos nicht und starb fünf Jahre später in einer gewaltvollen Auseinandersetzung.
Wer war Salai?
Salai (arab./ital. 'kleiner Teufel, Kobold') war der Rufname von Gian Giacomo Caprotti, den Leonardo ihm im Alter von ca. 14 Jahren gab. Er wurde um 1480 in Oreno bei Monza geboren. Über Salais Familie ist nur wenig bekannt. Er war der Sohn von Pietro und einer Caterina, die zufällig denselben Vornamen trug, wie die Mutter Leonardos. Der Leonardo Biograf Charles Nicholl vemutet aufgrund der Bezeichnung von Salais Vater in einem juristischen Dokument, als "Pietro, Sohn des verstorbenen Herren Johannes", dass Salais Großvater etwas Land und einen gewissen Status besessen haben muss. Jedenfalls war Pietro bereit, Leonardo für die Aufnahme Salais zu bezahlen und muss daher etwas Geld besessen haben. Außerdem hatte Salai noch zwei Schwestern.
Laut Vasari soll Leonardo Salai 1490 noch im Knabenalter als Schüler aufgenommen haben: "Während seines Mailänder Aufenthaltes nahm Leonardo einen Jüngling dieser Stadt, Salai, zu seinem Schüler". Leonardo selbst notiert sich: "Jacomo [Giacomo] kam zu mir ins Haus am Magdalenentag [22. Juli] 1490, 10 Jahre alt".
Welche Aufgaben Salai in der Werkstatt genau übernahm, ist nicht bekannt. Denkbar ist zunächst eine Anstellung als Dienstbote, Laufbursche und Modell. Sicher stand auch eine Ausbildung als Maler im Raum. Es gibt Dokumente, die wichtige Botengänge von Salai belegen, z.B. für Leonardos Briefwechsel mit Isabelle d’Este oder für die heikle Nachfrage nach einer ausgebliebenen Gewässerschenkung bei den französischen Besatzern in Mailand (1508). Salais Schaffen als Maler gilt hingegen als unbedeutend. Es wird angenommen die „Monna Vanna“ wäre sein Werk (oben), überhaupt kann man ihm kein Gemälde zweifelsfrei nachweisen.
Salai starb 1524 eines gewaltvollen Todes, fünf Jahre nach Leonardos Tod. Der Grund der Auseinandersetzung ist unbekannt. Salai war mit einer Bianca de Anono verheiratet, wie aus dem Schreiben des Notars Crevenna vom 01.04.1525 bekannt ist. Dieser vermittelte in einem Erbstreit zwischen Salais Frau und seinen beiden Schwestern und stellte an diesem Tag eine Liste von Salais Nachlass auf. Salai wurde nur 44 Jahre alt und hinterließ keine Nachkommen.
Salai, der Dieb
Salais Charakter galt anfangs als rebellisch. Im Juli 1491, etwa 1 1/2 Jahre nach Salais Aufnahme in seine Werkstatt, notierte Leonardo sich in einer berühmten Auflistung welch finanzieller Schaden ihm durch Salai entstanden war. Vermutlich hatte er vor, sich den Betrag von Salais Vater erstatten zu lassen. Einige Autoren, so auch Charles Nicholl, lesen aus Leonardos Anklage unverständlicherweise einen homoerotisch-zärtlichen Grundton heraus:
"Am zweiten Tag danach ließ ich ihn zwei Hemden, eine Hose und ein Wams zuschneiden, und als ich das Geld für diese Sachen beiseite legte, stahl er dieses Geld aus meiner Tasche, und es gelang mir nie, ihn zu einem Geständnis zu bewegen, obwohl ich fest davon überzeugt war. (4 Lire)
Am folgenden Tag ging ich zu einem Abendessen bei Giacomo Andrea, und der genannte Giacomo aß inzwischen für zwei und richtete Schaden für vier an. Denn er zerbrach drei Krüge, verschüttete den Wein, und danach ging er mit zum Abendessen, wo ich [Satz unvollendet].
Weiter: am 7. September stahl er dem Marco, der bei mir wohnte, einen Griffel im Wert von 22 Soldi, der aus Silber war, und stahl ihn aus seiner Werkstatt. Nachdem der besagte Marco lange danach gesucht hatte, fand er ihn in der Truhe des besagten Giacomo versteckt. (1 Lira)
Am 26. Januar des folgenden Jahres, als ich mich im Haus von Messer Galeazzo da Sanseverino aufhielt, um sein Turnierfest vorzubereiten, und als sich einige Pagen entkleideten, um einige Kleider von Wilden anzuprobieren, die bei diesem Fest auftraten, näherte sich Giacomo der Geldbörse eines von ihnen, die mit anderen Kleidern auf dem Bett lag, und nahm das Geld heraus, das er darin fand. (2 Lire, 4 Soldi)
Außerdem: Nachdem ich von Meister Agostino von Pavia in dem besagten Haus ein Geschenk von türkischem Leder für ein Paar Stiefel erhalten hatte, stahl Giacomo es mir im Laufe des Monats und verkaufte es für 20 Soldi an einen Schuster, worauf er, wie er mir selbst gestand, mit dem Geld Aniskuchen kaufte. (2 Lire)
Als Gian Antonio am 2. April einen silbernen Griffel auf einer seiner Zeichnungen liegen ließ, stahl dieser Giacomo ihm den Griffel, der 24 Soldi wert war. (1 Lira, 4 Soldi)"
Leonardo fasst den damaligen Charakter Salais in einer Randnotiz der Aufstellung mit vier Worten zusammen: "diebisch, verlogen, trotzig, gefräßig". Der Schaden der Leonardo durch die Aufnahme Salais entstanden war, betrug also mehr als 10 Lire und 8 Soldi. In heutiger Währung entspricht dies einem Betrag von über 4000,- Euro (Die Umrechnung wird im Artikel "Leonardos Finanzen" erklärt). Salais diebisches Verhalten hielt wohl mehrere Jahre an, denn noch sechs Jahre später notiert sich Leonardo am 4.4.1497 in einer erneuten Aufstellung der Unterhaltskosten: "Salai stiehlt Geld". Doch scheint er ihm sein Verhalten schließlich verziehen zu haben, da Salai bis kurz vor Leonardos Tod bei ihm blieb.
Leonardos Großzügigkeit
Zusätzlich zu den genannten Kosten macht Leonardo noch weitere 32 Lira an Kosten geltend (ca. 13.000 Euro), die für sonstige Bekleidung Salais, unter anderem 24 paar Schuhe, ausgegeben wurden. Diese Ausgabe muss im Kontext gesehen werden. Leonardo war Mitglied des Hofes von Mailand und er konnte seine Boten nicht im ärmlichen Zwirn zum Herzog schicken. Darüber hinaus war Leonardo dafür bekannt, sich nur in edlen Stoffen zu kleiden, und die Mitglieder seiner Werkstatt ebenso auszustatten. Er hat also nicht nur Salai in der Art eingekleidet. Unklar ist inwieweit der Vater Salais vorab von diesen zusätzlichen Kosten informiert war, und ob er sie je beglichen hat.
Leonardos Leben mit Salai
Es existieren keine Dokumente, die eine innige persönliche Beziehung der beiden nahelegen. Dass Leonardo den zehnjährigen Knaben zu sich nahm, kann mit sozialer Verantwortung, Lehreifer oder Mitgefühl für die Lebensumstände des bis dahin vermutlich in Armut lebenden Jungen erklärt werden. Dass Salai bis zu Leonardos Tod dessen Schüler blieb, ist nicht ungewöhnlich, denn auch Francesco Melzi blieb solange bei ihm. Der adelige Melzi aus den vornehmsten Kreisen Mailands war ebenso als Knabe Leonardos Schüler gewordem.
Salai war kein herausragender Maler und es wäre ihm sicher schwer gefallen in einem Umfeld starker Konkurrenz ein Auskommen zu erwirtschaften. So könnte Salai keine andere Wahl gehabt haben, als weiter in den Diensten Leonardos zu stehen. Doch diese Mitarbeit in Leonardos Werkstatt als eheähnliche Gemeinschaft zu verstehen und ihr eine sexuelle Komponente zu geben, scheint willkürlich. Zumindest ist dies nicht belegbar.
Leonardos Testament – Die großzügige Schenkung an Salai
Die angeblich amouröse Beziehung von Leonardo und Salai soll eine großzügige Schenkung belegen, die in Leonardos Testament bestimmt wurde. Wird das vollständige Testament gelesen, wird klarer, dass Leonardo Salai kein großzügiges Erbe einräumte. Er schenkt ihm dasselbe, was er auch seinem Diener Vilanis schenkte. Der Hauptteil des Vermögens ging an Melzi und Leonardos Geschwister. Hieraus lässt sich vermutlich eher ableiten, in welcher Beziehung Leonardo und Salai standen.
„[Leonardo da Vinci] vermacht […] seinem Diener Battista de Vilanis für immer und ewig die Hälfte, d.h. die Hälfte des Gartens, den er vor den Toren von Mailand besitzt, und die andere Hälfte desselben Gartens seinem Diener Salai; In diesem Garten hat der besagte Salai ein Haus errichtet und gebaut, das ebenfalls dem besagten Salai, seinen Erben und Nachfolgern für immer gehören und verbleiben soll, als Entschädigung für die guten und willkommenen Dienste, die ihm seine Diener, die besagten de Vilanis und Salai, von nun an und für immer geleistet haben.“
Der "Garten vor den Toren von Mailand" war eine Schenkung des Mailänder Herzogs an Leonardo (1497), zwei Jahre vor dessen Sturz durch die Franzosen. Es ist bezeichnend, dass sowohl Vilanis als auch Salai das Mailänder Grundstück gleichberechtigt erben und beide als Diener bezeichnet werden. Die "guten und willkommenen Dienste" werden von vielen Autoren als sexuelle Gefälligkeiten Salais ausgelegt. Dabei wird häufig der Kontext des langjährigen Angestelltenverhältnisses, sowohl zu Salai, als auch zu Vilanis weggelassen. Die "guten und willkommenen Dienste" sind dann auch nicht vielmehr als eine Höflichkeitsfloskel, gerichtet an beide, Vilanis und Salai, im Kontext einer großzügigen Schenkung und bar jeder sexuellen Komponente.
Gleichwohl hat Salai aufgrund der jahrzentelangen Gefolgschaft eine besondere Stellung innegehabt, denn er hat einige wertvolle Gemälde besessen, die in dem erwähnten Rechtsstreit nach seinem Tod vergleichsweise hoch bewertet werden. Es wird vermutet, dass es sich um einige Originale Leonardos handelte. So soll sich unter anderem die Mona Lisa in seinem Besitz befunden haben ("1 Gemälde, nach hinten gerückte Frau, genannt La Joconda, 100 Scudo", aus den notariellen Akten von Pietro Paolo Crevenna: Salais Nachlass).
Die Mona Lisa als Porträt Salais
Oft ist zu lesen, der Mann Salai könnte für das Frauenporträt "Mona Lisa" Modell gestanden haben. Ein Hinweis darauf soll der Name Mona Lisa sein, der ein Anagramm zu „Mon Salai“ ist (frz. „Mein Salai“). Allerdings hat Leonardo das Gemälde nie so benannt, der erste, der das Werk Mona Lisa nennt ist Giorgio Vasari. Im Umfeld Leonardos wurde das Porträt vermutlich Gioconda genannt.
Außer "Mon Salai" sind auch "Nom Alias" (frz. ‚Aliasname‘) und "Mon Alias“ (frz. ‚Mein Alias‘) sinnvolle Anagramme zu Mona Lisa. Dann hätte Leonardo sich selbst gemeint. Und das nur, wenn angenommen wird, dass die Mona Lisa nicht die Mon(n)a Lisa del Giocondo zeigt.
Weitere Porträts und Zeichnungen von Salai
Es wird auch behauptet, Salai habe für "Johannes der Täufer" Modell gestanden. Wer eine Ähnlichkeit im Gesicht der Mona Lisa und von Johannes dem Täufer erkennt, darf glauben, dass Salai für beide Gemälde Modell stand. Was die Sache erschwert, ist der Umstand, dass bis heute unklar ist, wie Salai überhaupt aussah.
Giorgio Vasari: An Salai fand Leonardo großes Gefallen
Giorgio Vasari - Der erste Kunsthistoriker
Vasaris Künstlerbiografien gelten heute als Geburtsstunde der Kunstgeschichte. Für das Zeitalter der Renaissance war sein Werk lange Zeit das Standardwerk und wird bis heute am meisten zitiert. So auch Vasaris Biografie über Leonardo. Sie erschien in zwei Auflagen, eine erste von 1550 und eine zweite inhaltlich erweiterte von 1568, also mehrere Jahrzehnte nach Leonardos Tod (1519). Vasari selbst war erst acht Jahre alt, als Leonardo starb.
Vasari gehörte zum direkten Freundeskreis der bekannten italienischen Adelsfamilie Medici. Er war mit einigen Abkömmlingen der Familie aufgewachsen und später ein bedeutender Maler und Architekt in Florenz. So war er ab 1555 verantwortlich für den Umbau des Stadtparlaments von Florenz (Palazzo Vecchio), wobei er das von Leonardo begonnende, aber unvollendete Wandgemälde "Schlacht von Anghiari" übermalte oder zumauern ließ. Das Gemälde gilt seitdem als verschollen. Außerdem war Vasari leitender Architekt der Florentiner Uffizien. Aufgrund seiner, sowie Leonardos enger Verbindung zu den Medici ist anzunehmen, dass seine Aussagen bezüglich Leonardo da Vinci besonders glaubwürdig sein müssen. Dennoch gelten einige seiner Aussagen inzwischen als widerlegt.
Eine pikante Formulierung in Leonardos Biografie
Giorgio Vasari berichtet in seiner Leonardo Biografie von 1550 von dem Knaben Salai (* um 1480), den Leonardo um 1490 bei sich aufnahm und an dem er ein "absonderliches Vergnügen" fand. In einer zweiten späteren Version von 1568 hat Vasari die Stelle umformuliert:
"Während seines Mailänder Aufenthaltes nahm Leonardo einen Jüngling dieser Stadt, Salai, zu seinem Schüler. An dessen Grazie und Schönheit, besonders an seinem krausen Lockenhaar, fand Leonardo großes Gefallen. Er lehrte ihn viele Dinge in der Kunst, und manche Gemälde, die in Mailand Salai zugeschrieben werden, sind von Leonardo überarbeitet".
Es braucht schon etwas Wagemut, aufgrund dieser Aussage Leonardos homosexuelle Neigungen festzustellen. Vasari erwähnt Salai nur kurz mit diesen Sätzen. Sie taugen insofern nicht als Nachweis einer Homosexualität Leonardos. Dennoch lässt sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Formulierung finden "... wie bereits Vasari feststellte ..." oder ähnliches. Vasaris jahrhundertelanger Einfluss auf das kunsthistorische Bild von Leonardo da Vinci kann nicht überschätzt werden.
Lomazzo: Leonardo trieb es mit Salai
Ebenso wie Vasari wird auch Lomazzo häufig zitiert, wenn es um die angenommene Homosexualität Leonardos geht. Lomazos Buch "Scritti sulle arti" enthält mit den fragmentarisch erhaltenen "Gli Sogni e Raggionamenti" verschiedene Dialoge, die vermutlich als Theaterstücke konzipiert waren. In einem dieser fiktiven Dialoge lässt er Leonardo und den antiken Bildhauer Phidias von der männlichen Liebe sprechen ('L'Amore Masculino'). Phidias fragte darin den fiktiven Leonardo, ob er es mit seinem Schüler Salai getrieben habe und ihn darauf antworten lässt, "nur allzu oft". Obwohl es sich um ein fiktives Werk handelt, wird Lomazzo als historische Quelle angeführt, wenn es um den Nachweis der Homosexualität Leonardos geht.
Wer war Lomazzo?
Giovanni Paolo Lomazzo (1538-1600) war ein überaus talentierter Maler im Stil Caravaggios. Er kam mit Franceso Melzi in Kontakt, und ließ sich von ihm vermutlich auch über Leonardo erzählen. Melzi war der letzte Schüler Leonardos, sein Testamentsvollstrecker und im Besitz sämtlicher Notizbücher Leonardos. Der Maler Lomazzo konnte von dem so erlangten Wissen nicht mehr profitieren, denn er erblindete mit ca. 30 Jahren, etwa um die Zeit als Melzi starb (1570). Er gab die Malerei auf und trat seitdem als Kunsttheoretiker hervor.
Auszug des fiktiven Dialoges zwischen Leonardo und Phidias
"Leonardo: [...] Salai, den ich zeitlebens mehr als alle anderen liebte, und es waren ihrer etliche.
Phidias: Triebst du mit ihm vielleicht? Was den Florentinern so gut gefällt, das Spiel von hinten?
Leonardo: Nur allzu oft! Bedenke, er war ein wunderschöner Junge, vornehmlich mit fünfzehn Jahren.
Phidias: Schämst du dich nicht, das zu sagen?
Leonardo: Wieso schämen? Nichts ist des Lobes würdiger bei den Tugendsamen als dies. Und dass dies wahr ist, werde ich dir mit guten Gründen beweisen".
Dass es in Lomazzos Absicht lag Leonardo zu diffamieren, ist gut an der letzten Zeile des Zitats zu erkennen. Leonardo verwendete in seinen wissenschaftlichen Notizen oftmals Redewendungen der Art 'wie ich mit guten Gründen bewiesen habe' oder ähnliches. Dass Lomazzo diese Wortwahl übernimmt, um Leonardo 'mit guten Gründen beweisen' zu lassen, dass im Hinblick auf die Tugend nichts mehr zu loben sei, als die Päderastie, erhöht den Spottwert des Werkes erheblich. Macht aber zugleich den eindeutig diffamierenden Charakter dieser Persiflage klar.
Dass dieses fiktionale literarische Spottwerk als Beleg für Leonardos Homosexualität nicht ausreichend sein kann, versteht sich von selbst. Da Leonardo bereits 1519 starb, kann der 1538 geborene Lomazzo nur Hörensagen weitergegeben haben. Fürsprecher von Leonardos Homosexualität führen an, er hätte dies von Melzi erfahren.
Ob Melzi, der Leonardo verehrte und sein Andenken bewahren wollte, dem Lomazzo tatsächlich eine solche Information gegeben hätte, darf bezweifelt werden. Homosexualität galt zu der Zeit als schwerwiegendes Vergehen, konnte sogar mit dem Tod bestraft werden und hätte auch über den Tod hinaus zu einer Ächtung Leonardos geführt.
Ein populistischer Erfolg
Viele Kunsthistoriker übernahmen in der Folge das Narrativ eines homosexuellen Leonardos. Selbst einer der bekanntesten gegenwärtigen Leonardo Experten, Frank Zöllner, unterstellt mit Verweis auf Lomazzo Leonardo homosexuelle Neigungen "als fast selbstverständlicher Teil seines Genies". Direkt im 4. Satz seines weit verbeiteten Buches aus dem Taschen Verlag. Die Selbstverständlichkeit mit der hier ein weltweit anerkannter Kunsthistoriker die These von Leonardos Homosexualität mit einer fiktiven Erzählung begründet überrascht.
Insgesamt ist dieser Vorgang ein gutes Beispiel dafür, wie sich fiktive Erzählungen als Wahrheit durchsetzen können, wenn sie
- nur oft genug von vermeintlichen Experten wiederholt werden
- das Publikum keine Vorkenntnisse hat und sich auf Erzählungen anderer verlassen muss oder verlassen will
Lomazzos Zeitgenossen konnten sich Leonardos Gemälde nicht im Museum anschauen, auch hatten sie keinen Zugang zu seinen Schriften. Diese waren sämtlichst im Privatbesitz einiger Weniger. Aus Mangel an verlässlichen Aussagen mussten sie daher von Leonardo glauben, was ihnen von Dritten über ihn erzählt wurde, hier von Lomazzo. Welche Absicht der erblindete Maler Lomazzo mit seinem populär-literarischen Werk verfolgte ist heute unklar.
Sigmund Freud: Leonardo war passiv homosexuell
Sigmund Freud hat sich 1910 im Rahmen der von ihm entwickelten Psychoanalyse mit der Sexualität Leonardos im Speziellen und mit der von Genies im Allgemeinen befasst. Sein Werk "Eine Kindheitserinnerung Leonardo da Vincis" genügt jedoch keinem wissenschaftlichen Anspruch, da er keine Quellen für seine Behauptung anführen kann, Leonardo sei ein passiv-Homosexueller. Überraschenderweise stellt er das auch eingangs fest. Und so beruht die Herleitung seiner Theorie dann lediglich auf sich gegenseitig bedingenden Annahmen.
Symbolträchtig begeht er dann auch einen folgenschweren Übersetzungsfehler, indem er das italienische "nibio" in einem Zitat Leonardos fälschlicherweise mit "Geier" statt mit "Milan" übersetzt. Die folgende Argumentation einer Mutterliebe, die bis in die Mythologie Ägytens zurückführt, wo der Geier ein Symbol der Mütterlichkeit war, führt folglich ins Leere.
Freuds Werk zu Leonardo ist für sich genommen kaum mehr als der Versuch die Psychoanalyse auf populärwissenschaftliche Art und Weise bekannt zu machen. Ein wissenschaftlicher Nachweis der Homosexualität Leonardo da Vincis gelingt aus Mangel an belastbaren Quellen notwendigerweise nicht.
War Leonardo nun schwul oder nicht?
Wie Leonardo da Vinci im tiefsten Herzen wirklich empfand, lässt sich über 500 Jahre nach seinem Tod wohl nicht mehr feststellen. Der Frage kann sich jedoch angenähert werden, indem alle Punkte untersucht werden, die von den Befürwortern der Homosexualität Leonardos angeführt werden. Und wie gezeigt wurde, gibt es keine zwingenden Nachweise für eine Homosexualität Leonardo da Vincis.
Sogar das Gegenteil lässt sich feststellen: Sämtliche Behauptungen die Leonardos Homosexualität untermauern sollen, sind bei näherer Untersuchung Fehlinterpretationen (rosa Kleider) oder absichtlich gestreute Falschinformationen (Lomazzo). Hinsichtlich einer Homosexualität Leonardos bleibt der Eindruck einer Desinformationskampagne. Über deren Gründe kann nur spekuliert werden.
Leonardos Sexualität
Unabhängig von der Suche nach Beweisen für Leonardos vorgebliche Homosexualität kann die Frage nach der Sexualität Leonardos im Allgemeinen gestellt werden. Auch wenn dies abseits der angenommenen Homosexualität Leonardos selten thematisiert wird, hat er sich in seinen Schriften dazu geäußert.
Es sollen nun vier Zitate genannt werden, die Leonardo erstens als jemanden zeigen, der sich vor Sex ekelte, und daraus abgeleitet ein asexueller Mensch gewesen sein muss. Zum zweiten kann ein anderes Zitat Leonardos so verstanden werden, dass er inzestuöse Gefühle für seine Mutter und seine Schwestern empfand. Ein drittes kann Leonardo als Opfer eines homosexuellen Kindesmissbrauchs zeigen, der die Ursache für spätere homosexuelle Neigungen gewesen ist. Und schließlich kann eine kurze Notiz im Codex Atlanticus so gedeutet werden, dass Leonardo eine heimliche Affäre mit Cecilia Gallerani hatte, der "Dame mit dem Hermelin" und kurzzeitigen Mätresse seines langjährigen Dienstherren Ludovico Sforza.
Es kann nun aber nicht alles gleichzeitig richtig sein. Leonardo kann nicht im selben Moment asexuell, heterosexuell, inzestuös oder homosexuell geliebt haben. Diese vier Zitate sollen demonstrieren, dass Leonardos Gedanken von Widersprüchen geprägt waren und er so vielfältig dachte, dass es heute vermessen scheint, verlässliche Aussagen über sein Sexualleben zu treffen. Zumindest so lange, wie Leonardos eigene Aussagen, ebenso wie die wenigen gesicherten biografischen Fakten, zuviel Freiraum für Interpretationen lassen.
Der asexuelle Leonardo
Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeit von Aussagen zu Leonardos Sexualität, ist dieses Leonardo Zitat aus dem Codex Windsor. Einige Autoren leiten daraus ab, dass Leonardo Sex als etwas ekelhaftes empfand.
Andere verstehen das Zitat im Kontext einer anatomischen Studie. Das Zitat befindet sich auf einem Blatt mit anatomischen Zeichnungen von Händen. Die Zeichnung und somit das Zitat sind also während oder kurz nach der Sezierung einer Leiche entstanden. In diesem Moment müssen Ekel und Schönheit nah beieinander gelegen haben, was der gedankliche Hintergrund des Zitats gewesen sein muss. Daneben ist es ein grundsätzlicher Charakterzug Leonardos sich über die Widersprüche des Lebens in all seinen Facetten zu amüsieren.
Leonardos Schriften sind, wie hier, häufig nur Momentaufnahmen seines Denkens und spiegeln dort nur flüchtige Gedanken wider, wo sie nicht veröffentlicht werden sollten. Auch sind oftmals die Blätter nur noch selten in ihrer originalen Reihenfolge, so dass der Zusammenhang ihrer Formulierung unklar bleibt. Und schließlich wurden die Blätter eifrig gefälscht, was auch hier finale Aussagen erschwert. So kann aus den losen Zitaten und einzelnen Blättern kaum die vollständige Gedankenwelt Leonardos hergeleitet werden.
Der inzestuöse Leonardo
Leonardo hat zahlreiche Prophezeiungen hinterlassen, die nur auf den ersten Blick "Prophetie" sind, wie er sie selbst betitelt. Vielmehr handelt es sich dabei um Rätsel, die zu feierlichen Anlässen zur Unterhaltung der Gäste vorgetragen werden sollten. Leonardo schlägt vor, die "Prophezeiungen" mit verrückter Stimme vorzutragen, vermutlich sollte das den Unterhaltungswert erhöhen. Die Rätsel waren oft ins Phantastische übersteigert und sollten bei ihrem Vortrag für Erstaunen, aber auch Grusel und Entsetzen sorgen, die Auflösung der Rätsel schließlich für größte Freude. Sie waren als unterhaltsamer Zeitvertreib gedacht, der aus der Uneindeutigkeit in der Beschreibung von Dingen entsteht, wenn Details weggelassen werden. Es sind über 100 dieser Rätsel erhalten, hier weitere Beispiele.
"Das Wasser des Meeres wird sich über die Gipfel der Berge erheben und vom Himmel herab auf die Häuser der Menschen fallen." – Wolken und Regen
oder
"(Sag es hastig oder als wärst du verrückt) Viele werden damit beschäftigt sein, von dem etwas wegzunehmen, das um so mehr wächst, je mehr man wegnimmt." – Eine Grube.
Der missbrauchte Leonardo
Dieser Satz ist einer der berühmtesten persönlichen Sätze Leonardos. Am meisten zu seiner Verbreitung beigetragen hat sicherlich der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud. Er war fasziniert von Leonardo da Vinci und widmete ihm den wissenschaftlichen Aufsatz "Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci". Die Kindheitserinnerung des Leonardo und damit der Aufhänger seines Aufsatzes ist eben jenes Leonardo Zitat. Freud kommt ohne lange Vorrede auf den Punkt und gibt dem Zitat eine sexuelle Note, indem er den Schwanz des Milans als phallisches Symbol zu erkennen glaubt, denn er "entspricht der Vorstellung einer Fellatio, eines sexuellen Aktes, bei dem das Glied in den Mund der gebrauchten Person eingeführt wird".
Freud relativiert die Aussage später im Text, als klarer wird, dass er Leonardo nur als Vehikel für seine Methode der Psychoanalyse missbraucht, doch der Schaden ist bereits angerichtet. Weniger psychologisch geschulte Leonardo Biografen wie Charles Nicholl lassen sich mit Freuds Sätzen im Rücken dazu verleiten, ihr ganz eigenes Bild von Leonardos Kindheit zu malen. Niccholl spricht, ohne Belege dafür zu nennen, davon, dass Leonardo nicht bei seinen Großeltern aufgewachsen ist, wie aus den Steuerunterlagen ersichtlich ist. Sondern er konstruiert die Theorie, Leonardo sei bei seinem Stiefvater aufgewachsen. Dieser soll zudem äußerst gewalttätig gewesen sein, was er an einer Gerichtsakte festmacht, die ihn als Zeugen einer Schlägerei benennt und schließlich impliziert er, dass dieser Stereotyp des gewalttätigen Stiefvaters Leonardo auch sexuell missbraucht habe, was Leonardo dann zu obigen Eingeständnis seines Missbrauchs bewogen haben soll, freilich seinem literarischen Genie entsprechend verklausuliert.
Beide, Freud und Niccholl, halten es für völlig ausgeschlossen, dass sich die Szene tatsächlich so abgespielt haben kann, wie Leonardo sie beschreibt. Zudem meinen beide, dass sie in der Lage sind, aus einem so kurzen Text eines Genies ein Psychogramm erstellen zu können. Bezeichnenderweise stellt Freud mehrfach fest, dass ihm dies nicht gelingen könne, da zuviel über Leonardos Leben im Unklaren liegt.
Der Leonardo der Hofdamen
Eine kurze Zeile im Codex Atlanticus lässt die Vermutung aufkommen, Leonardo hätte eine heimliche Affäre mit Cecilia Gallerani gehabt. Cecilia war für einige Jahre die Mätresse des Mailänder Herzogs, für den Leonardo mindestens 12 Jahre arbeitete. Cecilia wurde vom Herzog schwanger, als sie 16 Jahre alt war. In dieser Zeit porträtierte sie Leonardo als Dame mit dem Hermelin. Als der Herzog kurz darauf die Beatrice d'Este heiratete, wurde Cecilia vom Hof verbannt, hielt sich aber weiterhin in Mailand auf. Sie war kulturell äußerst gebildet, vom Herzog mit Ländereien und Reichtümern ausgestattet und wurde eine in Norditalien bestens vernetzte Dame der Gesellschaft und Kunstmäzenin. Dass Leonardo da Vinci mit ihr in engerem Kontakt stand, gar eine heimliche Beziehung zu ihr hatte, ist denkbar, aber historisch nicht belegt. Sicherlich hätte eine solche Affäre auch geheim bleiben müssen, denn der Mailänder Herzog Ludovico Sforza, Leonardos Dienstherr und Vater von Cecilias Sohn, wäre sicherlich sehr verstimmt gewesen, hatte er ihr doch mit dem Graf Bergamini einen standesgemäßeren Begleiter bestimmt. Leonardo da Vinci galt wegen seiner Tätigkeit als Maler und Ingenieur, trotz seines anerkannten Genies, in den Reihen des Hochadels nur als bewundernswerter Handwerker, keineswegs war er aber dem Adel im Stand gleichgestellt.
Abschließendes Fazit
Leonardos Porträt von der Mona Lisa ist das bekannteste Bild in der Menschheitsgeschichte. Kaum ein Schulkind, das nicht schon einmal von dem Universalgenie der Renaissance gehört hat. Leonardo wird dabei stets als elegant, gepflegt, klug, unterhaltsam und einflussreich beschrieben. Um so mehr verwundert die Feststellung, dass er unverheiratet blieb und kinderlos starb.
Die naheliegendste Erklärung scheint dann zu sein, dass er schwul gewesen sein muss, denn nur Schwule heiraten nicht und sterben kinderlos. Leonardos Leben wird daraufhin in diese Richtung umgedeutet. Mit jungen Männern umgab er sich nicht, weil er eine Malerwerkstatt führte und talentierte Mitarbeiter brauchte, nein, sie waren für ihn Liebesobjekte. Rosa Kleider trug er nicht aus einem persönlichen Geschmack heraus, sie waren ein homosexuelles Bekenntnis.
Leonardos lebenslange Verbundenheit mit der bürgerlich-aufgeklärten Familie Medici machte ihn zu einem Ziel ihrer Feinde und derer gab es genug. Leonardo wurde in der Folge der Sodomie angeklagt und wie alle Florentiner böswillig als Homosexueller verleumdet. Passend dazu wurde von dem Dichter Lomazzo ein spottendes Bühnenstück geschrieben, dass Leonardo für die folgenden Jahrhunderte der Lächerlichkeit preisgab. Die propagandistische Mär von dem homosexuellen Leonardo aus dem verpönt-freigeistigen Florenz wird bis in die heutige Zeit hinein von Kunsthistorikern tradiert, vermutlich weil es gut in die heutige Zeit passt.
Denn eine immer selbstbewusstere LGBTQ Bewegung sucht sich ihre Helden und ihre eigene Geschichtserzählung. Was gibt es da größeres als einen Leonardo da Vinci als „Klemmschwester“ (queer.de) in den eigenen Reihen zu wissen. Dass dann auch noch ein Sigmund Freud, die höchste Autorität der Psychoanalyse, Leonardo die passive Homosexualität bescheinigt wird dann nicht mehr hinterfragt, sondern schlichtweg als Tatsache übernommen.
Was bleibt dann noch zu sagen, als: „Ja, hab ich auch gehört. Leonardo war schwul“.
Was wirklich bleibt ist die Feststellung, dass keine Aussagen zu Leonardos Sexualleben getroffen werden können, da es zu Leonardos Sexualleben keine verlässlichen Quellen gibt. Dass keine Liebesbeziehungen zu Frauen bekannt sind, heißt nicht, dass Leonardo schwul oder asexuell war. Es heißt nur, dass keine Liebesbeziehungen zu Frauen bekannt sind. Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, den Zustand der Ungewissheit nicht akzeptieren zu können und jede Erklärung nur ihrer selbst willen übernehmen zu wollen. Und bei Bedarf der eigenen Wahrheit etwas nachzuhelfen.
Nobody is perfect - das gilt auch für nicofranz.art!
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