Raffael – Schule von Athen

Leonardos Architektur

Was hat Leonardo da Vinci als Architekt gemacht?

Es sind keine Gebäude erhalten, die Leonardo da Vinci als Architekt ausgeführt hat. Er interessierte sich mehr für den geistigen Entwurf, als für die praktische Durchführung und stand damit in der Tradition des berühmten Architekten Leon Battista Alberti. Als Höhepunkt von Leonardos architektonischen Entwürfen gilt der Plan für das königliche Schloss in Chambord, der aber erst nach Leonardos Tod realisiert wurde. Daneben zeigen die historischen Quellen, dass Leonardo für den Mailänder Herzog Ludovico Sforza an kleineren Bauprojekten arbeitete, z.b. einen von einer Kuppel gekrönten Garten für die Herzogin von Mailand. Außerdem war Leonardo in den Bereichen Festungs- und Brückenbau, Stadtplanung, sowie Vermessung führend.

Was prägte Leonardos Architektur?

Die Errichtung der Kathedrale von Florenz, speziell die von Brunelleschi entworfene Kuppel, hatte einen großen Einfluss auf Leonardos Ideen zur Architektur. Die Bauarbeiten der damals größten Kuppel der Welt wurden 1468 abgeschlossen, also zur Zeit von Leonardos Ausbildung bei Andrea del Verrocchio. Verrocchios Werkstatt fertigte die 2m große, vergoldete Kupferkugel an, die sich auf der Kuppel befindet. Außerdem wurde Leonardo stark von der Antike beeinflusst. Er besaß eine Ausgabe von "Zehn Bücher über die Architektur". Das Lehrwerk des antiken Baumeisters Vitruv ist das einzige erhalten gebliebene Buch über das antike Bauwesen. Ebenso studierte Leonardo die antiken Ruinen in Norditalien und vor allem in Rom, wo er z.B. die Hadriansvilla bei Tivoli besuchte. Leonardos späte Entwürfe für das Schloss Chambord deuten zudem darauf hin, dass seine Überlegungen zu den Gesetzen der Bewegung in seine Entwürfe eingeflossen sind.

Was zeichnet den architektonischen Stil Leonardos aus?

Leonardo bevorzugte den Zentralbau und hatte eine Vorliebe für Kuppelbauten. Ebenso transportierte er die aus seiner Malerei bekannten spiralförmigen Aufwärtsbewegungen in seine späteren Bauwerke, was sich z.B. in der berühmten doppelläufigen Treppe im Schloss Chambord zeigt. Daneben war Leonardo ein sehr praktisch denkender Architekt, der stets einfache und zugleich elegante Lösungen erdachte, was vor allem anhand der von ihm entworfenen Brücken deutlich wird.

Was hat Leonardo da Vinci als Bauingenieur gemacht?

Leonardo war ein gefragter Berater in allen Fragen des Bauwesens, der einfallsreiche Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme hatte. Sein umfangreiches Verständnis vom Bauhandwerk umfasste neben den theoretischen Disziplinen des Entwurfs, der Konstruktion und der technischen Mechanik, auch ganz praktische Themen, wie Vermessung, Werkstoffkunde und Bauorganisation. Zu seinen ehrgeizigsten, jedoch unausgeführten Ideen als Bauingenieur zählen die mit Ästhetik begründete Anhebung der Taufkirche des Doms von Florenz, sowie die Pläne zum Umlenken und Kanalisieren von Flüssen, z.b. um feindlich gesinnte Armeen oder Städte zu überfluten. Daneben plante Leonardo die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe bei Rom. Dadurch sollte die damals in Italien noch sehr präsente Malaria bekämpft werden, die durch Mücken übertragen wird. Leonardos Mutter Caterina war zuvor an Malaria gestorben (Wechselfieber).

Armselig der Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft.

Leonardo da Vinci

Leonardos architektonische Einflüsse

Florenz - Wiege der Renaissance

Florenz war zur Zeit der Renaissance eine Handels- und Bankenmetropole und gehörte zu den reichsten Städten Europas. Die Stadt war zudem eine Republik (seit 1115), d.h. die Regierung setzte sich im wesentlichen aus Vertretern der ansässigen Gilden zusammen und die Bürger waren frei, d.h. die Leibeigenschaft war abgeschafft. Die reichen Familien förderten die Künste in einem Maße, dass Florenz zur damaligen Zeit die Kulturhauptstadt Europas war. Besonders die einflussreiche Bankiersfamilie Medici tat sich dabei hervor. Das Selbstbewusstsein und der Reichtum der Stadt drücken sich vor allem in den zu dieser Zeit entstandenen Bauten aus, die noch heute das Stadtbild prägen. Typisch für diese Bauwerke sind der aus der Region stammende weiße Marmor und geometrisch strukturierte Fassaden.

Leonardo zog im Alter von 12 bis 16 Jahren vom Florentiner Vorort Vinci nach Florenz. Um Leonardos architektonische Entwürfe zu verstehen, ist es wichtig die kulturell bedeutendsten Gebäude der Stadt zu kennen. Die Imposanz, aber auch deren häufiger Anblick haben den jungen Leonardo sicher stark geprägt. Die Erinnerung an die Architekten dieser Bauwerke war sehr präsent. So hatten Giotto, Brunelleschi und Alberti in der Stadt einen beinah legendären Status.

Vitruv - Das antike Vorbild

Einen großen Einfluss auf die Architektur der Renaissance hatte das Buch "Zehn Bücher über die Architektur" des antiken Baumeisters Marcus Vitruvius Pollio, genannt Vitruv (1. Jh. v. Chr.), der für den römischen Diktator Cäsar und seinen Nachfolger Kaiser Augustus wirkte. Vitruvs Buch ist das einzige aus der Antike erhaltene Werk über die Architektur. Vitruv ist heute vor allem durch eine Zeichnung Leonardos bekannt. Der Vitruvianische Mensch veranschaulicht die Proportionslehre nach Vitruv.

Für die Renaissance bedeutend ist die Tatsache, dass Vitruv den Begriff des Architekten weiter spannt. Im ersten Kapitel (1. Buch) nennt er die zehn Ausbildungsinhalte von Architekten: Schriftkunde, Zeichnen, Geometrie, Arithmetik, Geschichte, Philosophie, Musik, Medizin, Jura und Astronomie. Vitruvs Buch behandelt weiterhin die Themen Wasserversorgung, Uhren- und Maschinenbau. Von daher war es für die Architekten, sowohl in der Antike, als auch in der Renaissance, selbstverständlich, dass sie sich in allen Bereichen des Bauwesens auskannten: Idee, Entwurf, Organisation und praktische Durchführung. Das bedeutete, dass die Baumeister u.a. für die Konstruktion von Baumaschinen, Kränen, Maschinen zur Steinbearbeitung und Maschinen zur Werkzeugherstellung verantwortlich waren.

Filippo Brunelleschi - Der Praktiker

Der Florentiner Brunelleschi (1377-1446) war nicht nur ein begnadeter Architekt und Bildhauer, sondern zugleich auch ein talentierter Maschinenbauer und Erfinder. Er erfand ein Wechselgetriebe für Baukräne, das die Auf- und Abbewegungen der Körbe durch einen mechanischen Umschalter ermöglichte. Zuvor mussten die im Kreis laufenden Maultiere für den Antrieb des Krans immer für die andere Richtung umgespannt werden, was sehr zeitaufwändig war. Weiterhin entwickelte er eine spezielle Fähre zum Transport von schweren Marmorblöcken, die jedoch beim ersten Einsatz sank. Außerdem tat er sich als Konstrukteur von Hebebühnen für Theatervorführungen hervor.

Brunelleschi war der Architekt des Zentralbaus mit der gewaltigen Kuppel für die Kathedrale von Florenz. Die Kuppel blieb bis in das 19. Jh der größte Kuppelbau der Welt und läutete eine Ära von repräsentativen Kuppelbauten ein: Petersdom in Rom (ab 1506), St. Paul's Cathedral in London (ab 1710) und das Kapitol in Washington D.C. (ab 1864), um nur wenige zu nennen.

Der Mythos vom 15.4.

Der Todestag von Brunelleschi im Jahr 1446 wird heute mit dem 15.4. angegeben. Der 15.4. ist zugleich der Geburtstag von Leonardo da Vinci im Jahr 1452, also sechs Jahre später. Während Leonardos Geburtstag historisch belegbar ist, wurde der Todestag von Brunelleschi erst nachträglich festgelegt, da er durch keine zeitgenössischen Quellen belegt werden kann. Der erste Kunsthistoriker Vasari spricht in seiner Brunelleschi Biografie (1550) noch vom 16.4. als Todestag.

Es ist wahrscheinlich, dass frühe Biografen Brunelleschis Todestag so gelegt haben, dass er mit Leonardos Geburtstag zusammenfällt. Damit sollte der fließende Übergang der Tradition der schönen Künste in der Republik Florenz betont werden. Brunelleschi, durch seine Verbindung von Kunst und Ingenieurwesen, wird häufig als eines der geistigen Vorbilder Leonardos genannt. Er hatte durch die Konstruktion der damals größten Kuppel der Welt das Stadtbild von Florenz nachhaltig geprägt. Leonardo hingegen gilt heute als der berühmteste Sohn der Stadt, der viel zum Ruf von Florenz als Hauptstadt der Renaissance beigetragen hat. Darüber hinaus gibt es auch eine direkte Verbindung. Der 16-Jährige Leonardo war 1468 als Schüler der Werkstatt seines Lehrmeisters Verroccchio an den Abschlussarbeiten der Kuppel Brunelleschis beteiligt. Er half dabei, die rund zwei Meter hohe vergoldete Kupferkugel auf der Kuppel der Kathedrale anzubringen, die in einer Kopie noch heute dort zu sehen ist.

Leon Battista Alberti - Der Feingeistige

Brunelleschi starb vor Leonardos Geburt, aber Alberti (1404-1472) hat Leonardo noch erleben können. Wie auch Brunelleschi war Alberti kein klassischer Architekt, sondern ein universal gelehrter Künstler: Jurist, Schriftsteller, Verfasser kunsttheoretischer Schriften, Landvermesser und Mathematiker. Im Hinblick auf Leonardo ist es nicht unbedeutend, dass eine seiner kunsttheoretischen Schriften den Titel De pictura („Über die Malkunst“) trägt. Darin finden sich zahlreiche Übereinstimmungen mit Leonardos eigenem Werk "Trattato della Pittura" (Traktat über die Malerei), z.B. wenn er die Natur zur Quelle der Inspiration bestimmt.

Alberti war im Gegensatz zu Brunelleschi schöngeistiger und weniger praktisch orientiert. So begenügte er sich mit dem Entwurf von Bauwerken und überließ die eigentliche Durchführung Bauleitern vor Ort, was damals eine Revolution darstellte. Er betonte dadurch den geistigen Charakter der Architektur und überführte ihre Wahrnehmung weg vom Handwerk und hin zur Kunst. Diese Eigenschaft der Genügsamkeit, der Freude an der Idee und dem Entwurf an sich, ohne auf den Unannehmlichkeiten der praktischen Durchführung zu bestehen, ist eine Eigenschaft, die auch Leonardo zu eigen sein scheint.

Andrea del Verrocchio - Leonardos Lehrer

Vermutlich mit dem Umzug des jugendlichen Leonardo von Vinci nach Florenz (1464-1468) begann seine Ausbildung bei Verrocchio. Schwerpunkt der Ausbildung lag sicher auf Bildhauerei und Malerei, denn architektonische Arbeiten Verrocchios sind nicht bekannt. Doch wie für die Künstlerwerkstätten jener Zeit üblich, waren die praktischen Aspekte der Malerei und Bildhauerei nur ein kleiner Teil von Leonardos Ausbildung. Seine Ausbildung orientierte sich an den aus der Antike bekannten allgemeinen Lehrinhalten nach dem Prinzip der "sieben Künste": Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.

Ob Leonardo bereits bei Verrocchio mit Vitruvs Lehrbuch über die Architektur in Kontakt kam, ist unklar. Später besaß er ein Exemplar, wie aus seinen Bücherlisten hervorgeht. Während Leonardos Ausbildung erhielt Verrocchios Werkstatt den Auftrag, eine 2m große vergoldete Kupferkugel auf der Kuppel anzubringen. Mit dem Anbringen der Kugel sollten die Arbeiten an Brunelleschis Kuppel auf der Kathedrale von Florenz zum Abschluss kommen. Es war damals selbstverständlich, dass Verrocchio die dafür notwendigen Konstruktionen und Kräne herstellte. Vermutlich war der damals 16-jährige Leonardo an diesen Arbeiten beteiligt. Möglicherweise hat Leonardo durch Verrocchio auch den legendären Architekten Alberti persönlich kennenlernen können. Aufgrund der bedeutenden Stellung von Verroccchios Werkstatt für Florenz ist es wahrscheinlich, dass beide sich dort begegnet sind. Alberti starb als Leonardo 20 Jahre alt war.

Leonardo und Bramante

Die Beziehung zwischen Leonardo da Vinci und Donato Bramante gilt als eine der rätselhaftesten in der Architekturgeschichte. Je nachdem wie genial Leonardos Fähigkeiten in der Architektur eingeschätzt werden, hat entweder Leonardo Bramante beeinflusst, oder umgekehrt.

Donato Bramante (1444-1514) war ein italienischer Maler und Architekt. Er wurde in Fermignano geboren, einem Vorort von Urbino, der Heimatstadt von Raffael. Sein Schaffen gilt als Beginn der Hochrenaissance-Architektur, die durch Monumentalität, aufwändige Kuppelbauten und detaillierte Ornamentik gekennzeichnet ist. Als sein größtes Werk gilt der Entwurf für den Petersdom in Rom, dessen Bau er von 1506 bis zu seinem Tod 1514 betreute. Sein Nachfolger auf der Baustelle wurde Raffael, 20 Jahre später dann Michelangelo.

Leonardo und Bramante trafen sich in den 1480er Jahren in Mailand. Leonardo hatte Florenz im Alter von 30 Jahren verlassen und war auf der Suche nach finanzkräftigen Auftraggebern. Etwa zur selben Zeit war der acht Jahre ältere Bramante an den Hof des Mailänder Herrschers Ludovico Sforza gekommen. Wann genau sich beide kennenlernten ist unklar. Leonardo war etwa ab 1487 Mitglied des Mailänder Hofes. Erster Beleg für eine Zusammenarbeit ist ein gemeinsamer Aufenthalt in Pavia im Jahr 1488, um die dortige Dombaubehörde zu unterstützen. Zuvor versuchte Leonardo sich für die Bauarbeiten am noch unvollendeten Mailänder Dom zu empfehlen.

Dom von Mailand

Leonardo tritt den Quellen nach erstmals um 1487 als Architekt in Erscheinung, als er sich in einem metaphorischen Brief als Arzt für den kranken Mailänder Dom anbietet, der sich zu der Zeit noch im Bau befindet. Leonardo erhält den Auftrag nicht.

Dom von Pavia

1488 reist Leonardo nach Pavia, wo der Bau eines Doms begonnen wird. Zur selben Zeit hält sich auch Bramante dort auf. Der Dom von Pavia war ein ähnlich monumentales Projekt, wie der in Florenz. Auch wenn der Kuppeldurchmesser etwa 1/4 kleiner war, sollte es die drittgrößte Kuppel ihrer Zeit werden. Ob Leonardo aus Neugier reiste, den Auftrag zur Bauleitung erhoffte oder als Berater eingeladen wurde, ist heute unklar. Zwei Jahre später wird der Bauleiter des Mailänder Doms nach Pavia zur Beratung eingeladen. Im PS wird die Einladung auch auf Leonardo erweitert, der daraufhin zur Beratung der Dombaubehörde nach Pavia reist. Bramante hält sich zur selben Zeit in Pavia auf.

Wer genau für den Entwurf des Doms in Pavia verantwortlich ist, ist unklar. Es kommen sowohl Bramante, Leonardo oder der Bauleiter am Mailänder Dom Francesco di Giorgio in Betracht. Einigkeit besteht unter den Historikern darin, dass es sich bei der Konstruktion um ein Pilotprojekt für den Petersdom in Rom handelt und zugleich Bezüge zu den Sakralbauten in Florenz zu erkennen sind, also der Heimatstadt Leonardos.

Santa Maria delle Grazie

Leonardos berühmtes Gemälde Das letzte Abendmahl steht ebenso mit Bramante in Verbindung. Die Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand war 1490 fertiggestellt worden, da beschloss der Mailänder Herrscher Ludovico Sforza, es zur Begräbnisstätte der Sforzas zu machen. Daher wurde der soeben fertiggestellte östliche Teil des Gebäudes mit dem Altar abgerissen und ab 1492 durch einen Zentralbau ersetzt. Bramante führte die Aufsicht bei dem Projekt. Während die Bauarbeiten für das Prestigeprojekt liefen, begann Leonardo 1495 das Abendmahl-Gemälde, das sich in einem anderen Gebäudeteil befand. Er beendete das Gemälde 1498. Mit der Vertreibung von Ludovico Sforza verließen Bramante und Leonardo Mailand. Beide wollten zunächst gemeinsam nach Rom gehen, doch trennten sich ihre Wege. Leonardo ging zurück nach Florenz und Bramante begann sich um den Auftrag für den Bau des Petersdoms zu bemühen.

Tempietto di Bramante

Das Tempietto (ital. 'Tempelchen') war der erste Auftrag Bramantes in Rom. Es handelte sich um einen damals neuen Gebäudetypus, der Grabeskirche in Zentralbauweise. Der Auftrag für das unscheinbare Werk steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Auftrag zum Bau des Petersdoms. Denn der Rundbau befindet sich auf der angenommenen Kreuzigungstelle des Apostels Petrus. Der Petersdom hingegen befindet sich über dem angenommenen Grab von Petrus. Insofern ist das Tempietto bereits eine Vorarbeit für den Petersdom.

Etwa fünf Jahre später wird in der Toskana mit dem "Tumulo di Montecalvario" ein antiker Grabhügel entdeckt, für den Leonardo sich interessiert. Er lässt sich sich davon zum Entwurf für einen monumentalen Grabhügel inspirieren, der mit dem tatsächlich vorgefundenen antiken Grab jedoch nur noch wenig gemein hat. Stattdessen erinnert der architektonische Aufbau in Leonardos Skizze an Bramantes Tempietto in Rom. Leonardo macht in seiner Zeichnung deutlich, dass die Wirkung eines Gebäudes nicht nur von der Gestalt, sondern auch vom Zusammenspiel mit der Umgebung abhängt. Insofern ist Leonardos Skizze sicherlich eine kritische Betrachtung von Bramantes Rundbau, auch wenn er sich ohne Zweifel von dessen Entwurf hat inspirieren lassen.

Petersdom

Donato Bramante gilt als Architekt des Petersdoms. Der 1506 begonnende Bau war das teuerste und langwierigste Bauprojekt seiner Zeit. Die dafür zur Finanzierung erhobenen Steuern, Abgaben und insbesondere der ausufernde Ablasshandel führten schließlich bei zahlreichen Gläubigen zur Abwendung von der Kirche, was 1517 zu der Abspaltung der Protestanten von der Kirche in Rom führte (Reformation).

War Leonardo der Ideengeber für den Entwurf des Petersdoms?

Leonardos Zeichnungen, vor allem die in den Pariser Manuskripten, zeigen zahlreiche Entwürfe in Zentralbauweise, die stark an den heutigen Petersdom erinnern. Sie sind datiert auf 1490, also ca. 15 Jahre vor Baubeginn des Petersdoms. Es ist daher wahrscheinlich, dass Leonardo, im Hinblick auf die langjährige enge Zusammenarbeit mit Bramante, auf dessen Ideenfindung Einfluss nahm. Leonardo befand sich zwischen 1513 und 1516 selbst am päpstlichen Hof in Rom, wo er Bramante und Raffael wiedertraf. Bramante starb in dieser Zeit (1514), danach leitete Raffael die Baustelle (bis 1520). Inwieweit Leonardo auf die Bauarbeiten Einfluss nahm, ist unklar. Dass er grundsätzlich auf Raffael einen großen Einfluss hatte, ist unbestritten. Aus seinen Notizbüchern geht zudem hervor, dass er sich in dieser Zeit intensiv mit Experimenten zur Wirkung von Kräften auseinandersetzte, wie sie etwa zum Verständnis vom Tragwerken notwendig sind.

Auch wenn es in der über 120-jährigen Baugeschichte des Petersdoms immer wieder zu Änderungen kam, war der Rohbau bereits nach wenigen Jahren soweit fortgeschritten, dass er nicht mehr ohne weiteres verändert werden konnte. Das heißt, dass in dieser Zeit bereits die wesentliche Form des Bauwerks bestimmt war. Wesentlich ist die Feststellung, dass Leonardo stets den Zentralbau bevorzugte und der Petersdom von Bramante auch als solcher angelegt wurde. Im Ergebnis fügten spätere Baumeister jedoch ein längliches Kirchenschiff hinzu. Weiterhin brachen sie die ursprüngliche Symmetrie des Zentralbauwerks dadurch auf, dass sie statt vier, nur zwei Ecktürme auf dem Dach aufsetzten. Das Fundament der beiden fehlenden Türme auf dem Dach ist aus der Luft jedoch noch gut erkennbar. Trotz der späteren Anpassungen des ursprünglichen Bauplans ist im Inneren des Gebäudes der ursprüngliche Charakter eines Zentralbaus mit imposanter Kuppel erhalten geblieben. Die Kuppel des Petersdoms ist im Durchmesser etwa 1m kleiner (ca. 42m), als die Kuppel der Kathedrale von Florenz (ca. 43m). Nicht der Petersdom, sondern die Kathedrale von Florenz hatte für mehr als 400 Jahre die größte Kuppel der Welt.

Raffael – Schule von Athen
Die Schule von Athen, Raffael, 1510-1511, Rom
Das großformatige Gemälde (etwa 8 × 5m) befindet sich in den ehemaligen Privatgemächern der Päpste im apostolischen Palast, unmittelbar am Petersplatz in Rom. Die dargestellte Architektur entspricht in ihrer Konstruktion dem damaligen Zustand der Baustelle des Petersdoms. Das Gemälde zeigt berühmte Personen der Antike. Deren Gesichter jedoch sind teilweise zeitgenössischen Persönlichkeiten nachempfunden.

Leonardo und drei berühmte Baumeister des Petersdoms

Das Gemälde befindet sich in den ehemaligen Privatgemächern der Päpste in Rom im apostolischen Palast (Stanzen des Raffael), in unmittelbarer Nähe zum Petersplatz. Es ist auffällig, dass Raffael drei Künstler in das Bild malte, die in der Folge den Bau des Petersdoms betreuen sollten. Leonardo, Bramante, Raffael und Michelangelo sind die einzigen berühmten zeitgenössischen Personen in dem Gemälde. Raffael zeigt z.B. nicht den 1510 noch lebenden Botticelli, der neben Michelangelo Teile der Sixtinischen Kapelle bemalte, also ebenfalls ein sehr berühmter Künstler war.

Bramante, der ursprüngliche Architekt zeichnet als Euklid mit einem Zirkel auf eine Kreidetafel. Nach seinem Tod 1514 übernahm Raffael die Baustelle, verstarb 1520 jedoch sehr jung. Schließlich übernahm Michelangelo 1547 die Baustelle bis er 1564 verstarb.

Leonardo da Vinci ist als Platon eine der zwei zentralen Figuren in der Bildmitte. Platons Schüler Aristoteles läuft neben ihm. Er kann keiner zeitgenössischen Person zugeordnet werden. Platon trägt sein Buch Timaios, das durch die erste Erwähnung der Legende von Atlantis bekannt ist, vor allem aber durch die geometrische Abhandlung über die fünf platonischen Körper (Würfel, Tetraeder, Oktaeder, Dodekaeder, Isokaeder). Michelangelo lehnt auf einem steinernen Würfel, der die zentrale Grundform des Petersdoms bildet. Platon deutet symbolträchtig nach oben.

Geometrische Formen

Die Grundidee des Petersdoms war ein Zentralbau, der die Grundformen der Geometrie vereinen sollte. Auf der Basis eines gedachten Würfels befindet sich ein nach oben strebendes Bauwerk. Bis annähernd zur halben Höhe ist der Würfel ein quaderförmiges Gebäude. Auf das Dach wurden vier an den Ecken platzierte, aber nach innen gerückte kleinere Türme aufgesetzt, von denen jedoch nur zwei vollendet wurden. In der Mitte des Würfels führt ein Zylinder nach oben, auf dem eine halbkugelförmige Kuppel aufsetzt. Es bildet sich in der oberen Hälfte des gedachten Würfels eine pyramidenartige Silhouette. Der Petersdom vereint somit die klassischen Grundkörper der Geometrie: Würfel, Zylinder, Kugel und Pyramide. Diese elementare Reduktion ist typisch für die Renaissance und insbesondere für Leonardo.

Die Pyramide

Außerdem zeigt der Petersdom eine gedachte Pyramide. Das wird deutlich, wenn die ursprünglich fünf geplanten Dachaufbauten mit Linien verbunden werden (Es wurden nur zwei der ursprünglich vier geplanten kleineren Türme gebaut). Der Böschungswinkel der so entstandenen Pyramide beträgt 54° (Mouseover/Tap).

Petersdom (Seitenansicht aus der Vogelperspektive)
In dieser Darstellung wird deutlich, dass dem zentralen Kuppelbau eigentlich ein quadratischer Grundriss zu Grunde liegt und er in der Höhe einem Würfel ähnelt. Rechts schließt sich das Kirchenschiff mit der berühmten Frontfassade an. Das war die von Leonardo favorisierte Variante, wie seine Skizzen oben gezeigt haben.
Außerdem sind die halbkreisförmigen Anbauten an den Seiten des Kuppelbaus gut erkennbar, ebenso wie die zwei fehlenden kleineren Türme auf dem hinteren Dach, die aber in ihrem Ansatz noch zu erkennen sind (linke Ecke). Die Spitzen der vier Türme hätten zusammen mit der Kuppel eine Pyramide gebildet

Der Böschungswinkel von 54° bringt den Entwurf des Petersdoms mit dem alten Ägypten in Verbindung. Denn sechs der zehn größten Pyramiden Altägyptens hatten wie die Dachaufbauten des Petersdoms einen Basiswinkel zwischen 53° bis 54° (z.B. die Pyramide von Pharao Chephren in Gizeh und die von Pharao Snofru). Der Bezug auf das alte Ägypten ist typisch für die Renaissance. Denn diese Zeit war nicht nur die Wiedergeburt der griechischen und römischen Antike, sondern auch die der altägyptischen, das galt besonders für Florenz. Neben Florentiner Kaufleuten, die den Orient bereisten und ihre Reiseberichte unter anderem mit Leonardo teilten (z.B. Benedetto Dei), wurde im Florenz dieser Zeit der Grundstein der modernen Ägyptologie gelegt.

Der Florentiner Marsilio Ficino (1433-1499), ein eng mit der Florentiner Herrscherfamilie Medici verbundener Gelehrter, legte den Grundstein der modernen Ägyptologie, als er 1463 die altgriechische Schrift "Corpus Hermeticum" ins Lateinische übersetzte und so der damaligen Wissenschaftswelt zugänglich machte. Darin enthalten sind auch Traktate zum Leben der alten Ägypter ("Über die Mysterien der Ägypter"). Seine Übersetzung hatte bis in das 18. Jh. hinein einen großen Einfluss auf die Vorstellung über das alte Ägypten.

Außerdem ist die Wiederentdeckung der antiken "Hieroglyphica" zu erwähnen. Der Text wurde um 500 n.Chr. von dem Griechen Horapollon verfasst und besteht aus zwei Büchern mit Erklärungen zu insgesamt 189 Hieroglyphen. Es wurde um 1400 wiederentdeckt und nach Florenz verbracht. Das Wissen um die Bedeutung der Hieroglyphen war über die Jahrhunderte verloren gegangen und so gaben die "Hieroglyphica" erste Hinweise auf die ursprüngliche Bedeutung bekannter Hieroglyphen, wie z.B. das Auge des Ra. Auch wenn die Entdeckung der Schrift gerade unter den Gelehrten in Florenz eine Begeisterung für Ägypten auslöste, gelang mit ihr keine zuverlässige Entzifferung der Hieroglyphen. Das gelang erst 1824 durch den Sprachwissenschaftler Jean-François Champollion. Bis dahin war die altägyptischen Kultur zwangsläufig mit mystischen Vorstellungen verbunden.

Wird der Florentiner Leonardo da Vinci als geistiger Schöpfer der grundlegenden Architektur des Petersdoms angenommen, verwundert es kaum, dass der Dom in seiner Symbolik unter anderem auf das alte Ägypten verweist. Am deutlichsten wird dies an dem berühmten Vatikanischen Obelisken, der sich mittig auf dem Petersplatz vor dem Dom befindet (Mouseover). Er wurde 37 n.Chr. vom römischen Kaiser Caligula von Ägypten nach Rom verbracht und nach der Fertigstellung des Petersdoms in der Mitte des Petersplatzes aufgestellt. Er wurde durch Sockel und ein etwa 550 cm hohes Kreuz größer gemacht, so dass seine Höhe seitdem ¼ der Gesamthöhe des Doms entspricht (Mouseover). Es ist unklar ob Leonardos neuartige Erfindung zum Aufrichten einer Säule mit dem Obelisken in Verbindung steht.

Leonardo da Vincis Erfindungen - Mechanismus zum Aufrichten einer Säule
Anwendung des Hebelgesetzes zum Aufrichten einer Säule, Codex Madrid I (folio 29r), Leonardo da Vinci
Während die Säule abwechselnd nach links und recht gekippt wird, wird in den jeweils freiwerdenden Raum zwischen Säule und anwachsender Basis ein weiterer Stock geschoben
Petersdom mit Petersplatz
Der Vatikanische Obelisk steht zentral auf dem Petersplatz. Er hat in dem Zusammenhang die Funktion einer Sonnenuhr und stellt damit auch hier einen Bezug zum antiken Pantheon in Rom dar. Leonardo zählte zu den ersten, die eine funktionsfähige aufziehbare mechanische Uhr entwarfen
Kuppel des Pantheon, Rom,, um 120 n.Chr.
Die Kuppel hat oben mittig eine etwa 9m breite Öffnung die Oculum (lat. 'Auge') genannt wird. Der dadurch entstehende Sonnenfleck im Inneren des Gebäudes (links unten) wandert zur Sommersonnenwende genau am Rand des Fußbodens. Zur Wintersonnenwende ist dieser Lichtfleck im obersten Bereich der Kuppel

Augensymbolik am Petersdom

Das markante kreisrunde Relief in der Mitte des Dreiecks am Dach des zentralen Portikus zeigt das päpstliche Wappen (Mouseover, unteres weißes Dreieck). Im Zusammenhang mit den pyramidenartig strukturierten Dachaufbauten des Doms und dem Obelisk auf dem Vorfeld muss das Relief als Darstellung des Auges des Ra verstanden werden, einem altägyptischen Buchstaben und Symbol für den Sonnengott Ra (auch Re). Das Auge des Ra wurde ab etwa 1682 zum Symbol “Auge Gottes” weiterentwickelt.

Zum einen sollte durch diese Umdeutung eines allgemein als heidnisch betrachteten, zugleich jedoch althergebrachten Symbols, die vergangene Menschheitsgeschichte im christlichen Sinne neu gedeutet werden. Es war nun nicht mehr das Auge des Sonnengottes Ra der über die Gäubigen wachte, sondern es war immer derselbe All-Eine, also Gott im theologischen Sinn. Zum anderen unterstrich die (katholische) christliche Kirche damit ihren Ewigkeitsanspruch.

Kuppel des Petersdoms
Auf der Kuppel sind 16 Fenster in drei Reihen angebracht, 48 Fenster insgesamt. Die Fenster lassen jedoch kein Licht hindurch, es handelt sich lediglich um Schmuckelemente.
Die Formen der Fenster imitieren die Form von Augen. Die Fenster der oberen Reihe sind geometrisch reduziert auf eine kreisrunde Form und nach vorn ausgerichtet. Die runden Fenster der mittleren Reihe haben links, rechts und unterhalb barocke Verzierungen, sowie eine Fensterüberdachung, die ein Augenlid imitiert. Deren Schatten unterstreicht vor allem bei Sonnenhöchststand die Augenform. Diese Augenform wirkt am natürlichsten. Sie schauen in den Himmel. Die Fenster der untersten Reihe sind wie die obersten Fenster streng geometrisch, auf ein Quadrat wurde abwechselnd ein Kreisbogen und ein Dreieck gesetzt, links und rechts von zwei Säulen begrenzt. Diese Fenster sind wie die der obersten Reihe nach vorne ausgerichtet
Mahl in Emmaus – Jacopo da Pontormo, 1525
Mahl in Emmaus (Ausschnitt), Jacopo Pontormo, 1525
Pontormo war um 1508 ein Schüler Leonardos. Über dem sitzenden Jesus schwebt das Auge Gottes. Es handelt sich um eine Übermalung, die ein ursprünglich darunter befindliches Tricephalus (Dreigesicht) überdeckt. Das im Mittelalter noch sehr verbreitete Tricephalus-Symbol wurde jedoch im Zuge der Gegenreformation durch einen päpstlichen Erlass als ketzerisch verboten (1628) und musste überall entfernt, bzw. übermalt werden. Das hier dargestellte Auge Gottes im Strahlenkranz ist erstmals 1682 nachweisbar (Buchcover einer Werksausgabe des deutschen Mystikers Jakob Böhme). Zunächst ein religiöses Symbol fand es bald auch in humanistischen Kreisen weite Verbreitung und wurde um 1700 zu einem Symbol der Aufklärung
Maßstabgerechte schematische Darstellung des Petersdoms mit den zwei davor befindlichen Säulengängen (Kolonnaden). Links und rechts im Hintergrund die halbkreisförmigen Anbauten des Zentralbaus. Der Zentralbau mit der gewaltigen Kuppel befindet sich am Ende des Kirchenschiffs hinter der Frontfassade.
Breite und Höhe des Petersdoms haben das Seitenverhältnis von 7 (Höhe) zu 8 (Breite) und bilden somit keinen Würfel (Mouseover, großes Rechteck).
Die Breite des hinteren Kuppelbaus und die Höhe der Dachaufbauten stehen im Seitenverhältnis von 3 zu 4 (Mouseover, kleines Rechteck).
Die Dachaufbauten sind klar als Dreieck bzw. Pyramide erkennbar. Die beiden Basiswinkel betragen 54°. Daraus ergibt sich für den oberen dritten Winkel 72°, der Mittelpunktwinkel eines regelmäßigen 5-Ecks (Mouseover oben).
Die Basiswinkel des darunterliegenden Daches des Portikus betragen 22,5°, die Mittelpunktwinkel eines regelmäßigen 16-Ecks. Der Tambour des Petersdoms ist von 16 Säulen umgeben.
Der Obelisk auf dem Petersplatz erreicht dieselbe Höhe, wie die Basis des Portikus. Ein auf ihm angebrachtes Kreuz überdeckt das Relief in der Dreiecksform des Daches (Mouseover, unteres weißes Dreieck)
Raffael – Schule von Athen
Schule von Athen, Raffael, 1511
Raffael war gut mit Leonardo bekannt und bewunderte ihn. Er hat ihn hier als Platon gemalt (linke der beiden zentralen Figuren). Die Architektur im Hintergrund zeigt die teils idealisierte Baustelle des Petersdoms im damaligen Zustand, mit der damals noch fehlenden Kuppel. Zeigt Platons/ Leonardos nach oben deutender Zeigefinger auf ein Kuppelgewölbe?
Das letzte Abendmahl mit umgebender Architektur – Leonardo da Vinci
Leonardos Abendmahl im Zusammenspiel mit der umgebenden Architektur des Speisesaals der Kirche Santa Maria delle Grazie. Das Gemälde entstand zeitgleich mit Bramantes Umbau der Kirche. Häufig wird bei den Abbildungen des Abendmahls übersehen, dass Leonardo auch die drei Lünetten oberhalb des Gemäldes malte. Sie zeigen die Wappen der Familie des Mailänder Herzogs.
Petrus wird als 5. der 12 Jünger Jesu dargestellt (von links, identifizierbar durch das Messer in seiner Rechten, eine Anspielung auf das Abschlagen des Ohres eines römischen Soldaten bei der Festnahme Jesu, joh 18,10).
Zeigt der nach oben deutende Zeigefinger des Jüngers rechts von Jesus auf ein Kuppelgewölbe?

Lesehinweis

Leonardos Abendmahl wird häufig dahingehend fehlinterpretiert, als dass die Personengruppe im Vordergrund in den Fokus der Analyse gestellt wird. Tatsächlich weist die Architektur im Hintergrund kunstvoll verwobene geometrische Beziehungen auf, was den zunächst unscheinbaren und kargen Raum zu einem faszinierenden Beispiel für die Kunst der Renaissance macht. Darüber hinaus wird deutlich, wie Leonardo architektonische Räume erdachte. Das Abendmahl ist das einzige der zweifelsfrei echten Gemälde Leonardos, das Architektur zeigt. Die anderen dieser Gemälde zeigen Natur im Hintergrund oder auch nur dunkle monochrome Flächen. Lediglich bei der Mona Lisa sind angedeutete Bereiche einer Loggia zu erkennen.

 

Zur Bildanalyse “Leonardos Abendmahl”

Leonardos Tätigkeiten im Bauwesen

Wie bereits bis hierhin ersichtlich beschränkten sich Leonardos Tätigkeiten im Bauwesen auf den geistigen Entwurf, Planung und Beratung. Praktische Resultate ergaben sich für ihn selten daraus. Eine Ausnahme stellt dabei die Anfertigung eines Stadtplans von Imola dar. Grundsätzlich kann auch hier nur betont werden, wie revolutionär Leonardos Ideen im Vergleich mit seinen Zeitgenossen waren. Wie auch in seiner Malerei trennte er nicht zwischen den Disziplinen und verband scheinbar mühelos seine universalen Kenntnisse, hier aus den Bereichen Geometrie, Architektur und Maschinenbau.

Vermessung

Leonardos Stadtplan von Imola gilt als der älteste erhaltene Stadtplan der Neuzeit, der den Anspruch erfüllt, die Straßenzüge einer Stadt maßstabsgerecht wiederzugeben. Bereits der zeitgenössische Architekt Leon Battista Alberti, den der junge Leonardo vermutlich noch kennengelernt hat, fertigte einen Stadtplan an. Er verwendete noch keinen Hodometer. Albertis Plan ist nicht annähernd so detailliert, wie Leonardos Stadtplan von Imola.

Leonardo hielt sich im Winter 1502/1503 in Imola auf, als er den Herzog Cesare Borgia, Sohn des Papstes und Befehlshaber der päpstlichen Armee, auf seinen Kriegszügen durch Mittelitalien begleitete. Cesare Borgia bezog in der Stadt sein Winterquartier und hielt dort Hof.

Um die Straßen von Imola genau vermessen zu können, konstruierte Leonardo einen Hodometer (altgr. 'Wegmesser'). Das ist ein mechanisches Gerät auf Rädern, mit dem eine zurückgelegte Wegstrecke über ein System aus ineinandergreifenden Zahnrädern gemessen werden kann. Leonardo hat den Hodometer nicht erfunden. Der antike Architekt Vitruv beschreibt in seinen "Zehn Bücher über Architektur" (Buch 10, Kapitel 9) ein solches Gerät sehr detailliert. Vermutlich wurde der Hodometer tatsächlich bereits im antiken Rom genutzt, da erhaltene Pläne aus dieser Zeit bemerkenswert genau sind (z.B. "Forma Urbis Romae", um 200 n. Chr.). Das Wissen um die Vermessung mittels eines Hodometers ging mit dem Zusammenbruch der römischen Kultur zwischenzeitlich verloren und wurde erst in der Renaissance wiederentdeckt.

Brückenbau

Leonardo besaß ein umfassendes physikalisches Verständnis, unter anderem zum Ableiten von Kräften. Daher fiel es ihm besonders leicht, völlig neuartige Brückentypen zu entwickeln. Leonardo war auf der Suche nach möglichst praktischen Brücken, wie sein Entwurf für eine drehbare Brücke zeigt. Die Idee war absolut neuartig und nur durch die Verbindung von Kenntnissen in Maschinenbau und Architektur denkbar, wie sie für die Renaissance typisch ist. Die Brücke war insofern sehr praktisch, als dass der Schiffsverkehr dadurch nicht behindert wurde. Näherten sich zu große Schiffe, konnte die Brücke in Richtung Ufer gedreht werden. Ebenso bei plötzlichen Sturzfluten, da diese meist Stämme und Geäst mit sich führten und dadurch Brücken stark beschädigen können.

Leonardos Brücke für Cesare Borgia

Leonardo entwarf erstmals eine Brücke, deren Glieder lediglich aus übereinandergelegten Hölzern bestanden, ohne mit Seilen, Nägeln oder ähnlichem verbunden werden zu müssen. Eine solche Brücke war auf Kriegszügen sehr praktisch, da sie ohne weitere Hilfsmittel schnell auf- und wieder abgebaut werden konnte. Leonardo konstruierte die Brücke um 1502/1503, als er Cesare Borgia ("il Valentino") für einige Monate auf einem Kriegszug durch Mittelitalien begleitete. Cesare war der Sohn von Papst Alexander VI., und Befehlshaber der päpstlichen Armee. Der mit Leonardo eng zusammenarbeitende Mathematiker Luca Pacioli (1445-1517) berichtet davon in seinem Buch "De viribus quantitatis" (1508):

"Eines Tages stand Cesare Valentino, Herzog der Romagna und Herr von Piombino, mit seinen Truppen an einem Fluss, der 24 Schritte breit war, und fand keine Brücke und kein Baumaterial, aus dem er eine hätte bauen können, außer einem Haufen Holz, das auf eine Länge von 16 Schritten zugeschnitten war. Aus diesem Holz baute sein edler Ingenieur ohne Eisen, Seil oder sonstiges Material eine Brücke, die so stark war, dass das Heer darauf den Fluss überqueren konnte."

Vermutlich hat Pacioli die Maße gerundet, doch war die Brücke auf diese Art sicher über 10m lang. Die Leonardo Brücke ist heute ein beliebtes Holzspielzeug für Kinder und wird unter anderem an Universitäten im spielerischen Experiment demonstriert.

Leonardos Brücke für den Sultan

Das Osmanische Reich hatte 1453 Konstantinopel erobert, das heutige Istanbul. 50 Jahre später plante der Sultan Bayezid II. ein gewaltige Brücke, die den historischen Stadtkern mit den nördlichen Stadtteilen verbinden sollte. Diese waren durch einen etwa 250m breiten Meeresarm getrennt, dem goldenen Horn. Im Istanbuler Topkapi Museum ist die Abschrift eines Briefes erhalten, den Leonardo an den Sultan des osmanischen Reiches gesendet haben soll. Leonardos Brief wird auf den Sommer 1503 datiert, und steht damit im zeitlichen Zusammenhang mit der Brücke für Cesare Borgia:

"Ich, Euer Diener, habe gehört, dass Ihr beabsichtigt, eine Brücke von Stambul nach Galata zu bauen, und dass Ihr dies noch nicht getan habt, weil Ihr niemanden gefunden habt, der dazu in der Lage ist. Ich, dein Diener, weiß, wie es gemacht werden kann. Ich würde sie so hoch wie ein Gebäude bauen, so dass niemand sie überqueren könnte, weil sie so hoch ist ... Ich würde sie so bauen, dass Schiffe unter ihr hindurchfahren können, auch wenn alle Segel gesetzt sind ... Ich werde eine Zugbrücke bauen, damit ihr bis zur anatolischen Küste gelangen könnt, wenn ihr wollt. Möge Gott, dass du meinen Worten glaubst, meinen Worten glauben und in mir deinen Diener sehen, der dir immer zu Diensten ist".

In einem seiner Notizbücher fertigte Leonardo zu dieser geplanten Brücke eine Zeichnung an, der er einige Maße hinzufügte: "Brücke von Pera in Konstantinopel. 40 Ellen breit, 70 Ellen hoch über dem Wasser, 600 Ellen lang, nämlich 400 über dem Meer und 200 an Land, wo sie sich stützt." 1 Elle entsprach etwa einem halben Meter. Demnach sollte die Brücke eine Länge von 300m haben. Damit wäre sie die größte Brücke der damaligen Welt geworden. Auf Leonardos Brief ist keine Antwort des Sultans bekannt, auch gibt es keine Hinweise auf einen Aufenthalt Leonardos in Istanbul.

Michelangelos Brücke für den Sultan

Es ist bemerkenswert, dass Michelangelo, der berühmte Bildhauer und spätere Architekt am Petersdom in Rom, etwa zur selben Zeit wie Leonardo daran gedacht haben soll, eine Brücke über das Goldene Horn zu errichten. Leonardo und Michelangelo waren zu dieser Zeit in Florenz und malten für denselben Saal an zwei jeweils unvollendet gebliebenen Gemälden (Leonardos "Schlacht von Anghiari" und Michelangelos "Schlacht von Cascina"). Der vielzitierte Biograf Vasari erwähnt das in seiner Michelangelo Biografie von 1550.

"In Florenz war Michelangelo darauf bedacht, im Lauf von drei Monaten, die er dort verweilte, den Karton für den großen Saal zu vollenden. Unterdessen erhielt die Signoria drei Breves mit dem Verlangen, Michelangelo nach Rom zurückzuschicken. Daraus erkannte dieser die Wut des Papstes, und da er seiner Sicherheit misstraute, soll er sogar den Gedanken gehabt haben, nach Konstantinopel zu gehen, um dem Groß-Sultan zu dienen, der ihn durch Vermittlung einiger Franziskanermönche begehrte, um durch ihn eine Brücke von Konstantinopel nach Pera zu bauen. Aber Soderini beredete ihn, den Papst, wenn auch wider Willen, aufzusuchen, und zwar zu seinem Schutz in öffentlichem Dienst als Gesandter der Stadt".

Leonardo-da-Vinci-Brücke, Fußgängerbrücke aus Holz, Ås, Norwegen, 2001
Die Brücke entstand nach Leonardos Entwurf zur Bosporus Brücke

Stadtplanung

Eine ideale Stadt zu entwerfen, war ein typisches Gedankenspiel der Renaissancearchitekten. Bei dem Erstellen eines solchen Plans mussten derart viele Dinge bedacht werden, dass der Verstand dabei universal geschult wurde, also ganz so, wie das antike Vorbild Vitruv Architektur verstanden hatte. Wichtige Themen waren die Anordnung von Wohnbereichen, öffentlichen Plätzen und Freizeiteinrichtungen, die Verteilung von Gebäuden der Infrastruktur, Wasserleitungen, Verteidigungsanlagen u.v.m.

Leonardo hielt sich zwischen 1482 und 1499 im Herzogtum Mailand auf, ab etwa 1487 war er Mitglied des Mailänder Hofes. Die Stadt war bereits zu jener Zeit eine Metropole und gehörte mit ungefähr 100.000 Einwohnern zu den fünf größten Städten Europas. Aufgrund der dichten Bebauung und den für das Mittelalter typischen hygienischen Missständen waren Ratten allgegenwärtig. 1485 kam es dann zu einer verheerenden Pestepidemie mit vielen Toten. Unter diesem Eindruck beginnt Leonardo eigene Überlegungen zu einer idealen Stadt. Dabei ging es ihm vor allem darum, die Stadt vertikal zu gliedern und durch ein ausreichendes Kanalisationssystem und eine Regelung zur Müllabfuhr sauberer zu machen.

Schloss Chambord

Das Schloss Chambord ist das bedeutendste und zugleich berühmteste Renaissanceschloss in Frankreich. Es wurde vom französischen König Franz I. zwischen 1519 und 1547 errichtet und befindet sich direkt am Fluss Cosson, einem Nebenfluss der Loire, die sich an dieser Stelle nur wenige hundert Meter entfernt befindet. An der Loire befinden sich zahlreiche mittelalterliche Schösser, unter anderem auch Amboise, wo sich Leonardo in seinen letzten drei Lebensjahren aufhielt.

Der König plante das Schloss als Jagdschloss. Rund um Chambord befindet sich das größte ummauerte Naturgehege Europas. Die nähere Umgebung war eine Sumpflandschaft und eignete sich aufgrund des damit verbundenen Geruchs nicht als Dauerwohnsitz. Chambord war außerhalb der Jagdveranstaltungen unbewohnt. Daher blieb es grundsätzlich unmöbliert und wurde nur bei Bedarf mit Möbeln aus den umliegenden Schlössern ausgestattet.

Auch wenn anhand der überlieferten historischen Unterlagen nicht mehr zu sagen ist, wer das Schloss entworfen hat, gilt Leonardo als der ursprüngliche Architekt. Eine damals einzigartige, äußerst ungewöhnliche Doppelwendeltreppe wird auf Leonardo zurückgeführt. Zwei Zeichnungen sollen seine Urheberschaft belegen. Darüber hinaus ist die Idee des architektonischen Entwurfs in der reduzierten Einfachheit so fantastisch, dass Chambord nur als Denkmal der Architektur schlechthin bezeichnet werden kann.

Schloss Chambord – Frontfassade
Schloss Chambord vom Fluss Cosson aus gesehen
Schloss Chambord – Luftaufnahme
Schloss Chambord, Luftaufnahme
Das Schloß war ursprünglich mit einem quadratischen Grundriss angelegt. Die berühmte doppelläufige Treppe befindet sich genau in der Mitte des Hauptgebäudes und führt über alle Stockwerke hinaus zu einem turmartigen Aufbau auf dem Dach. Die nicht zum zentralen Hauptgebäude zählenden Gebäudeteile wurden nachträglich hinzugefügt
Schloss Chambord, Grundriss
Das Schloß ist funktional unterteilt. Im zentralen Hauptgebäude befinden sich die Wohnungen des Adels (gelb). Der König hatte einen eigenen Wohntrakt (rot). Die Diener und Gehilfen wohnten in der einstöckigen Umfriedung (blau). Außerdem wurde eine Kapelle angelegt (grün)

Die berühmte Treppe von Chambord

Das Prinzip der Punktsymmetrie im Grundriss des Schlosses findet seinen Höhepunkt in der zentralen Treppe. Sie besteht aus zwei gegenüberliegenden Treppenaufgängen, die in völliger Losgelöstheit unabhängig voneinander nach oben streben. Die beiden Treppenläufe können dabei nie zusammenlaufen. So ist es möglich, dass zwei Personen dieselbe Treppe zur selben Zeit hinaufgehen, ohne sich je zu begegnen, obwohl sie sich stets auf derselben Höhe befinden. Einen derartigen Entwurf hatte es in der Architektur bis dahin nicht gegeben.

Das Prinzip der zwei aufwärtstrebenden Kurven ist so wunderbar, dass in der Fachwelt kein Zweifel daran besteht, dass nur Leonardo die Treppe entworfen haben kann. Die Idee verbindet die, ihrer Natur nach durch bewegungslose Ruhe charakterisierte Architektur mit einer sonst nur vom Maschinbau bekannten Dynamik. Sie überrascht mit der Erkenntnis, eines jener Symbole zu sein, die universale Gesetze auf ein fundamentales Prinzip vereinfachen. Anziehungskraft und Fliehkraft sorgen für das Gleichgewicht einer solchen Bewegung, die sich sowohl im Großen in der Bewegung der Planeten um ihre Sonne, als auch in der kleinsten Einheit des Leben finden lässt, der DNA.

Schloss Chambord – Treppe
Doppelläufige Treppe, Schloss Chambord, 1519
Die berühmte Treppe war in ihrer Zeit absolut neuartig. Sie befindet sich im Zentrum des zentralen Hauptgebäudes
Schloss Blois, Aussentreppe
Schloss Blois, Frankreich
Das Schloss wurde unter Franz I. erweitert. Das besondere an dem ansonsten unauffälligen Anbau ist eine Treppe, die halb außen und halb innen liegt. Es handelt sich nicht um eine doppelläufige Treppe, sondern um eine normale Wendeltreppe. Da sie optisch stark der Treppe in Chambord ähnelt, wird auch hier davon ausgegangen, dass sie von Leonardo entworfen wurde
Schema einer doppelläufigen Treppe (Doppelhelix)
Die beiden Treppenaufgänge sind so angeordnet, dass sich immer zwei gegenüberliegende Stufen auf derselben Höhe befinden, wodurch sich die zwei Treppen nie berühren können (Mouseover/Tap). Eine sich um einen Mittelpunkt gleichmäßig nach oben bewegende Kurve wird Helix genannt. Da es sich hier um zwei Kurven handelt, wird von einer Doppelhelix gesprochen. Diese Form kommt in der Natur häufig vor, z.B. hat DNA ebenfalls die Form einer Doppelhelix. Auch Planeten bewegen sich in dieser Form um ihre Sonne
Bramante Treppe, Vatikanische Museen
Scala Momo, Giuseppe Momo, Vatikanische Museen, Rom, 1932

Die Scala Momo

Die Scala Momo (ital. 'Treppe Momo') ist eine imposante doppelläufige Treppe in den Vatikanischen Museen in Rom. Sie wurde von dem italienischen Architekten Giuseppe Momo (1875–1940) als eine moderne Interpretation der Treppe von Schloss Chambord entworfen. Auch sie führt über zwei voneinander getrennte Spiralen nach oben. Beide Treppenaufgänge kreuzen sich nie. Die Treppe ist heute eine Touristenattraktion.

Der zur Entstehungszeit der Scala Momo regierende faschistische Diktator Benito Mussolini (1883-1945) förderte aktiv die Erinnerung an Leonardo da Vinci, um das italienische Nationalbewusstsein zu verbessern. Er wurde nicht müde, vor allem die ingenieurtechnischen Errungenschaften Leonardos hervorzuheben, speziell Leonardos Verdienste in der Waffentechnik, dem Flugzeug- und U-Bootbau. Insofern war die 1932 fertiggestellte Scala Momo Ausdruck eines neuen italienischen Nationalbewusstseins.

In demselben Gebäude existiert eine weitere Wendeltreppe, die 1505 von dem mit Leonardo eng verbundenen Architekten Bramante realisiert wurde. Auch wenn verschiedentlich behauptet wird, sie wäre wie die hier zu sehende Scala Momo doppelläufig, handelt es sich jedoch um eine einfache Wendeltreppe.

 

Das Rätsel von Chambord

Der Grundriss des Schlosses weist einige Besonderheiten auf, die darauf schließen lassen, dass Schloss Chambord anders geplant war, als es sich heute darstellt.

Abbildung 1
Schloss Chambord, Etagenplan des Zentralbaus
Auf jeder der drei Etagen gab es 8 Wohnungen, mit je einem großen Zimmer, einem Vorraum und einem Umkleidezimmer. Vier Wohnungen befanden sich in den Türmen (blaue Flächen), vier weitere in den Ecken des Gebäudes (Mouseover grüne Fläche). Der Mittelpunkt der Türme befindet sich genau in den Ecken des quadratischen Hauptgebäudes (rote Linien). Eine große Treppe befindet sich in der Mitte des Gebäudes (grüner Kreis), das von zwei großen Korridoren durchzogen wird, die die Form eines griechischen Kreuzes bilden (gelbe Fläche). Der Durchmesser der Treppe entspricht ziemlich genau einem Fünftel der Breite der Etage (Mouseover, gestrichelte Linien)
Abbildung 2
Obwohl der Grundriss auf den ersten Blick symmetrisch erscheint, weicht die Anordnung der Wohnräume davon ab. Genau drei Räume sind gleich ausgerichtet (grün), nur ein vierter nicht (rot)
Abbildung 3
Hier werden die die Abfallschächte markiert, die die Türme senkrecht durchziehen. Sie sind grundsätzlich im gleichen Muster angeordnet (grün), nur ein Schacht passt nicht ins Muster (rot). Er müsste sich auf der anderen Seite des Turms befinden. Dafür muss er 240° um den Mittelpunkt des Turms gedreht werden, also 2/3 eines Kreises (Mouseover)
Abbildung 4
Wird das rechte obere Viertel des Grundrisses um 180° gewendet, ergibt sich ein stimmiges Muster sowohl der Schächte, als auch in der Anordnung der Wohnräume (Mouseover)
Abbildung 5
Nun wird die ursprüngliche Idee des Entwurfs klar: Die vier Ecken des Zentralbaus wurden um die zentrale Treppe herum gedreht (Mouseover), es handelt sich also um Punktsymmetrie. Die These konnte durch elektronische Messverfahren bewiesen werden. So wurden im rechten oberen Bereich zugeschüttete Teile des Fundaments entdeckt, bei dem der Kanalschacht so positioniert ist, wie er aufgrund der angenommenen Punktsymmetrie aus Abb. 3 zu erwarten wäre
Abbildung 6
Die Ursache für die erst nach Baubeginn vorgenommene Planänderung, liegt in einer außen am Gebäude verlaufenden, offenen Galerie. Sie sollte den später hinzugefügten Königstrakt rechts mit dem zentralen Hauptgebäude verbinden (blaue Linie). Bei dem ursprünglichen Plan hätte ein solcher Gang direkt durch einen der Wohnräume geführt (rote Linie). Bzw. hätte dieser Raum verkleinert werden müssen. Das jedoch war aus hofpolitischen Gründen nicht möglich. Doch durch die 180° Wendung des Grundrisses in dem Bereich wurde ein Gang geschaffen, über den der König in seinen Wohnbereich gelangen konnte (grüne Linie)

Leonardos dynamische Idee von Architektur

Durch Grabungsarbeiten in jüngerer Zeit konnte nachgewissen werden, dass Schloss Chambord auf den Überresten einer mittelalterlichen Burg entstanden ist. Die vier Türme an den Ecken des Hauptgebäudes entsprechen in Position und Größe dem Fundament des Vorgängerbaus. Der quadratische Grundriss mit vier Ecktürmen war typisch für mittelalterliche französische Burgen.

Hinweis

Für die folgenden Skizzen wurde der korrigierte Grundriss mit der ursprünglich geplanten Anordnung der Räume verwendet. Für die dreidimensionalen Abbildungen wurde die Höhe der Etagen größer dargestellt, um die Anschaulichkeit zu erhöhen. Die Höhe der drei Etagen des Schlosses (ohne Dachaufbauten) ist genau halb so groß, wie die Seitenlänge des quadratischen Teils des Hauptgebäudes.

Die drei Kreise von Schloss Chambord

Der Grundriss des Hauptgebäudes von Schloss Chambord lässt sich in drei Kreisen strukturieren, die von außen nach innen verlaufen (bzw. umgekehrt):

  • die vier Türme bilden einen äußeren Kreis
  • die vier großen Räume einen inneren Kreis
  • die zentrale Treppe schließlich den innersten Kreis
Äußerer Kreis: Die vier Türme
Die vier Türme (Mouseover) befinden sich auf dem Fundament des Vorgängerbaus. Die Anordnung der Abwasserschächte (blau) ist punktsymmetrisch
Innerer Kreis: Die vier Räume
Die Abgrenzung der vier Wohneinheiten in den Türmen von denen im quadratischen Zentrum wird durch die schrägen Ecken deutlich (Mouseover, farbige Linien). Die vier großen Räume des Zentrums (farbige Rechtecke) befinden sich in einem gedachten Kreis um das Zentrum (schwarzer Kreis). Werden die Räume um den Mittelpunkt gedreht, bilden die schrägen Ecken der Wohneinheiten in den Türmen vier Tangenten des Umkreises um die vier großen Räume
Innerer Kreis: Die vier Räume
Wird die Kreisbewegung in den dreidimensionalen Raum überführt ergibt sich eine spiralenförmige Aufwärtsbewegung (Mouseover). Schloss Chambord hat drei Hauptetagen (ohne Dachaufbauten; graue Fläche, schwarz/weißer Streifen). Das heißt, die Rotation der vier Räume ist nicht vollständig, sondern wird bei drei Etagen nur zu 3/4 durchgeführt
Innerster Kreis: Die zentrale Treppe
Die spiralenförmige, nach oben strebende zentrale Treppe ist in ihrer Richtung klar definiert. Sie rotiert im Uhrzeigersinn mit 52 Stufen für jede der drei Etagen (Mouseover, hier nur 30 Stufen auf drei Etagen, um die Anschaulichkeit zu verbessern)
Vereinigung der drei Kreise zu einer Darstellung
Vor dem Hintergrund des bisher gezeigten, liegt es nahe, alle Erkenntnisse in einer Darstellung zu vereinen. Dies muss dann die Grundidee von Leonardos Entwurf sein (Mouseover). Fraglich ist möglicherweise die Drehrichtung der um den Mittelpunkt rotierenden Elemente. Obwohl die Treppenstufen an sich im Uhrzeigersinn aufwärts streben, macht es im Gesamtbild Sinn, sie entgegen dem Uhrzeigersinn rotieren zu lassen. Dafür spricht die Anordnung der Abwasserschächte im äußersten Kreis der vier Türme. Ihre Position impliziert eine Drehrichtung entgegen dem Uhrzeigersinn.

Leonardos Vorliebe für Spiralen

Es konnte gezeigt werden, dass die Idee zum Entwurf von Schloss Chambord Leonardos Faszination für spiralförmige Bewegungen widerspiegelt. Das ist insofern überraschend, weil die Architektur stets ruhende, also statische Gebäude erschafft. Für Leonardo waren Spiralen der universale Ausdruck einer Bewegung. Als Maler aber auch als Erfinder und Naturwissenschaftler lässt sich Leonardos Wirken als Untersuchung der Bewegung verstehen. Das lässt sich in seinen Gemälden, aber auch in seinen Erfindungen und naturwissenschaftlichen Skizzen zeigen.

Das größte Vergnügen ist die Erkenntnis

Leonardo da Vinci

Quellen

Pracht und Prunk an der Loire: Schloss Chambord, Dokumentarfilm, 2015 (Erstausstrahlung auf dem Sender Arte)

Frank Zöllner, Leonardo, Taschen (2019)

Martin Kemp, Leonardo, C.H. Beck (2008)

Charles Niccholl, Leonardo da Vinci: Die Biographie, Fischer (2019)

Johannes Itten, Bildanalysen, Ravensburger (1988)

Frank Zöllner/ Johannes Nathan, Leonardo da Vinci - Sämtliche Zeichnungen, Taschen (2019)

Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, Anaconda (2019)

Besonders empfehlenswert

Marianne Schneider, Das große Leonardo Buch – Sein Leben und Werk in Zeugnissen, Selbstzeugnissen und Dokumenten, Schirmer/ Mosel (2019)

Leonardo da Vinci, Schriften zur Malerei und sämtliche Gemälde, Schirmer/ Mosel (2011)

Nobody is perfect - das gilt auch für nicofranz.art!

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