Für die Dominikanermönche in Santa Maria delle Grazie in Mailand schuf er noch ein Abendmahl von seltener und wunderbarer Trefflichkeit. Den Köpfen der Apostel gab er so viel Majestät und Schönheit, daß er das Haupt des Heilandes unausgeführt ließ, überzeugt, er vermöge ihm nicht jene himmlische Göttlichkeit zu verleihen, die für ein Bild Christi erforderlich sei. Das Werk verblieb so, als ob es vollendet wäre, und ist immerdar von den Mailändern wie von den Fremden hochgepriesen worden.
Leonardo war darin aufs beste gelungen, den Argwohn auszudrücken, der die Herzen der Apostel erfaßt hat, die wissen möchten, wer ihren Meister verraten hat. Aus den Gesichtern aller spricht Liebe, Furcht und Zorn, aber auch der Schmerz, daß sie die Seele Christi nicht verstehen, und dies ist ebenso wunderbar wie der Trotz, Haß und Verrat, den man an Judas erkennt, überdies sind die geringsten Einzelheiten des ganzen Werkes mit unglaublicher Sorgfalt gearbeitet, sogar das Gewebe des Tischtuches ist so wiedergegeben, wie man es in feinstem Leinenzeug nicht besser sehen könnte.
Man erzählt, der Prior des Klosters habe Leonardo sehr ungestüm gedrängt, das Werk zu vollenden. Ihm schien es seltsam, den Künstler bisweilen einen halben Tag in Betrachtung verloren zu sehen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er gleich Arbeitern, die den Garten umhacken, den Pinsel niemals aus der Hand gelegt hätte. Dies aber genügte ihm nicht. Er beschwerte sich auch bei dem Herzog und drängte ihn so lange, bis dieser sich gezwungen sah, Leonardo rufen zu lassen und ihn freundlichst zur Arbeit anzuspornen, wobei er ihm würdig versicherte, er tue dies nur auf die Zudringlichkeit des Priors. Leonardo kannte den klaren Verstand und den Takt des Fürsten, deshalb entschloss er sich, mit ihm ausführlich über die Sache zu sprechen, was er bei dem Prior nie getan hätte. Er äußerte sich weitläufig über die Kunst und machte ihm verständlich, daß erhabene Geister bisweilen am meisten schaffen, wenn sie am wenigsten arbeiten, nämlich in der Zeit, wo sie erfinden und vollkommene Ideen ausbilden, die dann der Verstand erfaßt und die Hände ausdrücken und formen.
Zwei Köpfe, fügte er hinzu, fehlten ihm noch: der des Erlösers, nach dem er auf Erden nicht suchen wolle und der, wie er glaube, seiner Phantasie niemals in jener Schönheit und himmlischen Anmut vorschweben könne, die der Mensch gewordenen Gottheit entspreche; der andere, über den er nachdenke, sei der des Judas. Ihm scheine unmöglich, passende Gesichtszüge für jenen Jünger zu finden, dessen trotziger Geist nach so zahlreichen empfangenen Wohltaten zu dem Entschluß fähig gewesen wäre, seinen Meister, den Schöpfer der Welt, zu verraten. Nach diesem jedoch wolle er suchen, und wenn er keinen anderen finde, so bliebe ihm immer noch der lästige und zudringliche Prior. Dies brachte den Herzog sehr zum Lachen, und er gab Leonardo tausendmal recht. Der arme Prior aber, in Verwirrung geraten, beschäftigte sich fortan mit seinen Gartenarbeiten und ließ den Künstler in Frieden; dieser führte den Kopf des Judas so trefflich zu Ende, daß er das wahre Bild des Verrats und der Unmenschlichkeit ist; das Haupt Christi dagegen blieb unvollendet.
Die Herrlichkeit dieses Gemäldes, die Zusammenstellung wie die fleißige Ausführung erweckten beim König von Frankreich den Wunsch, es in sein Reich bringen zu lassen. Er suchte auf alle Weise nach Baumeistern, die es mit Holzbalken und Eisen fest genug zu binden vermöchten, damit man es unbeschädigt fortbringen könne, der möglichen Kosten achtete er nicht, so groß war sein Verlangen danach. Weil es jedoch auf die Mauer gemalt war, verging schließlich seiner Majestät die Lust dazu, und es blieb in Mailand.
Porträt des Herzogs von Mailand und der Beatrice d'Este
Während er noch am Abendmahl arbeitete, portätierte er an der Stirnseite des gleichen Refektoriums wo eine Passion Christi im alten Stil ist, Herzog Ludovico und seinen erstgeborenen Sohn Massmiliano, und zur anderen Seite die Herzogin Beatrice mit ihrem jüngeren Sohn Francesco: Wunderbare Bildnisse.