Ginevra di Benci – Keyvisual

Ginevra de’ Benci

Das Bildnis der Ginevra de’ Benci ist ein Renaissance Gemälde, das Leonardo da Vinci zugeschrieben wird. Es wird auf 1474 bis 1478 datiert. Dargestellt wird die Florentiner Bankierstochter Ginevra de’ Benci vor einem Wacholder in einer Landschaft mit Siedlung. Das Gemälde befindet sich in der National Gallery of Art in Washington D.C.

VIRTUTEM FORMA DECORAT

Inschrift auf der Rückseite des Gemäldes
Ginevra di Benci – Vorderseite
Ginevra di Benci – Rückseite

Wer das Gemälde ohne Kenntnis der Geometrie untersucht, muss es für ein Werk Leonardos halten. Zu stichhaltig sind dann die Argumente.

I

Das Gesicht erscheint zweigeteilt. Das wird klarer wenn es mal auf der linken, mal auf der rechten Seite abgedeckt wird (Mouseover).
Wird zusätzlich noch das linke Auge abgedeckt (Mouseover rechte Seite) entsteht der Eindruck von drei verschiedenen Perspektiven eines Kopfes

II

Ein geometrisches System führt zu Schablonen, die die drei verschiedenen Ansichten des Gesichts aufzeigen (Mouseover, Bildwechsel alle vier Sekunden)
Rückseite: Markante Punkte des Emblems sind in einem klaren geometrischen System angeordnet. Rote, grüne und blaue Linie formen ein Dreieck mit den symbolischen Innenwinkeln von 45°, 60° und 75°. Die weiße Ellipse am Spruchband ist ein um 45° gekippter Kreis. Die gelbe Linie wird von der blauen im goldenen Schnitt geteilt

III

Rückseite: Der Wacholder befindet sich nicht exakt in der Mitte. Es wird daher angenommen, das Gemälde sei beschnitten. Der rote Bereich erweitert hier das Bild so, dass der Wacholder in der Mitte ist.
Durch exakt diese Verbreiterung ergeben sich auf der Vorderseite weitere interessante geometrische Beziehungen. Ein Beispiel dafür ist der goldene Schnitt der Bildbreite durch das linke Auge der Ginevra (orange Linie), der die Konstruktion eines Hexagramms impliziert (blaues und gelbes Dreieck).

IV

Zwei Hügel der Landschaft sind deutlich als Kreisausschnitte erkennbar. Ihre Mittelpunkte führen zu zwei Kreisen die einmal genauso groß bzw. genau doppelt so groß sind, wie der Kreis um Ginevras Kopf.
Durch Muster in Ginevras Dekolleté lässt sich in der Folge ein Hilal mit fünfeckigem Stern konstruieren, dem Symbol des Islams

V

Linker unterer Quadrant: Das Doppelbild eines Porträts im Wacholder blickt mit scharfem Blick exakt horizontal auf die Kirchturmspitze im Bildhintergrund (roter Punkt). Der blaue Hügel am Horizont ist ebenfalls ein Kreisausschnitt. der Mittelpunkt des Kreises entsteht am Schnittpunkt der Verlängerung der Kirchturmspitze nach unten bzw. der Vertikalen vom Schnittpunkt der Kreise der beiden vorderen Hügel (Mouseover).
Durch die Einfarbigkeit des blauen Hügels wirkt er wie eine gewaltige Flutwelle, die das Dorf im Bildhintergrund mitzureißen droht. Diese Szene hat einen politischen Charakter.

VI

Linker oberer Quadrant: Das Doppelbild eines bärtigen Mannes im Wacholder, der seine Hände formend um die Ginevra legt. Die Tugend dekoriert die Schönheit (lt. VIRTUTEM FORMA DECORAT). Die Szene nimmt so Bezug auf den Sinnspruch der Rückseite. Es erklärt sich nun, warum die Ginevra so steif wirkt, beinahe wie eine Statue aus Marmor. Sie ist das Objekt des sie formenden Künstlers, ein behauender Stein.
Die Schulter ist ebenfalls ein Kreisausschnitt eines genau 3mal so großen Kreises, wie der um Ginevras Kopf. Das Porträt im Wacholder blickt exakt im 45° Winkel auf dessen Mittelpunkt (Mouseover)

VII

Ein Liebespaar in einer Landschaft unter einem Baum spaziert entlang eines Tales auf ein Dorf zu. Der Mann wendet sich ihr zu. An Ginevras Dekolleté formen zwei Kreisbögen einen stilisierten Vogel. Es handelt sich ebenfalls um Kreisausschnitte (Mouseover). Ihre Konstruktion wird in der nächsten Animation dargestellt

VIII

Die Herleitung von Mittelpunktlinien eines Sechszehnecks um Ginevras Kopf ergibt sich aus den Mittelpunkten der bereits bekannten Rundbögen im Gemälde (gestrichelte Linien). Neu hinzugekommen sind die Kreise zu den Kreisbögen um Ginevras Dekolleté (blauer und grüner Kreis). Beide sind exakt so groß wie der Kreis um Ginevras Kopf.
Insgesamt sind so sieben Kreise entstanden. Vier davon sind exakt so groß wie der Kopf, dazu je einer 2mal, 3mal und 4mal so groß. Die geometrischen Bezüge mögen zunächst wild erscheinen, doch besitzt die Konstruktion eine außergewöhnliche geometrische Ästhetik

IX

Zusammenführung: Es ist nun klar, dass alle verwendeten Symbole in einem kulturellen Kontext stehen. Sie lassen sich gemäß ihrer geometrischen Konstruktion und der Chronologie ordnen: Eine ägyptische Pyramide, davor ein Davidstern, dann das für die antiken Griechen bedeutungsvolle goldene Rechteck, ein christliches Kreuz, eine islamische Hilal (Mondsichel) und schließlich das Auge Gottes im Dreieck mit Strahlenkranz, ein Symbol der Aufklärung des 18.Jh. (allsehendes Auge).
Leonardo da Vinci († 1519) kann das allsehende Auge jedoch noch nicht gekannt haben. Es ist erstmals 1682 nachweisbar. Der Maler des Porträts hingegen hat große Mühe darauf verwendet, es über die Bildgeometrie zu konstruieren

x

Bildnis der Ginevra de’ Benci

Leonardo da Vinci zugeschrieben
1474-1478
Öl auf Holz
37,1cm x 42,7cm x 1,1cm
(in der Höhe sind nur 38cm sichtbar, da ein unterer Teil durch die Rahmung verdeckt ist)
National Gallery of Art, Washington D.C., USA

 

Wer war Ginevra de’ Benci?

Bei der Dargestellten soll es sich um Ginevra de’ Benci handeln.

Reich geboren

Ginevra de’ Benci wurde 1457 in Florenz geboren. Über ihre Mutter ist nichts bekannt. Vermutlich ist sie noch im Kindbett gestorben.

Ginevra war väterlicherseits die Enkelin des schwerreichen Florentiner Bankiers Giovanni di Amerigo di Simone de' Benci (1394-1455). Er hatte sich innerhalb des Florentiner Geschäftsimperiums der Medici vom einfachen Buchhalter bis zum Partner des Firmen-Patriarchen Cosimo de 'Medici hochgearbeitet. Bei seinem Tod hinterließ Giovanni de' Benci seinem Sohn Amerigo das zweitgrößte Vermögen in Florenz, gleich nach dem der Medicis.

Ginevras Vater Amerigo Benci (1431-1474) trat zunächst in die Fußstapfen seines Vaters und leitete von 1455 bis ca. 1463 die Medici-Bank in Genf. In diese Zeit fällt die Geburt Ginevras. Der italienische Name von Genf lautet Ginevra.

Amerigo Benci gab das Bankgeschäft bald auf und zog wieder nach Florenz, wo er eine Stelle als Prior annahm und sich seitdem als Kunstmäzen betätigte.

Die Familie ihres Mannes

Ginevras Vater starb 1474 mit nur 43 Jahren. Kurz danach verlobte sich die sechszehnjährige Ginevra mit dem 34-jährigen Kaufmann und Witwer Luigi di Bernado di Lapo Niccolini (*1440).

Die Niccolinis waren eine alteingesessene Florentiner Kaufmannsfamilie, die vor allem im Stoffhandel tätig war (Seidenhandel). Sie waren aber auch politisch aktiv. Aus der Familie gingen zahlreiche Mitglieder der einflussreichen Florentiner Stadtregierung hervor. Sie galten als Gefolgsleute der Medici.

Schön, klug und verehrt

Ginevra de' Benci war zum einen für ihre Dichtkunst bekannt, zum anderen war sie wegen ihrer Schönheit selbst Gegenstand von Gedichten und hatte viele Verehrer. Der legendäre Florentinische Staatsmann Lorenzo de' Medici (Der Prächtige) und sein Umfeld (Cristoforo Landino, Alessandro Braccesi) widmeten ihr einige Sonette.

Die Verehrung Bernardo Bembos

Auch der damals sehr bekannte venezianische Diplomat Bernardo Bembo zählte zu ihrem Verehrerkreis. Er war ab Januar 1475 in der Republik Florenz tätig. Bernardo war zu dem Zeitpunkt Anfang vierzig, verheiratet, hatte einen Sohn und eine Mätresse. Er hatte zuvor am deutschen Kaiserhof in Brügge als Diplomat gearbeitet. In Brügge befand sich auch eine der ausländischen Niederlassungen der Medici Bank.

Der vielgereiste Bernardo Bembo war ohne Zweifel ein Mann von Welt und muss auf die jugendliche Ginevra großen Eindruck gemacht haben. Als sie ihn kennenlernte, wurde er ihr platonischer Verehrer. Sie schrieben sich Briefe und tauschten Gedanken und Gedichte aus. Auch wenn es Gerüchte über eine Liebesbeziehung gab, wurde doch stets die Tugend der Ginevra gerühmt. Bernardo verließ Florenz nach eineinhalb Jahren im April 1476 und kehrte im Juli 1478 nochmals für zwei Jahre zurück, bis er die Stadt im Mai 1480 endgültig verließ.

Die vorgeblich platonische Beziehung der beiden war wohl Anlass für Klatsch und Tratsch, wie einem zeitgenössischen Gedicht des Florentiners Cristoforo Landino zu entnehmen ist.

Ginevras Rückzug

In einer Steuererklärung von 1480 spricht Ginevras Ehemann von den hohen Kosten, die eine längere Krankheit seiner Frau verursachte. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs ist es möglich, dass ihr Leiden mit der Abreise von Bernardo Bembo im Zusammenhang stand. Sie soll sich nach überstandener Krankheit aufs Land zurückgezogen haben. Lorenzo de Medici widmete ihr später zwei Sonette, in denen er sie tröstet und bittet nicht zurückzublicken.

Nach 1480 sind keine Quellen bekannt, die Ginevra de' Benci als aktives Mitglied der Florentiner Gesellschaft erwähnen.

Tod und Nachkommen

Ginevra de' Benci starb 1520 im Alter von 63 Jahren. Ihr Ehemann Luigi di Bernado di Lapo Niccolini starb bereits 1505. Ihre Ehe blieb kinderlos.

Entstehungszeit und Eigentümer

Die Debatte um die Echtheit des Werkes

Die Zuschreibung des Gemäldes an Leonardo da Vinci gilt als strittig. Dabei wird hauptsächlich mit stilistischen Merkmalen argumentiert. So fehlt das für Leonardo typische Sfumato, auch fehlt der Figur jeder Ausdruck von Lebendigkeit.

Befürworter einer Autorschaft Leonardos führen an, dass Leonardo noch sehr jung war, als er das Gemälde erschuf. Leonardo war zu der Zeit um die 22 Jahre alt. Er soll das Werk unter dem Einfluss der niederländischen Meister gemalt haben, von denen einige Porträts in der Werkstatt seines Lehrmeisters Verrocchio bekannt waren. Dadurch soll sich z.B. die für Leonardo so untypische Blässe der Haut erklären lassen.

Auch einige weitere Merkmale erwecken sofort den Eindruck, es sei ein Werk Leonardos. Die wirbelnde Darstellung der Locken ist leonardesk. Der thematische Fokus auf die Landschaft und die Natur ist ebenso typisch für Leonardo. Er entdeckte die Luftperspektive, also dass die Landschaft zum Horizont hin immer blauer wird. Auch dies ist zu erkennen. Insgesamt erweckt das Gemälde den starken Eindruck, es handele sich um ein Werk Leonardo da Vincis.

Ginevra de' Benci Bildanalyse – Fingerabdruck
Ginevra de Benci (Detail), Der Fingerabdruck rechts von Ginevras Kopf. Er soll von Leonardo da Vinci stammen, dem nachgesagt wird, auch mit den Fingern gearbeitet zu haben

Die Büste der Dama col Mazzolino

Das Gemälde soll zwischen 1474-1478 in Florenz entstanden sein. Zu dieser Zeit war der 22-26jährige Leonardo da Vinci bereits ein vollwertiges Mitglied der Malergilde von Florenz und hätte bereits als selbstständiger Maler tätig sein können. Er entschloss sich aber bis ca. 1478 in den Diensten seines Lehrmeisters Verrocchio zu bleiben. Die Gründe dafür sind unbekannt. Vermutlich scheute Leonardo den Schritt aufgrund der hohen Anzahl an Wettbewerbern.

Andrea del Verrocchio fertigte um 1475 die Büste einer Florentiner Dame, genannt die Dama col Mazzolino (Dame mit Blumenstrauß). Sie ist dem Porträt der Ginevra de’ Benci in Frisur und Kleidung auffallend ähnlich.

Der Wettstreit der Künstler

Einige Autoren nehmen an, Leonardo habe mit dem Bildnis der Ginevra de' Benci einen Wettstreit mit seinem Lehrmeister Verrocchio ausgetragen. Er hat ihm demnach mit dem Bildnis aufzeigen wollen, dass die Malerei in ihren Ausdrucksmöglichkeiten der Bildhauerei weit überlegen ist. Dieser Paragone genannte Wettstreit über die Rangfolge der Künste war eine jahrhundertealte Thematik, mit der sich Leonardo da Vinci Zeit seines Lebens auseinandersetzte. Berühmt wurde vor allem sein Disput mit Michelangelo in dieser Frage.

Autraggeber des Gemäldes

Über den Anlass des Gemäldes gibt es zwei Theorien.

Ginevras zukünftiger Ehemann

Es galt lange Zeit als wahrscheinlich, dass das Gemälde anlässlich der Verlobung Ginevra de’ Bencis mit Luigi Niccolini durch deren Familien in Auftrag gegeben worden ist. Dann wäre es um 1474 entstanden. Um ein Hochzeitsbild kann es sich hingegen nicht gehandelt haben, da Luigi Niccolini nicht mit abgebildet wurde, bzw. kein zu Ginevras Porträt passendes Gemälde von ihm existiert.

Ginevras Verehrer Bernardo Bembo

Einer zweiten Theorie nach wurde das Bildnis durch Bernardo Bembo in Auftrag gegeben. Er hielt sich von 1475-1476 in Florenz auf und kehrte 1478-1480 nochmal für zwei Jahre zurück. Dies ist der Grund, warum einige Autoren das Gemälde auf 1478 datieren.

Dass das Gemälde mit Bernado Bembo in Verbindung steht, lässt die Bemalung der Rückseite vermuten. Der umrahmte Wacholderzweig, italienisch Ginepro, kann als Wortspiel zu Ginevra gedeutet werden. Außerdem verweist die übrige Symbolik auf Bernado Bembo. Er benutzte genau diese Darstellung von Lorbeerzweig und Palmblatt für sein persönliches Siegel. Es ist aus zweien seiner persönlichen Bücher bekannt.

Virtus et Honor

Bei einer Infrarotuntersuchung wurde festgestellt, dass das Motto der Rückseite ursprünglich VIRTU(E?) und HONOR (dt. Tugend und Ehre) lautete, aber später übermalt wurde. VIRTUS ET HONOR war das persönliche Motto von Bernardo Bembo.

Ginevra di Benci – Durch Infrarotaufnahme werden zwei übermalte Wörter sichtbar: Virtue und Honor
Ginvera de' Benci (Detail der Rückseite durchleuchtet mit Infrarot)
Es ist klar zu erkennen, dass die beiden ursprünglichen Wörter "VIRTUE" und "HONOR" mit "VIRTUTEM FOR MA DECORAT" übermalt wurden
@Screenshot aus der Dokumentation Ginevras Story, 1999

Unbekannter Verbleib bis 1733

Die Spur des Gemäldes verliert sich bereits zu seiner Entstehung. Es existieren keine Dokumente zur Beauftragung des Gemäldes. Das Gemälde wird in zeitgenössischen Quellen auch sonst nicht erwähnt. Das ist erstaunlich für das brillante Werk des jungen Leonardo, denn es ist seiner Zeit stilistisch weit voraus. Es verwundert, dass ein qualitativ derartig herausragendes Porträt der gesellschaftlich bestens vernetzten Ginevra keine Aufmerksamkeit erhielt.

Die erste Erwähnung erfolgt erst 20 Jahre nach Leonardos Tod. 1540 heißt es im anonymen Text des Codex Anonimo Magliabechiano nur knapp: "In Florenz malte er nach der Natur das Porträt von Ginevra d'Amerigo Benci, das so gut ausgeführt war, dass es nicht als Porträt, sondern als Ginevra selbst erschien“.

1550 bezog sich der erste Leonardo Biograf Vasari auf den Anonimo Magliabechiano und schrieb ebenfalls sehr kurz: "Leonardo portraitierte die Ginevra d'Amerigo Benci, ein sehr schönes Werk“. Bis 1733 sind dies die beiden einzigen Quellen, die von der Existenz des Gemäldes zeugen.

Im Besitz des Fürstenhauses Liechtenstein

Das auffällige rote Siegel in der rechten oberen Ecke auf der Rückseite des Porträts trägt das Wappen des Hauses Liechtenstein. Drumherum die Inschrift „LIECHTENSTEIN 18 CH. VORMUNDSCHAFFTS SIG II. 1733 HOC[unleserlich]“.

Ginevra de' Benci Bildanalyse – Rotes Siegel auf der Rückseite
Ginevra de Benci, Rückseite (Detail), Das Siegel der Fürstenhauses Liechtenstein mit Inschrift "LIECHTENSTEIN 18 CH. VORMUNDSCHAFFTS SIG II. 1733 HOC[unleserlich]"

Die Bedeutung des roten Siegels

Das rote Siegel ist speziell, denn es sagt etwas über die Besitzverhältnisse vor 1733 aus. Dieses Siegel wurde nur für Gemälde verwendet, die zur Galerie des Fürsten Johann Adam (1657-1712) gehörten. Johann Adam starb 1712, also muss das Gemälde noch davor erworben worden sein.

Fürst Johann Adam sammelte jedoch hauptsächlich die prächtigen Gemälde des italienischen Barock. So ist es wahrscheinlicher, dass bereits sein Vater Fürst Karl Eusebius (1611-1684) das Porträt erwarb, da er kleinere Gemälde bevorzugte. Beide Fürsten reisten öfter nach Florenz und könnten das Porträt dort von privater Hand erworben haben.

Das rote Siegel schließlich wurde 1733 zur Regierungszeit von Fürst Josef Wenzel aufgebracht, der von 1732-1745 die Vormundschaft für den minderjährigen Johann Nepomuk Karl ausübte. Darauf bezieht sich die Inschrift auf dem Siegel.

Erster Nachweis des Besitzes

Auch wenn das Werk durch das Siegel auf die Zeit vor 1733 datiert werden kann, erfolgt die erste schriftliche Erwähnung erst im Jahr 1780. Es wird im offiziellen Katalog der Sammlung Liechtenstein erwähnt, jedoch der Werkstatt von Lucas Cranach († 1553) zugeschrieben. Es befand sich zu diesem Zeitpunkt auf Schloss Feldsberg (heute Valtice/ Tschechien), das bis 1945 Hauptsitz des Fürstenhauses Liechtenstein war.

Öffentliche Ausstellung in Wien

Ab 1805 wurde das Porträt der Ginevra de' Benci zusammen mit anderen Gemälden der Sammlung Liechtenstein im Gartenpalais in Wien öffentlich ausgestellt. 1944, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Porträt mit dem Rest der Wiener Sammlung nach Schloss Vaduz gebracht. Vaduz ist die Hauptstadt des Fürstentums Liechtenstein.

Erwerb durch die National Gallery of Art

1967 verkaufte Fürst Franz Josef II. das Gemälde für 5 Millionen Dollar an die National Gallery of Art in Washington D.C. Dadurch wurde das Bildnis der Ginevra zum bis dahin teuersten verkauften Gemälde der Welt.

Die Untersuchung durch Mario Modestini

Es gab bereits damals Zweifel an der Echtheit des Gemäldes. Die National Gallery of Art beauftragte 1966 den weltweit anerkannten Konservator Mario Modestini das Gemälde in Vaduz auf eine Autorschaft Leonardos hin zu überprüfen. Nach tagelanger Untersuchung hatte er keine Zweifel an der Echtheit. Nach eigener Aussage verglich er das Werk anhand mitgeführter Fotografien anderer Leonardo Werke:

"Ich verbrachte viel Zeit damit, den Zustand des Bildes zu untersuchen [...] Am Ende der Untersuchung war ich davon überzeugt, dass das Bild zu 100% von ihm stammte [...] Eines der Dinge, die mich davon überzeugten, dass die Zuschreibung korrekt war, waren diese Haare. Sie sind genau so gestaltet, wie Leonardo die Wasserfälle gestaltet hat. Auf die gleiche Weise. So typisch für ihn. Das war wirklich der letzte Punkt. Ich sah es und sagte: Es gibt keinen Zweifel. Das ist von demselben Mann gemacht worden, der diese Zeichnungen gemacht hat" (Ginevras Story, Dokumentation 1999).

Die Mäzenin

Finanziert wurde der Kauf aus den Mitteln des Ailsa Mellon Bruce Fonds. Ailsa Mellon Bruce war eine US-amerikanische Kunstsammlerin und Mäzenin. Als Tochter des schwerreichen Gründers der heutigen Bank of New York Mellon, Andrew W. Mellon, verfügte sie über ausreichende Mittel die National Gallery of Art mit zahlreichen Kunstschätzen auszustatten.

Dauerausstellung

Am 08.02.1967 traf das Gemälde in Washington, D.C. ein und wird seitdem dort ausgestellt. 1991 wurde das Gemälde gesäubert, restauriert und erhielt eine neue Rahmung.

Heute ist das Bildnis der Ginevra de' Benci in der Gallery 6 im West Building der National Gallery of Art zu sehen. Es ist das einzige Leonardo-Gemälde, das sich außerhalb Europas befindet.

Symbolik

Die Bedeutung des Wacholders

Der Bildhintergrund des Porträts wird von einem unnatürlich dunkel gemalten Wacholder dominiert, der die Ginevra fast vollständig umrahmt. Der Wacholder ist ein immergrüner sehr anpassungsfähiger und widerstandsfähiger Nadelbaum, der überall auf der Welt vorkommt. Er trägt einmal im Jahr bläulich schimmernde essbare Früchte, die Wacholderbeeren.

Wortspiel mit dem Namen Ginevra

Es wird angenommen, dass die Verwendung des Wacholders auf den Vornamen Ginevras anspielt. Wacholder heißt im italienischen Ginepro. Daher wird der Wacholder als Symbolisierung der Ginevra verstanden.

Religiöse Bedeutung

Der Wacholder gilt aufgrund seiner immergrünen Eigenschaften weltweit als Symbol für das facettenreiche Leben in der Natur: das Erblühen der Schönheit, die Liebe und Nachkommen, das Altern und schließlich der Tod. Jede Kultur setzt dabei ihren Schwerpunkt. Manche betonen die immergrünen Eigenschaften und das Leben, andere das winterliche Sterben, das der immergrüne Wacholder an sich vorüberziehen sieht.

Der Wacholder im Gemälde erinnert den Betrachter – Bernardo oder ihren Mann Luigi – an die Facetten des Lebens während sie Ginevra betrachten.

Geometrische Symmetrie

Wird ein Wacholder Zweig von oben betrachtet, fällt auf, dass immer drei Nadeln zu einem gleichseitigen Dreieck wachsen. Jeder Zweite Trieb ist dabei um exakt 60° gedreht, so dass ein regelmäßiges Sechseck entsteht. Der Wacholder ist im Verständnis der Renaissance ein Symbol für die Tendenz der Natur zu Harmonie und Proportion.

Nahaufnahme von Wacholderzweigen
Wacholderzweige (Fotografie), Im unteren Bereich ist der sechsstrahlige Stern der Wacholdernadeln gut zu erkennen. Der Winkel zwischen den Nadeln beträgt 60°. Links oben ist zu sehen, dass immer drei Nadeln auf einer Ebene ein gleichseitiges Dreieck bilden. Der Winkel zwischen den Nadeln einer Ebene beträgt 120°

Das Dorf in der Landschaft

Im Hintergrund der Landschaft sind drei Gebäude auszumachen. Es handelt sich von links nach rechts um eine Mühle, eine Kirche und eine Felsenburg.

Ginevra de' Benci Bildanalyse – Landschaft
Ginevra de Benci (Detail), Leonardo da Vinci zugeschrieben. Mühle, Kirche und ganz rechts eine Felsenburg im Hintergrund der Landschaft

Die Gebäude im Bildhintergrund haben eine politisch-symbolische Bedeutung und versinnbildlichen das feudale Ständesystem in Europa. Das Ständemodell wird auch als Ständepyramide bezeichnet:

  • der erste Stand symbolisiert durch die Burg war der Adel
  • der zweite Stand symbolisiert durch die Kirche war der Klerus
  • Der dritte Stand symbolisiert durch die Mühle waren die Bauern bzw. später das kaufmännische Bürgertum

Das Ständemodell hatte in Europa vom Mittelalter bis hin zur französischen Revolution im Jahr 1789 seine Gültigkeit. Danach wurde es zugunsten einer neuen demokratischen Weltordnung nach und nach abgeschafft.

Lorbeerzweig und Palmblatt

Die Darstellung von Lorbeerzweig und Palmblatt auf der Rückseite des Gemäldes hat große Ähnlichkeit mit dem persönlichen Siegel des Bernardo Bembo (s. Auftraggeber des Gemäldes). Es zeigt ein persönliches Emblem (italienisch Imprese). Es soll durch Symbolik die bestimmenden Charaktereigenschaften eines Menschen aufzeigen. Eine Imprese ist immer verbunden mit einem meist lateinischen Wahlspruch. Durch die Symbolik und Sprache erschließt sich deren Bedeutung nur humanistisch Gebildeten und stellt insofern eine Abgrenzung zu weniger gebildeten Ständen dar.

Welche Bedeutung hat der Lorbeer?

Der Gott Apollon verliebte sich unsterblich in die Nymphe Daphne, die seine Liebe nicht erwiderte. Auf der Flucht vor Apollons Nachstellungen beflehte sie ihren Vater, den Flussgott Peneios, sie in etwas zu verwandeln, dass den Apollon weniger reizen würde als ihre anmutige Schönheit. Daraufhin erstarrte sie zu einem Lorbeerstrauch. Seither trug Apollon zur Erinnerung an sie einen Lorbeerkranz als Attribut. Apollon ist der Gott des Lichts und der Künste.

Im Zusammenhang mit der dargestellten Ginevra spielt der Lorbeer auf ihre Freude an der Dichtung an.

Daneben hat der Lorbeerkranz bis heute einen politischen Charakter. Vor allem antike griechische und römische Herrscher trugen ihn als Symbol des Sieges und des Ruhms. Auch wurde siegreichen römischen Feldherrn anlässlich ihres Triumphzuges in Rom ein Lorbeerkranz aufgesetzt. Dabei ging es den antiken Herrschern hauptsächlich darum, sich oder andere mit Apollon gleichzusetzen, dem lichtbringenden Gott.

Welche Bedeutung hat das Palmblatt?

Das Palmblatt hat grundsätzlich zwei symbolische Verwendungen, eine kulturelle und eine religiöse.

In vielen antiken Kulturen des Orients galt das Palmblatt aufgrund seiner Symetrie als Hochzeitssysmbol. Die paarweise Anordnung der Blätter spielt so auf die anstehende Verehelichung der Ginevra de' Benci an. Das Palmblatt wird von der Seite betrachtet dargestellt, so dass nur eine Hälfte zu sehen ist. Das halbe Palmblatt steht sinnbildlich für eine Hälfte des Verlobungspaares, also die Ginevra.

Daneben ist das Palmblatt hauptsächlich im Juden- und Christentum ein religiöses Symbol des Friedens. Die Juden feiern das ursprünglich als Erntefest angelegte Laubhüttenfest in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Dafür werden Hütten aus Palmblättern errichtet.

In der christlichen Tradition erinnern die Palmblätter an den Einzug Jesu in Jerusalem zum Pessach Fest. Das jüdische Pessach Fest wird wie das Laubhüttenfest in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten gefeiert. Das Volk legte aus Freude vor der Ankunft des Messias Palmwedel zu Jesu Füßen nieder. Mit dem Palmsonntag beginnt auch heute noch die Karwoche, an deren Ende die Kreuzigung und Auferstehung Jesu steht.

Das Symbol der Palme ist in jüdisch-christlicher Tradition also eng mit dem Auszug aus Ägypten bzw. der Passion Christi verbunden.

David Roberts - Auszug aus Ägypten
Auszug aus Ägypten (Ausschnitt), David Roberts, 1830
Moses führt das israelitische Volk nach 400 Jahren der Sklaverei heraus aus Ägypten. Die Pyramiden im Hintergrund

Kombinierte Darstellung von Lorbeer und Palme

Werden Lorbeer und Palme wie auf der Rückseite des Porträts gleichrangig kombiniert, hat dies einen politischen Charakter. Der Lorbeer steht in seiner abgeleiteten Form für Sieg und Ruhm, die Palme ergänzt den dadurch erlangten Frieden. Dass der europaweit tätige Diplomat Bernardo Bembo diese Symbolik zu seinem Siegel machte, ist wenig überraschend.

Dass sein Symbol den kleineren (jüngeren) Wacholder umrahmt, der Ginevra symbolisieren soll, wird häufig als Anspielung auf eine intime Beziehung der beiden gedeutet.

Ginevra de' Benci Bildanalyse – Schriftzug mit der Inschrift "Virtutem Forma Fecorat"
Ginevra de' Benci, Rückseite (Detail), Die Banderole mit der Inschrift VIRTUTEM FOR MA DECORAT

Die Bedeutung der Inschrift

Alle drei Zweige sind verbunden durch ein Spruchband. Die Inschrift auf der Banderole lautet VIRTUTEM FORMA DECORAT (lat. 'Schönheit ziert die Tugend') und bezieht sich auf die Ansicht des antiken Philosophen Platon, dass äußere Schönheit Ausdruck der inneren Tugend ist. Diese Ansicht wurde zur Zeit der Renaissance von dem außerordentlich beliebten Dichter Petrarca weiter popularisiert.

Sollte tatsächlich Bernardo Bembo der Auftraggeber des Gemäldes sein, würde das Spruchband den sittlichen, tugendhaften und platonischen Charakter seiner Beziehung zu Ginevra betonen. Weil sie schön ist, muss sie nach Platon auch tugendhaft sein und das würde eine Affäre mit dem verheirateten Bernardo Bembo ausschließen.

Die Marmorplatte aus Porphyr

Porphyr wird, wie der Wacholder, sowohl auf der Vorderseite des Gemäldes als auch auf der Rückseite des Gemäldes gezeigt.

Porphyr ist ein Sammelbegriff für Gesteinsarten vulkanischen Ursprungs, die sich durch eine typisch purpurne Farbe mit farbigen mineralischen Einschlüssen auszeichnen. Obwohl heute kein besonders wertvoller Stein mehr, war Porphyr bis in das späte Mittelalter hinein ein seltener und teurer Rohstoff. In der römischen Antike wurde er nur in Ägypten abgebaut.

Aufgrund der purpurnen Farbe von Porphyr durfte das Material nur für Bildnisse römischer Kaiser verwendet werden. Noch im Mittelalter wurden die Kaiser des heiligen römischen Reiches in porphyrnen Särgen bestattet, wie das Grabmal von Kaiser Friedrich II. († 1250) in der Kathedrale von Palermo zeigt.

In Leonardos Umfeld waren es vor allem die Medici, die eine Vorliebe für Porphyr hatten. Dem Begründer des sagenhaften Reichtums der Medici, Giovanni di Bicci de’ Medici († 1429), wurde auf seinen Marmorsarg eine Platte gelegt, die von einer kreisrunden Porphyrplatte geziert wird.

Warum wird Porphyr gezeigt?

Das im Gemälde verwendete Porphyr übernimmt vordergründig also eine repräsentative Aufgabe. Es soll das Selbstbewusstsein der reichen Florentiner Bürger demonstrieren, die sich so auf die, bis in die Antike zurückreichende, Tradition von Purpurfarben als Symbol von kaiserlicher Macht und Reichtum beziehen. Etwa 40 Jahre nach dem angenommenen Entstehungsjahr dieses Gemäldes wurde ein Medici das erste Mal zum Papst gewählt.

Diesem hochfürstlichen Anspruch genügt Ginevra de' Benci jedoch nur zum Teil. Ihr Vater war zwar Geschäftsführer der Medici Bank in Genf, ihr Großvater die rechte Hand des Patriarchen Cosimo di Medici, der Reichtum der de' Benci enorm, doch im Vergleich zu dem der Medici eher bescheiden, ihre politische Macht begrenzt. Der Porphyr scheint als Symbol von Macht und Reichtum daher übertrieben.

Porphyr wurde nicht nur für Grabmäler genutzt, es sind auch repräsentative Kaiserstatuen aus dem Material erhalten. Dennoch kann dem Porphyr in dem Gemälde eine gewisse totenkultische Symbolik analog zum Wacholder nicht abgesprochen werden. Dass er hauptsächlich auf der Rückseite des Gemäldes abgebildet wird, lässt dort an einen Grabstein denken. Die Vorderseite würde dann die lebendige Ginevra zeigen, die Rückseite auf ihre Vergänglichkeit und ihren Tod verweisen.

Bildanalyse

Darstellungsfehler und Auffälligkeiten

Das rechte Auge der Ginevra ist auffällig größer als ihr linkes.

Ihr Kopf ist so kugelrund, dass er in einen Kreis gemalt zu sein scheint

Das primäre Stilmittel des Gemäldes ist der Kontrast.

  • Dem Rot des Vordergrundes wird das Blau im Hintergrund entgegengestellt
  • Das helle Gesicht der Ginevra wird vom viel zu dunkel gemalten Wacholder umkränzt
  • Der Plastisch aber steif wirkenden Büste Ginevras werden die weichen Formen der Landschaft gegenübergestellt
  • Annähernd gerade Linien am Kleid und an den Haaren stehen im Gegensatz zu den kreisrunden Hügeln der Landschaft

Bemalung der Vorder- und Rückseite sind nicht autark, sondern durch wiederkehrende Elemente miteinander verbunden.

  • Die Marmorierung der steinernen Platte auf der Rückseite wiederholt sich auf der Vorderseite im Felsen am linken unteren Bildrand
  • Ein Zweig des Wacholders der Vorderseite befindet sich mittig auf der Rückseite
  • Die beinah dreieckig erscheinende Büste der Ginevra wiederholt sich in der Anordnung der beiden großen Zweige von Lorbeer und Palme, die ebenso als Dreieck erscheinen

I Das zweigeteilte Gesicht

Die Blickrichtung der Ginevra wirkt unklar. Das liegt daran, dass das Gesicht aus mindestens zwei Perspektiven gemalt worden ist, die so zusammengeführt wurden, dass sie dennoch wie ein zusammenhängendes Ganzes wirken.

Das wird um so klarer, sobald ihre rechte und linke Gesichtshälfte abwechselnd abgedeckt wird (Mouseover). Die Trennlinie der zunächst zwei Ansichten des Kopfes lässt sich relativ klar bestimmen. Sie bildet eine Linie entlang des Mittelscheitels und dem goldenen Knopf an Ginevras Dekolleté (gelbe Punkte und orange Vertikale).

Es ist deutlich zu erkennen, dass Ginevras linke Gesichtshälfte frontal auf den Betrachter blickt. Ginevras rechte Kopfhälfte ist jedoch vom Betrachter weggedreht. Dabei wirkt ihr rechtes Auge deplaziert, denn es ist entgegen der Kopfhaltung ihrer rechten Seite frontal gemalt und außerdem zu groß im Vergleich zu ihrem linken Auge. Das wird besonders deutlich, wenn zusätzlich zu ihrer linke Körperhälfte auch ihr rechtes Auge und abgedeckt wird (Mouseover rechte Seite).

Wiederentdeckung des alten Prinzips in der Moderne

Die Idee zwei Gesichter zu einem zusammenzuführen, bzw. ein Gesicht in mehreren Perspektiven so nebeneinander darzustellen, dass sie wie eins wirken, ist für die Renaissance sehr ungewöhnlich, zumal dies im Porträt der Ginevra auch technisch in hoher Qualität ausgeführt wurde. Sogar so gut, dass es zunächst nicht weiter auffällt.

Die grundsätzliche Idee wurde in der Malerei erst im 20.Jh ausgearbeitet. Zuallererst durch die Kubisten, bekannt dafür sind vor allem die Porträts von Pablo Picasso (*1881) und Georges Braque (*1882).

Anschaulicher demonstriert jedoch Salvador Dalí (*1904) das Prinzip. Der berühmte surrealistische Maler zeigt in seinem Gesamtwerk eine stetige Auseinandersetzung mit der Kunst der Renaissance und mit der von Leonardo da Vinci im Speziellen. Er hat die Idee der mehrfachen Perspektive zur optischen Täuschung wiederholt aufgegriffen. Die unteren Darstellungen zeigen erstaunliche Parallelen zum Porträt der Ginevra de' Benci (Mittelscheitel, seitliche Locken, Brustbedeckung und der Fokus auf die rechts gelegene Landschaft).

II Das dreigeteilte Gesicht

Die Teilung des Gesichts in nur eine linke und rechte Gesichtshälfte scheint unzureichend. Es muss sich um drei Ansichten handeln, da Ginevras rechtes Auge zu keiner der beiden Hälften zu passen scheint. Es soll nun untersucht werden, entlang welcher Grenzen die drei Ansichten des Kopfes verlaufen. Eine vertikale Trennlinie wurde bereits gefunden: Mittelscheitel und goldener Knopf am Dekolleté.

Goldenes Rechteck

Ein goldenes Rechteck ist ein spezielles Rechteck, bei dem die Seiten zueinander im Verhältnis des goldenen Schnitts stehen.

  • Wird die Linie zwischen Mittelscheitel und goldenem Knopf zum rechten Bildrand geführt, entsteht ein goldenes Rechteck (orange-transparentes Rechteck)
  • Die Höhe des Rechtecks beträgt exakt 2/3 der Gemäldehöhe (die Gemäldehöhe bezieht sich auf den sichtbaren Teil; ein unterer, ca. 5cm breiter Streifen war stets durch eine Rahmung verdeckt)

Kreis

Auffällig ist die kreisrunde Darstellung von Ginevras Kopf.

  • Ihr Kopf lässt sich genau in einen Kreis einfassen (gelber Kreis)
  • Der Mittelpunkt dieses Kreises befindet sich genau in der Pupille von Ginevras rechten Auge (gelber Punkt)
  • Die Mittelsenkrechte des Gemäldes verläuft exakt durch Ginevras rechtes Auge (rote Vertikale).
  • Der Kreis um den Kopf hat den Durchmesser der Hälfte der Bildbreite.
  • Der Kreis hat nach links und rechts denselben Abstand, befindet sich also horizontal genau in der Bildmitte

Gleichseitiges Dreieck

Das Porträt der Ginevra de' Benci wird von zahlreichen Linien und Dreiecksformen durchzogen, die parallel und im 60° Winkel angelegt sind. Der 60° Winkel ist der Innenwinkel eines gleichseitgen Dreiecks. Die Büste der Ginevra wirkt daher insgesamt dreieckig.

Leonardo da Vinci verwendete diese Form in seinem zentralen Hauptwerk, dem letzten Abendmahl. Dort ist der Jesus Christus in ein gleichseitiges Dreieck gemalt.

Das gleichseitige Dreieck, in das die Ginevra gemalt wurde, soll nun identifiziert werden. Zur grundsätzlichen Orientierung dient eine zunächst nur gedachte Linie von ihrem Mittelscheitel hin zu ihrer Schulter (linke weiße Linie). Es wird durch klare geometrische Beziehungen gezeigt werden, dass genau dieses gleichseitige Dreieck in der Absicht des Malers lag.

  • Die obere linke Ecke des goldenen Rechtecks und der Kreis um Ginevras Kopf schneiden sich exakt in einem Punkt
  • Von diesem kann eine Linie im Winkel von 60° zum unteren Bildrand gezogen werden (weiße Linie links)
  • Diese Linie ist genau so lang, wie das Bild breit ist
  • Diese Linie verläuft auffällig genau entlang Ginevras rechten Locken und tangiert exakt die auffallend runde Schulter

Die linke Seite eines gleichseitigen Dreiecks ist nun klar definiert. Durch Spiegelung dieser Seite entlang der Mittelsenkrechten (rote Vertikale) entsteht das gesuchte gleichseitige Dreieck.

  • Die Länge der rechten Seite des Dreiecks (weiße Linie) und damit aller Seiten des Dreiecks beträgt 14/16 der Bildbreite. Die Einteilung in 16tel wird für die Geometrie des Bildes bestimmend werden, wie sich zeigen wird
  • Von den zwei Punkten, an denen der Umkreis des Kopfes (gelber Kreis) das gleichseitige Dreieck schneidet, kann ein 90° Winkel zur Pupille und damit dem Umkreis gezogen werden

Es ist bemerkenswert elegant, wie die verschiedenen Winkel, Proportionen und Formen miteinander in Beziehung stehen. Es ist nicht möglich auch nur ein Detail zu verändern, ohne die gegenseitigen Beziehungen komplett zu zerstören.

  • Die horizontal Mittelhalbierende (rote Horizontale) unterteilt das soeben entstandene große gleichseitige Dreieck nochmals in ein nach oben abschließendes kleineres gleichseitiges Dreieck. In dessen Mitte befindet sich das rechte Auge der Ginevra (gelbe Fläche).

Die drei Gesichter der Ginevra

Kreis, gleichseitiges Dreieck und Goldenes Rechteck sind typische Formen der klassischen Geometrie. Der Maler des Porträts der Ginvera de' Benci bestimmte sie zu Schablonen, in die er die drei perspektivischen Ansichten des Kopfes der Ginevra setzte (II + Mouseover).

  • Die Gesichtspartie im gleichseitigen Dreieck schaut den Betrachter frontal an
  • Werden goldenes Rechteck und gleichseitiges Dreieck zugleich abgedeckt, ist ein zur Seite blickender anonymer Kopf zu sehen
  • das Gesicht im goldenen Rechteck schaut den Betrachter analog zu dem im gleichseitigen Dreieck frontal an, ist aber etwas kleiner und daher weiter entfernt. Deutlich wird das vor allem an der Größe der Augen

Aus dieser Konstruktion lassen sich die unterschiedlichen Stimmungen im Ausdruck der Ginevra erklären, die viele Betrachter so fasziniert. In Wirklichkeit aber sehen sie drei verschiedene Gesichter zugleich, in verschiedenen Ausschnitten und in verschiedenen Perspektiven.

Die verschiedenen Perspektiven genau zu bestimmen ist mittels der Geometrie möglich gewesen. Der Maler gab hierfür Hinweise, indem er für die Bildgeometrie wichtige Punkte markierte, z.B. indem

  • er einen Mittelscheitel malte, der die Trennlinie zweier Ansichten eines Gesichts darstellt oder
  • er einen goldenen Knopf malte, der zu einem goldenen Rechteck führt
  • er den Kopf der Ginevra in einen Kreis setzte, dessen Mittelpunkt ihr rechtes Auge ist
  • er zahlreiche charakteristische Linien im Gemälde im 60° Winkel anlegte, dem Innenwinkel eines gleichseitigen Dreiecks

Drei verschiedene Gesichtsansichten so ineinander zu setzen, dass sie wie ein Gesicht wirken, erinnert an bestimmte mittelalterliche Darstellungen die Tricephalus genannt werden.

Was ist ein Tricephalus?

Ein Tricephalus (Dreigesicht) ist eine heute kaum noch bekannte symbolische Darstellung der Dreieinigkeit Gottes (Trinität), die hauptsächlich im Mittelalter verwendet wurde.

Diese Art der Darstellung der Trinität wurde im Verlauf der Gegenreformation 1628 von Papst Urban VIII. verboten. In der Folge wurde dieses Symbol überall im katholischen Einflussbereich entfernt. Hier eine typische Darstellung.

Was ist das Auge Gottes?

Als das Tricephalus durch einen päpstlichen Erlass 1628 verboten wurde, benötigten die Gläubigen ein neues Symbol der Dreieinigkeit Gottes. Als Nachfolger des Tricephalus hat sich das Auge Gottes entwickelt.

Es zeigt ein stilisiertes Auge in einem Dreieck umgeben von einem Strahlenkranz. Das Dreieck steht für die Dreieinigkeit Gottes und ist dabei meist gleichseitig, wird aber oft auch als rechtwinkliges Dreieck dargestellt.

Leonardos Schüler Jacopo Pontormo

Jacopo Pontormo war um 1508 ein Schüler Leonardos. Pontormos bekanntes Gemälde "Mahl in Emmaus" wird häufig als die älteste Darstellung des allsehenden Auges bezeichnet.

Doch das ausstellende Museum in Florenz, die Uffizien, hat entdeckt, dass das dargestellte Auge Gottes das Ergebnis einer späteren Übermalung ist. Dem Museum zufolge befand sich an der Stelle ursprünglich ein Tricephalus. Wann genau die Übermalung stattfand, ist nicht überliefert. Übermalungen privater Gemälde müssen nicht sofort mit dem päpstlichen Verbot von 1628 durchgeführt worden sein. Sie konnten auch erst Jahrzehnte später erfolgen, z.B. anlässlich eines öffentlichen Verkaufs.

Die älteste Darstellung vom Auge Gottes

Das Symbol ist erstmals 1682 nachweisbar. Es ist auf einer Illustration abgebildet, die sich auf einer Werkausgabe der Schriften des deutschen Theologen Jakob Böhme befindet.

Auch wenn sich ältere symbolische Darstellungen von einzelnen Augen (Ägypten), Dreiecken (Israel) und Strahlenkranz (christliches Europa) finden lassen, ist das vollständige Symbol vom Auge Gottes im Dreieck und mit Strahlenkranz absolut neuartig und vor 1682 nicht nachweisbar.

Woher kannte Leonardo diese Symbolik?

Der Maler des Porträts der Ginevra de' Benci hat drei Ansichten des Gesichts der Ginevra gemalt, die an ein Tricephalus erinnern. Diese Art der Darstellung war in der Renaissance noch weit verbreitet, Leonardo hat sie sicherlich gekannt.

Wie zudem gezeigt werden konnte, hat der Maler des Porträts ihr rechtes Auge über zahlreiche geometrische Beziehungen betont, und es noch dazu in ein gleichseitiges Dreieck gesetzt. Diese Art der Darstellung erinnert an ein Auges Gottes, allein der Strahlenkranz fehlt noch.

Sollte ein solcher Strahlenkranz nachgewiesen werden können und somit die Verwendung eines Symbols, das erst 1682 erstmals nachweisbar ist, also ca. 200 Jahre nach der angenommenen Entstehung des Porträts, würde dies ernsthafte Zweifel an der Datierung und somit der Autorschaft Leonardos wecken. Denn dann müsste geklärt werden, woher Leonardo dieses Symbol kannte, und warum er es auf einem Gemälde zeigte, dass auch die Symbolik eines Tricephalus verwendet. Vermutlich würde dies nicht schlüssig gelingen und eine Datierung nach 1682 wäre zwingend.

II Rückseite: Ein magisches Dreieck

Das Emblem auf der Rückseite des Porträts ist ebenfalls nach geometrischen Regeln konstruiert worden. Die grundlegende Dreiecksform der Vorderseite findet sich auch hier. Sie ergibt sich aus der Anordnung des Lorbeer- und Palmzweigs.

Optisch werden drei Punkte besonders betont:

  • Der Knoten des Bandes an der Spitze, am Schnittpunkt von Lorbeer- und Palmzweig
  • der Mittelpunkt der Spirale am linken Ende des Spruchbandes
  • der Mittelpunkt der Spirale am rechten Ende des Spruchbandes
  • eine Ellipse in der Mitte des Spruchbandes

Das Dreieck aus symbolischen Winkeln

Diese Punkte stehen durch die Innenwinkel des aus ihnen bestehenden Dreiecks in einer symbolischen Beziehung zueinander. Die Innenwinkel betragen 60° (rote und blaue Linie), 45° (grün und blau) und 75° (oberer Winkel). Die Symbolik bezieht sich auf die einfachsten Formen der klassischen Geometrie.

  • 60° Winkel: die Innenwinkel eines gleichseitigen Dreiecks
  • 45° Winkel: die Winkel der Diagonalen eines gleichseitigen Vierecks (Quadrat)
  • 72° Winkel: der Mittelpunktwinkel eines gleichseitigen Fünfecks (Pentagon)
  • + 3° = 75°: Die 3 ist seit der Antike die Annäherungszahl für die Kreiszahl Pi (~3,14)

Da der 75° Winkel sich über den Innenwinkelsatz als Rest aus 180° - 60° - 45° = 75° ergibt, aber in 72° und 3 zerlegt werden kann, erhält ein solches Dreieck einen magischen Charakter. Es vereint über die Werte der Winkel symbolisch alle Grundformen der klassischen Geometrie: Kreis, gleichseitiges Dreieck, Quadrat und regelmäßiges Fünfeck. Die Konstruktion eines regelmäßigen Fünfecks ist nicht trivial und erfordert die Kenntnis des goldenen Schnitts.

Goldener Schnitt

Folgerichtig kommt es auch zu einem goldenen Schnitt, der bekanntesten Proportion der klassischen Geometrie

  • Die Verlängerung der Mittelsenkrechten (gelb) vom oberen Dreieckspunkt zum unteren Bildrand wird durch die blaue Linie im goldenen Schnitt geteilt.

Der gekippte Kreis

Auch ein Kreis wird gezeigt.

  • Da wo sich die Banderole in der Mitte um den Wacholderzweig wickelt, entsteht in der Mitte eine Ellipse (weiße Fläche). Die Ellipse ist eigentlich ein Kreis, der exakt um 45° nach hinten gekippt wurde. Durch die perspektivische Verzerrung erscheint der Kreis jedoch elliptisch.

Spiralen

Das Spruchband ist mehrfach gewickelt. Dabei entstehen am Anfang und Ende Spiralen. Diese sind nicht zufällig geformt, sondern beziehen sich ebenfalls auf die Geometrie

  • die linke Spirale ist eine goldene Spirale, denn sie hat die Proportionen des goldenen Schnitts
  • die rechte Spirale ist eine archimedische Spirale, da der Spiralarm den Radius vom Mittelpunkt der Spirale immer im selben Abstand schneidet

Worauf bezieht sich die Symbolik?

Die Zahlen 3, 4 und 5 und daraus resultierend die geometrischen Formen des gleichseitigen Dreiecks, des Quadrats und des regelmäßigen Fünfecks sind seit den antiken Mathematikern klassische Symbole der Geometrie. Und alle diese Formen haben ihren Ursprung im Kreis. Nach dem Punkt und der Linie ist er das ursprünglichste geometrische Element. Die Geometrie drückt aus, dass alles Sein auf einfachen Harmonien und Proportionen beruht, bzw. aus der Kombination daraus. Diese Idee wurde hier aufgegriffen.

Insgesamt verweisen die geometrischen Beziehungen der Rückseite auf dieselben symbolischen Winkel und Formen, die sich auch auf der Vorderseite finden lassen. Sie unterstreichen die bereits festgestellten geometrischen Beziehungen des Gemäldes und wirken so wie eine reduzierte Version der verwendeten Symbolik.

Spätestens jetzt wird deutlich, dass es dem Maler neben der klassischen emblematischen Symbolik (Lorbeer, Palme und Wacholder) auch um eine geometrische Symbolik ging. Es ist erstaunlich, dass dies in den bisherigen Untersuchungen des Gemäldes nicht berücksichtigt wurde.

III Kreuz und Davidstern

Die verschobene Bildmitte der Rückseite

Aufgrund der allgemeinen Symmetrie auf der Rückseite, könnte angenommen werden, der Wacholder sei mittig positioniert. Dem ist jedoch nicht so. Daher wird argumentiert, das Gemälde sei links beschnitten worden.

Wird dieser Ansicht gefolgt, muss an der Rückseite links ein Stück so ergänzt werden (dunkelroter Streifen), dass sich der Wacholder genau in der Bildmitte befindet (hellrote Linie). Dieser fehlende Teil wäre dann auch auf der Vorderseite sichtbar.

Auswirkung der Verbreiterung auf die Geometrie der Vorderseite

Die so veränderte Bildbreite führt auf der Vorderseite erstaunlicherweise zu zahlreichen weiteren geometrischen Beziehungen.

  • Die Breite des entstandenen Streifens entspricht exakt 3,14% der ursprünglichen Bildbreite (dunkelroter Streifen). Dies ist der Zahlwert der Kreiszahl Pi.
  • der Baum am rechten Bildrand hat auffallend genau dieselbe Breite des angesetzten Streifens (roter und rot-transparenter Streifen)

Das Rechteck

  • das ehemals goldene Rechteck aus Mittelscheitel, goldenem Knopf und Bildrand hat nun das exakte Seitenverhältnis von 2:3 (gelbes Rechteck). Die Höhe des Rechtecks hat sich nicht verändert und beträgt immer noch 2/3 der Gemäldehöhe (die Gemäldehöhe bezieht sich auf den sichtbaren Teil; ein unterer, ca. 5cm breiter Streifen war stets durch eine Rahmung verdeckt)

Dieses Rechteck rückt das Porträt in die Nähe der zwei bekanntesten Gemälde Leonardo da Vincis, der Mona Lisa und Leonardos Hauptwerk, Das letzte Abendmahl. In beiden Gemälden wird das Seitenverhältnis von 2:3 prominent inszeniert.

Das Kreuz

Es entsteht außerdem ein symbolisches Kreuz.

  • der linke Rand des 2:3 Rechtecks (gelbe Vertikale) befindet sich exakt in der Mitte von Mittelsenkrechter (rote Vertikale) und goldenem Schnitt (orange Vertikale)
  • die Linie zwischen den Augen der Ginevra (gelbe Horizontale) ist genau 1/5 der Höhe der gelben Vertikale
  • die gelbe Horizontale schneidet die gelbe Vertikale ziemlich genau auf 1/3 ihrer Höhe

Die Teilung in 1/3 und 1/5 verweist auf Leonardo da Vincis Initialen, L D V. Das sind die römischen Ziffern für 555, also 3 × 5.

Das Hexagramm

Und schließlich ergibt sich ein regelmäßiges Sechseck (Hexagramm).

  • die Pupille des linken Auges der Ginevra liegt nun im goldenen Schnitt der Bildbreite (orange Vertikale)
  • der Schwerpunkt des gelben Dreiecks aus II ist zugleich der Mittelpunkt eines Umkreises (blauer Kreis), der den vertikalen goldenen Schnitt in zwei Punkten schneidet (blaue Punkte auf oranger Vertikale)
  • durch Verbinden dieser Punkte mit den Eckpunkten des bereits bekannten gelben Dreiecks entsteht ein Hexagramm (blaues und gelbes Dreieck)

Das Sechseck wird durch eine weitere Abhängigkeit bestätigt.

  • die Strecke von Ginevras linkem Auge bis zur rechten oberen Spitze des Sechsecks ist genau doppelt so lang, wie die Strecke vom Mittelpunkt des Sechsecks bis zu Ginveras rechtem Auge

Zu diesem Zeitpunkt wird klar, mit welch außerordentlich verspielter Meisterschaft, die Winkel, Proportionen und Formen ineinander greifen. Dass ein Gemälde dieser malerischen Qualität eine derart elegante Bildkonstruktion aufweist, ist in der Malerei beinah einzigartig und wird nur noch von Leonardos letztem Abendmahl übertroffen. Die für ein Gemälde sehr ungewöhnliche Bemalung der Rückseite hat also keinen bloß dekorativen Charakter. Sie dient vielmehr als vereinfachter Zugang zu einem tieferen Verständnis der Bemalung der Vorderseite.

Die religiöse Bedeutung des Hexagramms

Zwei gespiegelte und ineinander verschobene gleichseitige Dreiecke werden auch als Davidstern bezeichnet. Der Davidstern ist das bedeutendste Symbol im Judentum. Er wurde nach dem legendären jüdischen König David benannt, der ihn einer Legende nach auf seinem Schild getragen haben soll. Das Symbol sollte ihn vor Unheil bewahren und galt seit der Antike als glücksbringend.

Die Schläfenlocke

In diesem Zusammenhang ist ein Detail der Frisur der Ginevra erwähnenswert. Ihr Haar ist streng nach hinten gekämmt. Ebenso sind die seitlichen Locken des linken Teils des Kopfes nach hinten gebunden.

An der rechten Seite ihres Kopfes hängt jedoch eine einzige Locke herab. Sie ist zudem auffallend heller gemalt, als der Rest der Frisur. Der Maler hat diese einzelne Locke also betonen wollen. Sie ist auch der einzige Teil der Frisur, der sich innerhalb des aus II bekannten Dreiecks befindet.

Die Art der Darstellung erinnert an eine Schläfenlocke (hebr. Peot). Schläfenlocken haben vor allem im Judentum eine religiöse Bedeutung und beziehen sich auf das Verbot die Haare zu schneiden (Lev 19,27).

Die Betonung der Schläfe in Leonardos Abendmahl

Es entsteht ein immer zusammenhängenderes Bild von Verweisen auf andere Leonardo Werke, die das Porträt der Ginevra de' Benci mit Leonardo da Vinci in Verbindung bringen können. Denn auch die Schläfe ist im Abendmahl prominent in Szene gesetzt.

Die Perspektivlinien laufen nicht wie allgemein angenommen im rechten Auge des Jesus zusammen, sondern der Fluchtpunkt befindet sich an seiner rechten Schläfe. Es ist dort heute noch die Einschlagstelle des Nagels zu erkennen, den Leonardo benutzte, um die Fäden zu spannen.

Das letzte Abendmahl Bildanalyse – Perspektivlinien
Das letzte Abendmahl, Leonardo da Vinci, um 1498. Der Fluchtpunkt der hier gezeigten Perspektivlinien befindet sich nicht wie oft fälschlicherweise angenommen im rechten Auge des Jesus, sondern an der rechten Schläfe. Die Einschlagstelle eines Nagels von dem aus Leonardo die Fäden spannte ist dort noch immer zu erkennen

Die drei Weltreligionen in Europa

Der Maler des Porträts der Ginevra de' Benci hat bisher streng auf die Verwendung von Symbolen und Proportionen der klassischen Geometrie geachtet.

Die Art der Inszenierung von Hexagramm und Kreuz kann jedoch nur in einem religiösen Kontext verstanden werden. Davidstern und Kreuz sind die jeweils bekanntesten Symbole für das Juden- bzw. Christentum. Diesen zwei großen Weltreligionen ist gemeinsam, dass sie ihren Ursprung in der Bibel haben.

Es gibt allerdings noch eine dritte Weltreligion, die im Zusammenhang mit der Bibel steht, den Islam. Das Symbol des Islams ist die Mondsichel mit fünfeckigem Stern (Hilal).

Durch die osmanischen Eroberungen in Südeuropa bis zum 17. Jh. – Wien wurde 1683 erfolglos belagert – waren die islamischen Osmanen für einige europäische Nationen zum direkten Nachbarn geworden, unter anderem für die italienischen.

In Anbetracht des osmanischen Einflusses auf die Kultur Europas und der bisherigen Bedeutung der Zahl 3 wäre es folgerichtig, neben Kreuz und Davidstern auch den Hilal als drittes religiöses Symbol in dem Gemälde anzunehmen.

IV Hilal und Genf (ital. Ginevra)

Was ist der Hilal?

Der Hilal (arab. Mondsichel) ist das bedeutendste religiöse Symbol im Islam. Er zeigt die stilisierte Sichel des Mondes und kann nach rechts oder links ausgerichtet sein. Es handelt sich dann entweder um die zunehmende oder die abnehmende Mondphase. Der Hilal wird meist in Verbindung mit einem oder mehreren Sternen dargestellt.

Obwohl die echte Mondsichel nie breiter sein kann als eine Mondhälfte, wird das Symbol teilweise überrund gezeichnet. Meist umschließt der Mondkreis dann einen oder mehrere fünfzackige Sterne.

Die Konstruktion des Hilals im Porträt der Ginevra de' Benci

Über die geometrischen Beziehungen im Gemälde lässt sich ein Hilal konstruieren.

Bei genauerer Betrachtung der Landschaft fällt die kreisrunde Form der Hügel auf (gelbe Kreisbögen). Es handelt sich tatsächlich um Kreisausschnitte. Aus der Konstruktion von deren Mittelpunkten ergibt sich der Hilal mit fünfzackigen Stern.

Erster Kreis (vorderer Hügel)

  • vom rechten Auge der Ginevra führt ein 45° Winkel nach rechts unten
  • da wo die Strecke genauso lang ist, wie das Bild breit ist, liegt der Mittelpunkt des Kreises (blauer Punkt)
  • der Kreis ist exakt doppelt so groß, wie der Kreis um Ginevras Kopf

Zweiter Kreis (hinterer Hügel)

  • vom rechten Auge der Ginevra führt ein 22,5° Winkel nach rechts unten (22,5° ist die Hälfte von 45°)
  • da wo der Strahl auf die Horizontale durch den goldenen Knopf an Ginevras Dekolleté trifft, liegt der Mittelpunkt des Kreises
  • der Kreis ist genauso groß, wie der Kreis um Ginevras Kopf
  • die Strecke vom Auge bis zum Mittelpunkt des Kreises entspricht genau der Hälfte der Bildbreite

Fünfzackiger Stern

  • der goldene Knopf an Ginevras Dekolleté befindet sich genau in der Mitte des linken Radius vom zweiten Kreis (weiße und grüne Linie am gelb hervorgehobenen Knopf)
  • vom goldenen Knopf zeigt ein 18° Winkel zum Mittelpunkt der Strecke von Ginevras rechtem Auge zum Mittelpunkt des größeren Kreises (weiße Linie und gelber Punkt)
  • wird um den goldenen Knopf ein Kreis gezeichnet, der halb so groß ist wie der größere Umkreis (grüne Kreise), ergibt sich daraus der Mittelpunktwinkel eines inneliegenden Fünfecks: Der höchste Punkt dieses Kreises liegt bei 90° nach oben (oberer grüner Punkt)
  • Aus der Differenz von 90° Winkel und dem bereits bekannten 18° Winkel (rechter grüner Punkt) ergibt sich: 90° - 18° = 72°, der Mittelpunktswinkel eines regelmäßigen Fünfecks (hellgrauer Stern)

Hilal

  • der Umkreis der Fünfecks verdeckt den größeren Umkreis in der Form einer stilisierten Mondsichel

Analog zu der geometrischen Konstruktion von Hexagon und Kreuz unterliegt also auch die Konstruktion der Mondsichel einem System von harmonischen Proportionen, Winkeln und Formen.

Es ist nun augenfällig, dass es dem Maler um die Darstellung religiöser Symbole ging (Mouseover). Davidstern, Kreuz und Hilal sind die Symbole der drei großen europäischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam.

Durch die Art der Anordnung der Symbole entsteht der Eindruck einer Chronologie. Ein kleinerer Davidstern, ein größeres christliches Kreuz und schließlich ein islamischer Hilal im Vordergrund. Das Judentum ist dabei die älteste Religion (ca. 2000 v. Chr.), gefolgt vom Christentum (ca. 30 n.Chr), auf das der Islam folgte (ca. 610n. Chr.).

Astronomische Bezüge

Alle drei Religionen haben starke Bezüge zur Astronomie. Die Position von Sonne und Mond spielt eine zentrale Rolle bei der Bestimmung von deren höchsten Feiertagen.

  • Jom Kippur (Judentum): 10. Tag des ersten Monats (im Judentum wird der Mondkalender verwendet)
  • Ostern (Christentum): 1. Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühlingssonnenwende (im Christentum wird ein Sonnenkalender verwendet)
  • Opferfest (Islam): am 10. Tag des letzten Monats (im Islam wird der Mondkalender verwendet)

Wesentlich für die Bestimmung dieser Daten ist die Astronomie und damit die Kenntnis der Geometrie (altgr. Erdvermessung).

Sonne, Mond und Erde

Für die Konstruktion der religiösen Symbole im Porträt der Ginevra de' Benci waren drei Kreise notwendig. Deren Anordnung und die Konstruktionslinien lassen an eine astronomische Skizze von Sonne, Mond und Erde denken.

  • Sonne: von Ginevras rechtem Auge, dem Mittelpunkt des Umkreises um ihren Kopf gehen zwei Strahlen zu den Mittelpunkten der anderen beiden Kreise aus
  • Mond: wurde in der Mondsichel erkannt
  • Erde: der Strahl von Ginevras rechtem Auge trifft im 45° Winkel auf den größeren Kreis (gelber Punkt auf größerem Kreis). Damit wurde ein Ort auf der Erdoberfläche markiert (Genf).
  • Erde: vom Mittelpunkt des fünfzackigen Sterns im Hilal (goldener Knopf am Dekolleté) führt ein Winkel von 21,25° zum Mittelpunkt des größeren (Erd)Kreises. Auf diesem Breitengrad befindet sich die im Islam bedeutende Stadt Mekka

Was Ginevra de' Benci, Genf und Mekka verbindet

Ginevra ist die italienische Bezeichnung der Schweizer Stadt Genf. Ginevras Vater Amerigo Benci leitete zur Zeit von Ginevras Geburt die Medici Bank in Genf. Die Stadt liegt sehr nahe am 45. Breitengrad (46,2°). Die Abweichung ist mit ca. 130km nur sehr gering (0,65%). Von allen Orten auf dem 45. Breitengrad, ist Turin die bekannteste. Die Stadt befindet sich mit 45,1° annähernd exakt auf diesem Winkel.

Mekka, die Geburtsstadt des Propheten Mohammed und heute Wallfahrtsort aller Muslime, ist eng mit dem goldenen Schnitt verbunden. Die Stadt befindet sich hinsichtlich ihrer Position zwischen Nord- und Südpol im goldenen Schnitt (obere Abbildung).

Mekka und Genf befinden sich also hinsichtlich ihrer Position auf der Erdoberfläche in einer für die Geometrie symbolischen Lage. Genf ist mit dem 45° Winkel verbunden (Diagonale von Quadraten) und Mekka mit dem goldenen Schnitt (regelmäßige Fünfecke).

Es ist nun offensichtlich, dass der vordere große Kreis die Erde symbolisiert, da auf ihm zwei Winkel markiert wurden, die auf bedeutende historische Orte zeigen. Der eine steht mit Ginevras Geburt in Zusammenhang (Genf), der andere mit der Geburt des Propheten Mohammed.

Damit müssen die drei Kreise nun als Sonne, Mond und Erde gedeutet werden. Dass sich aus den geometrischen Beziehungen im Gemälde außerdem die Symbole der drei großen europäischen Religionen ergeben, Davidstern, Kreuz und Hilal, verblüfft. Vergleichbar komplexe geometrische Beziehungen finden sich sonst nur in Leonardos Darstellung vom letzten Abendmahl.

V Der Blick des versteckten Porträts

Der Maler des Porträts der Ginevra de' Benci hat nicht nur über die verwendete Symbolik und geometrische Beziehungen inhaltliche Ebenen hinzugefügt. Er verwendete ebenso Doppelbilder.

Doppelbilder sind ein klassisches Mittel der Malerei, um über das zunächst Erkennbare hinaus den Sinn der Gemälde zu erweitern, bzw. deren Deutung zu konkretisieren. Ihre Verwendung ist seit der frühen Renaissance bekannt. Doch bereits mittelalterliche Zeichnungen zeigen diese Form der Ästhetik.

Der surrealistische Maler Salvador Dalí († 1989) gilt für die Moderne als der bedeutendste Künstler auf diesem Gebiet.

Kreuzschraffuren und Hell-Dunkel Kontraste

Der Wacholder ist nicht nach der Natur gemalt. Der Stiel eines Wacholderzweiges ist in der Natur sehr viel breiter als die Nadeln. Die Strichführung erinnert so an Kreuzschraffuren im Stil einer Zeichnung.

Ein Wacholder ist zudem nie so braun und schwarz, wie in dem Gemälde. Bei der Ausführung des Wacholders handelt es sich also um ein stilistisches Mittel, mit der Absicht starke Hell-Dunkel Kontraste und feine sich kreuzende Linien einzuführen.

Die Zeichnung eines Gesichts

Wird der Blick nun auf den hellen Fleck im linken unteren Bereich des Wacholders fokussiert, entsteht der Eindruck eines frontal gemalten, scharf nach rechts blickenden Gesichts. Die Person wird von links vorn her beleuchtet und trägt ein sehr schräg sitzendes Barett, das exakt im 60° Winkel die rechte Hälfte des Gesichts begrenzt. Die Darstellung erinnert an die Selbstporträts des niederländischen Malers Rembrandt van Rijn († 1669).

Die Kirchturmspitze im Blick

Die Blickrichtung des Porträts im Wacholder ist klar erkennbar und zielt auf den Kirchturm des Dorfes im Hintergrund der Landschaft (roter Punkt).

  • die Richtlinie des Blickes (rote Linie) ist vom rechten Auge der Person im Wacholder genau 7/8 der Bildbreite lang, und hat dieselbe Länge, wie jede Seite des in II gezeigten großen gleichseitigen Dreiecks (weiße Linien)

Auffällig sind die nach rechts geneigten Bäume und Gebäude im Hintergrund der Landschaft

  • die Bäume der Landschaft sind nicht senkrecht gemalt, sondern alle um ca. 3,14° nach rechts geneigt
  • auch sind die Gebäude leicht schief. Sie sind ebenfalls um ca. 3,14° geneigt

Der Zahlwert der Winkel weist also auf die Kreisform hin. Denn die Kreiszahl Pi (~3,14) gibt den Umfang eines Kreises mit dem Durchmesser von 1 an.

Hinter dem Kirchturm befindet sich ein monochrom blauer, kreisrunder Hügel (dunkelblaue Linie). Es handelt sich auch bei diesem Hügel um einen Kreisausschnitt.

  • der Mittelpunkt des Kreises befindet sich am Schnittpunkt der verlängerten Linie des um 3,14° geneigten Kirchturms mit der Vertikalen durch den Schnittpunkt der Kreise der beiden vorderen Hügel (bekannt aus der Konstruktion der Mondsichel aus IV) und (Mouseover: graue und dunkelrote Vertikale)
  • der Kreis ist exakt 4mal so groß, wie der Kreis um Ginevras Kopf (Mouseover: dunkelblauer Kreis)

Der blaue Hügel

Die überzeichnet monochrome Darstellung des letzten blauen Hügels, der sich als erdrunder Kreis in der Landschaft erhebt, muss den Betrachter als gemalter Wasserberg erscheinen, der sich als eine gewaltige überdimensionale und allesverschlingende Flutwelle hinter dem Dorf erhebt.

Die unnatürlich nach rechts geneigten Bäume und Gebäude verstärken den stürmischen Eindruck der Szenerie.

Dass dazu der gelassene Blick des Porträts im Wacholder speziell auf den Kirchturm zielt, gibt dem sintflutartigen Eindruck im Bildhintergrund nun einen politischen Charakter. Denn die drei Gebäude sind als Dorf im Gesamten ein Symbol für die Ständepyramide Europas, wie oben gezeigt wurde. Sie stehen für die Bauern (Mühle), die Kirche (Kirchturm) und den Adel (Felsenburg am rechten Bildrand).

Ginevra de' Benci Bildanalyse – Neigungswinkel der Gebäude im Hintergrund der Landschaft
Ginevra de Benci (Detail), Leonardo da Vinci zugeschrieben
Die Bäume im Vordergrund und die Gebäude im Hintergrund sind parallel ausgerichtet und im Winkel von ~3,14° geneigt (orange Linien)

Das Zeitalter der Aufklärung

Ab ca. 1700 kam es mit der Aufklärung zu einer breiten philosophischen Bewegung, die im wesentlichen zwei Dinge forderte. Zum einen die Unabhängigkeit der Wissenschaft von kirchlichen Glaubenssätzen. Zum anderen die Abschaffung der Adelsprivilegien. Es handelte sich also um eine zunächst geistige Revolution des dritten Standes – gebildete Bürger und Bauern – gegen die Vorherrschaft der anderen zwei Stände, Kirche und Adel. Die drei Stände werden durch die drei Gebäude der Landschaft symbolisiert.

Die Aufklärung erreichte ihren politischen Höhepunkt mit der Unabhängigkeitserklärung der USA (1776) und der wenige Jahre später erfolgten französischen Revolution (1789). Im Ergebnis sagten sich die Bürger der USA vom englischen König los, während die Bürger Frankreichs per Verfassung unveräußerliche Menschenrechte zugesprochen bekamen.

Die Rechte der Kirche wurden ebenfalls stark eingeschränkt, so sehr, dass der aus der französischen Revolution hervorgehende Napoleon 1809 sogar den Papst inhaftieren konnte.

Die Aufklärung muss so als Sturm begriffen werden, der die 1000 Jahre alte ständische Ordnung Europas hinweggefegt hat. Die Flutwelle im Gemälde, die sich hinter dem Dorf aufbaut, steht sinnbildlich für diesen Umbruch.

Hat Leonardo da Vinci dieses Porträt gemalt?

Neben der geometrischen Andeutung des allsehenen Auges in II, das erstmals 1682 nachweisbar ist, stellt sich erneut die Frage nach der Autorschaft Leonardos. Hat er bereits um 1474 die politischen Ideen prophezeit, die zu der Aufklärung und eng damit verbunden der amerikanischen (1776) sowie der französischen Revolution (1789) führten und sie in das Gemälde eingebracht? Seinerzeit war die Beseitigung der gottgewollten Ständeordnung eine weltfremde Utopie.

Lorbeer- und Palmblatt auf der Rückseite des Gemäldes haben in dieser Form der Darstellung einen politischen Charakter und meinen einen politischen Triumph. Ist das Werk in Vorahnung dieses Triumphes über Adel und Kirche entstanden? Dann wäre es ein wahrhaft prophetisches Werk Leonardo da Vincis. Oder ist es nachvollziehbarer, dass es unmittelbar nach dem revolutionären Triumph des amerikanischen und französischen Bürgertums entstanden ist?

Dann wäre eine Datierung auf ca. 1776-1805 wahrscheinlicher und die These einer Autorschaft Leonardos nicht länger haltbar. 1805 wurde das Gemälde erstmals öffentlich ausgestellt. Davor gibt es nur eine Handvoll ungenauer Erwähnungen.

Was für eine Autorschaft Leonardos spricht

Es ist jedoch unbestreitbar, dass das Gemälde für Leonardos Malerei typische Merkmale aufweist, zum Beispiel:

  • die wirbelnde Art der Darstellung der Locken
  • der Verzicht auf Architektur, stattdessen nur ein Mensch und Natur
  • der Fingerabdruck des Malers (Leonardo soll auch mit den Händen gemalt haben)
  • Einarbeitung biographischer Merkmale in die Porträts (der fahle Gesichtsausdruck der von Bernardo Bembo verlassenen Ginevra, die Ähnlichkeit des Emblems der Rückseite mit dem Siegel Bernardo Bembos bzw. dessen übermaltes Motto auf der Rückseite)
  • die komplexen geometrischen Beziehungen sind ebenso leonardesk

Wenn es sich also nicht um ein Werk Leonardo da Vincis handelt, hat der Maler große Mühe darauf verwendet, es rein formal wie eines wirken zu lassen. Das ließe dann auf eine bewusste Fälschung schließen.

Ebenso exisitieren nur sehr wenige Dokumente, die das Gemälde mit Ginvera de' Benci und Bernardo Bembo in Verbindung bringen (z.B. das persönliche Siegel Bembos). Sie wären für einen gut vernetzten und erfinderischen Geist leicht zu fälschen gewesen.

Wichtiger Hinweis:

Der Artikel befindet sich ab hier in der Überarbeitung.

Tod des Sokrates, Jacques Louis David, 1787
Der zum Himmel (d.h. zu Jesus, dem "Licht der Welt", joh 8,12) deutende Zeigefinger wurde von Leonardo da Vinci in die Malerei eingeführt. Normalerweise steht er in Verbindung mit Johannes dem Täufer und ist zumeist eine Anspielung auf Leonardo da Vinci
Raffael – Schule von Athen
Raffael, die Schule von Athen, 1510-1511
Das Wandgemälde befindet sich in den ehemaligen Privaträumen der Päpste im Vatikan in Rom. Es zeigt berühmte Personen der Antike, die teilweise die Gesichtszüge zeitgenössischer Personen tragen. Leonardo da Vinci wird zentral mit nach oben deutenden Zeigefinger als Platon dargestellt. Platon war Schüler des Sokrates. Da Sokrates keine Schriften hinterlassen hat, ist seine Lehre nur durch die Aufzeichnungen Platons bekannt. Sokrates wurde wegen Verführung der Jugend zum Tode verurteilt. Statt zu fliehen akzeptierte er das Urteil und leerte einen ihm gereichten Giftbecher. Das Gemälde "Tod des Sokrates" von Jacques Louis David zeigt diesen Moment
Die Krönung von Napoleon, Jacques Louis David, 1805-1807
Jacques Louis David war der bedeutendste Hofmaler Napoleons und bei weitem der Fähigste. Seine Gemälde trugen viel zur Legendenbildung Napoleons bei.
Das Gemälde ist etwa so groß wie Leonardos Abendmahl und zeigt Napoleon, der sich im Beisein des Papstes selbst zum Kaiser krönt, statt wie üblich vom Papst zum Kaiser gekrönt zu werden. Als weitere symbolische Handlung ließ Napoleon den Papst ab 1809 inhaftieren. Frankreich ist seit diesen Ereignissen ein säkulärer Staat, d.h. religiöse Organisationen wie die Kirche haben keinen politischen Einfluss im Staat
Schwur der Horatier, Jacques Louis David, 1784
Jacques Louis Davids Gemälde zeigt bereits hier den römischen Gruß, der 100 Jahre später von den revolutionären Faschisten in Italien und Deutschland übernommen werden sollte

Mehr als 500 Jahre nachdem sie gemalt wurde, sitzt Ginevra stolz vor ihrem Wacholderbaum, eine halbe Welt entfernt von der Stadt, in der sie lebte, in einem Land, von dem sie nicht einmal wusste, dass es existiert.

Meryl Streep in "Ginevra's Story"

Ginevra's Story (englisch)

Dokumentation mit Meryl Streep als Sprecherin

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Die knapp einstündige offizielle Dokumentation zum Bildnis der Ginevra de' Benci wurde von der National Gallery of Art produziert, dem Museum in dem das Gemälde heute ausgestellt ist. Es ist die einzige und umfangreichste filmische Dokumentation unter Mitwirkung des Museums. Die Schauspielerin Meryl Streep engagierte sich dafür als Sprecherin. Der Film erzählt die Geschichte des Gemäldes aus der Sicht des Museums und geht auf einige Besonderheiten der Darstellung ein. In einigen Szenen wird das Gemälde in seinem Originalzustand gezeigt, also ohne Rahmung (Vorderseite: 22:48, Rückseite: 32:30).
Angesichts der unzähligen Experten, die an der Dokumentation des Museums mitwirkten, ist es verwunderlich, warum die Untersuchung der Bildgeometrie des Gemäldes bisher völlig vernachlässigt wurde.

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Quellen

Website des ausstellenden Museums: National Gallery of Art, Washington D.C.

Frank Zöllner, Leonardo, Taschen (2019)

Martin Kemp, Leonardo, C.H. Beck (2008)

Charles Niccholl, Leonardo da Vinci: Die Biographie, Fischer (2019)

Johannes Itten, Bildanalysen, Ravensburger (1988)

Euklid, Die Elemente, Verlag Europa Lehrmittel (2015)

Luca Pacioli, Divina Proportione, Die Lehre vom goldenen Schnitt, Forgotten Books (2018)

Besonders empfehlenswert

Marianne Schneider, Das große Leonardo Buch – Sein Leben und Werk in Zeugnissen, Selbstzeugnissen und Dokumenten, Schirmer/ Mosel (2019)

Leonardo da Vinci, Schriften zur Malerei und sämtliche Gemälde, Schirmer/ Mosel (2011)

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