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Die Augen und das rechte Ohr des Hermelins sind in ein gleichseitiges Dreieck mit einem unteren Winkel von 120° gefasst. Dieses wird begrenzt durch die Mittelhalbierende (rote Linie) sowie durch die Linien des goldenen Schnitts von Bildhöhe und Bildbreite (orange Linien), die jeweils durch das linke und das rechte Auge des Hermelins verlaufen.
Durch die Ecken des Dreiecks entsteht der Eindruck eines auf Betrachtende schauenden Hermelins (Mouseover). Der Effekt wird besonders deutlich, wenn das rechte Auge des Hermelins fokussiert wird – es erscheint dann plötzlich als dessen Nase.

Zwei gleich große gleichseitige Dreiecke mit oberen 45° Winkel werden in ein System aus Proportionen der klassischen Geometrie gesetzt (goldener Schnitt und ganzzahlige Vielfache)

Die beiden Ohren und das linke Auge des Hermelins bilden ein Dreieck mit den symbolischen Innenwinkeln 45°, 60° und 75°. Dasselbe Dreieck lässt sich auch auf der Stirn der Dame finden (grüne Dreiecke)

Der eingesetzte Filter mit starkem Kontrast, Graustufen und Unschärfe imitiert den Eindruck des skotopischen Sehens – jenes nächtlichen Wahrnehmungszustands, in dem das Auge Farben kaum wahrnehmen und nur noch Unterschiede in der Helligkeit erfassen kann. In dieser gedämpften Sichtweise tritt ein markanter Schatten hervor, der den Kopf des Hermelins nach unten begrenzt. So erscheint der Kopf des Tieres vom Körper losgelöst und erinnert in seiner Form an eine nach rechts gewandte, entblößte Brust, wie etwa beim Stillen eines Kindes. Damit erhält das Gemälde einerseits eine subtile erotische Note, andererseits verweist es auf Cecilias Schwangerschaft und das bevorstehende Stillen

Zwischen den Augen der Dame mit dem Hermelin besteht ein Winkel von 3,5°. Derselbe Neigungswinkel findet sich in Leonardos zweitem Porträt einer Geliebten des Mailänder Herzogs, der Belle Ferronière, ebenfalls zwischen den Augen, sowie in der vertikalen Ausrichtung des Kreuzes seines letzten Gemäldes, Johannes der Täufer. Ein für Leonardos Porträts typisches geometrisches System auf Basis des Goldenen Schnitts greift hier nicht vollständig – es trifft nur das rechte Auge des Hermelins (Mouseover).

Dame mit dem Hermelin

von Leonardo da Vinci

Weitere Bezeichnungen

Dama z gronostajem (poln.) / Lady with an Ermine (engl.)

Leonardo selbst gab dem Werk keinen Titel. Die heute gebräuchliche Bezeichnung geht auf das auffällige weiße Tier im Arm der Dargestellten zurück, das als Hermelin identifiziert wird.

Künstler

Leonardo da Vinci (1452–1519)

Datierung

um 1489-1491

Technik

Öl auf Holz (Walnuss)

Maße

39 × 53 cm (bemalter Teil), 40,3 × 54,8 cm (gesamte Tafel) 

Bildgattung

Porträt – Halbfigur – Dreiviertelprofil

Kurzbeschreibung

Porträt von Ceciila Gallerani (1473-1536), Mätresse des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza (1452-1508) und Mutter seines Sohnes Cesare Sforza. Sie hält ein weißes Hermelin im Arm. Ihr Blick ist nach rechts gerichtet, die Körperhaltung dynamisch und elegant.

Epoche

Renaissance

Provenienz

Czartoryski-Museum, Krakau

Besitzer

Polen

Marktwert

Unverkäuflich

Versicherungswert

Das Museum selbst nennt aus Sicherheitsgründen keinen Versicherungswert. Jedoch bestätigte der polnische Staatssekretär Jarosław Sellin 2016 im polnischen Parlament, dass das Gemälde für internationale Ausstellungen dauerhaft mit 1,4 Milliarden PLN versichert sei. Nach aktuellem Wechselkurs entspricht das etwa 350 Millionen Euro, der Verkaufswert dürfte weit höher liegen.

Besonderheiten

Das Hermelin ist fast doppelt so groß wie es realistisch wäre

Keine Signatur

Inschrift in polnischer Schreibweise: “LA BELE FERONIERE” und “LEONARD DAWINCI”

In der linken oberen Ecke sind Abbruchspuren sichtbar

Enthülle nicht, wenn dir die Freiheit lieb ist, dass mein Angesicht ein Kerker der Liebe ist.

Leonardo da Vinci

Bildbeschreibung

Eine junge Frau im Dreiviertelprofil, in einem dunklen Raum, von rechts her beleuchtet. Sie hat den Rumpf vom Licht weg, den Kopf aber zum Licht hin gedreht. Über ihre linke Schulter erblickt sie etwas außerhalb des Bildraums. Auf dem linken Arm trägt sie einen Hermelin im weißen Winterfell, den sie mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand fest an sich drückt.
Ihr Haar, eng am Kopf anliegend, wurde mittig zu einem Scheitel gelegt, und ist nach hinten zu einem Zopf geflochten. Um den Kopf ein schmales, dunkelfarbiges Band über einer durchsichtigen Haube mit goldenem Rand, die bis zu den Augenbrauen tief ins Gesicht gezogen ist, die Träger sind unter dem Kinn zusammengeführt. Um den Hals eine lange Perlenkette, zweimal gelegt zu einem kurzen und einem langen Stück. Sie trägt das kunstvoll geschneiderte Kleid einer Edeldame. In der linken oberen Ecke in goldenen Lettern:
LA BELE FERONIERE
LEONARD DAWINCI

(Die Inschrift wurde erst um 1800 hinzugefügt und geht auf eine Verwechslung durch die damalige Besitzerin zurück)

Wer war Cecilia Gallerani?

Cecilia Gallerani, bekannt als die Dame mit dem Hermelin, war eine der bemerkenswertesten Frauen am Hof des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza, für den Leonardo da Vinci viele Jahre tätig war.

Herkunft und Familie

Cecilia wurde 1473 in Mailand in der Pfarrei San Simpliciano geboren. Ihre Familie gehörte nicht dem Adel an, war aber eine angesehene Patrizier-Familie der Stadt. Die Wurzeln der Gallerani lagen in Siena. Aufgrund politischer Spannungen verließ Cecilias Großvater Sigerio die Stadt und ließ sich mit seiner Familie in Mailand nieder. 

Sein Sohn Fazio Gallerani machte dort Karriere als Jurist und Diplomat im Dienst der Visconti- und später der Sforza-Herzöge. 1467 wurde er von Herzog Francesco Sforza als Gesandter Mailands nach Florenz entsandt und einige Jahre später nach Lucca versetzt. 

Fazios Frau Margherita Busti stammte ebenfalls aus einer angesehenen Mailänder Juristenfamilie. Das Ehepaar hatte neben Cecilia sechs ältere Söhne und eine jüngere Tochter.

Die Familie bewohnte die prächtige Villa Gallerani Melzi d’Eril, wenige Kilometer nordöstlich von Mailand – ein Zeichen der hohen Stellung, die der Vater in der Stadt innehatte. Die Gallerani waren kulturell interessiert und ermöglichten ihren Kindern eine humanistische Ausbildung – auch Cecilia, was für eine junge Frau jener Zeit außergewöhnlich war.

1480, im Alter von sieben Jahren, verlor Cecilia ihren Vater. Ihr Erbanteil betrug 1000 Dukaten, was nach heutiger Kaufkraft etwa 350.000 Euro entspräche.

Verlobung mit Giovanni Stefano Visconti

Drei Jahre später, 1483, wurde die Zehnjährige aus politischen Gründen mit Giovanni Stefano Visconti verlobt. Die Verbindung sollte den gesellschaftlichen Aufstieg der Familie festigen. Die Visconti hatten von 1310 bis 1447 über Mailand geherrscht und gehörten weiterhin zu den einflussreichsten Adelsgeschlechtern der Stadt. 

Als Cecilia vierzehn war, wurde die Verlobung 1487 aufgelöst. Die Gründe sind nicht überliefert. Möglicherweise kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der Mitgift.

Mätresse des Herzogs Ludovico Sforza

Anfang 1489 machte der 37-jährige Herzog Ludovico Sforza die sechzehnjährige Cecilia zu seiner Mätresse. Es ist denkbar, dass die Affäre bereits früher begann und der eigentliche Grund für die Auflösung der Verlobung mit Visconti war. 

Ludovicos Vater, Francesco Sforza, hatte 1450 die Macht in Mailand übernommen, nachdem der letzte Visconti-Herzog ohne männlichen Erben gestorben war. Francesco war mit dessen Tochter verheiratet und begründete damit die Herrschaft der Sforza über Mailand. Nach seinem Tod im Jahr 1466 folgte ihm sein ältester Sohn Galeazzo Maria nach, der sich jedoch viele Feinde machte und zehn Jahre später, 1476, ermordet wurde. 

Da der rechtmäßige Thronfolger noch minderjährig war, übernahm Ludovico, der jüngere Bruder Galeazzos, die Regierungsgeschäfte als Vormund seines Neffen Herzog Gian Galeazzo. Als dieser später seine eigenen Herrschaftsansprüche geltend machen wollte, starb er unter bis heute ungeklärten Umständen. Daraufhin ernannte sich Ludovico Sforza selbst zum Herzog von Mailand. Sein Beiname lautete „il Moro“, dessen genaue Bedeutung bis heute nicht eindeutig geklärt ist..

Um seine Position zu festigen, arrangierte er die Ehe seiner Nichte Bianca mit dem späteren Kaiser Maximilian I. Der habsburgische Thronfolger befand sich in finanzieller Not und nahm die reiche Mitgift aus Mailand dankbar an. Im Gegenzug erkannte er Ludovico offiziell als Herzog an. Damit blieb Mailand faktisch unabhängig, war jedoch weiterhin ein Lehen des Heiligen Römischen Reiches. 

Ludovicos Verehrung galt seinem Vater Francesco, dem Begründer der Dynastie. Zu dessen Ehren sollte die größte Reiterstatue der Welt geschaffen werden – ein Auftrag, der Leonardo da Vinci anvertraut wurde und als Hauptgrund für dessen Anstellung am Mailänder Hof gilt.

Für Cecilia richtete Ludovico am Stadtrand von Mailand ein Landhaus in der Pfarrei Nuovo Monasterio ein. Der Herzog setzte sich offen für sie ein und so war die Verbindung auch für ihre Familie von Nutzen: Als ihr Bruder Sigerio 1489 in einem Streit einen Mann tötete und hingerichtet werden sollte, bewahrte ihn eine persönliche Intervention des Herzogs vor dem Tod. 

Im Sommer 1490 wurde Cecilia schwanger. Sie war siebzehn Jahre alt. Etwa zu dieser Zeit malte Leonardo da Vinci ihr berühmtes Porträt. 

Ein heikles Beziehungsdreieck

Die Beziehung zwischen Cecilia und Ludovico war politisch heikel. Der Herzog war seit 1480 mit der damals fünfjährigen Beatrice d’Este (*1475) verlobt, Tochter der Fürstenfamilie von Ferrara, die als Mäzene der Kunst berühmt waren. Sie herrschten über die vereinigten Herzogtümer Modena und Ferrara östlich von Mailand. 

Als Beatrice sechzehn Jahre alt wurde, zog sie nach Mailand und heiratete Ludovico am 16. Januar 1491 – während Cecilia noch schwanger war. Die Liaison zwischen dem Herzog und Cecilia war ein offenes Geheimnis. Beatrice d’Este weigerte sich, das Ehebett mit Ludovico zu teilen, solange er sich eine Mätresse hielt, und setzte ihm schließlich ein Ultimatum. Der Herzog gab ihrem Drängen nach und beendete die Beziehung. Ende März 1491 musste Cecilia den Hof verlassen. Etwa einen Monat später am 3. Mai 1491 brachte sie Ludovicos Sohn Cesare Sforza zur Welt.

Sforza-Altar
Ludovico Sforza (links), Cesare Sforza (?, linkes Kind), Beatrice d'Este (rechts), Massimiliano Sforza (?, rechtes Kind), Sforza Altar (Ausschnitt), Meister des Sforza Altars, 1494 (Entstehungsjahr anhand von Archiveinträgen der Mailänder Kirche Sant'Ambrogio ad Nemus gesichert)
Politisch heikel: Ludovico und Beatrice hatten zwar zwei gemeinsame Söhne: Massimiliano (*1493) und Francesco (*1495), der zweite Sohn Francesco wurde jedoch erst ein Jahr nach Fertigstellung des Altarbildes geboren. Daher muss es sich bei dem linken Kind um Cesare Sforza handeln. Der etwa drei Jahre alte Cesare (*1491), ist der älteste Sohn Ludovicos, den er mit seiner Mätresse Cecilia zeugte. Das für eine öffentliche Kirche bestimmte Gemälde muss für die hochadelige Beatrice d'Este zutiefst beleidigend gewesen sein und wirft einen interessanten Blick auf das Wesen der Ehe der beiden. Als Beatrice 1497 bei der Geburt des dritten Sohnes starb, gab der Herzog sich in großer Trauer. Doch eine Hofdame von Beatrice, Lucrezia Crivelli, war zu dem Zeitpunkt von Ludovico schwanger und gebar ihm zwei Monate später den Sohn Giovanni Paolo I. Sforza. Er wurde später legitimiert und erster Markgraf der Gemeinde Caravaggio. Bis zur Vertreibung des Herzogs aus Mailand war Lucrezia die Mätresse Ludovicos und wurde vermutlich auch von Leonardo porträtiert (als "Belle Ferroniere")

Zeit nach dem Mailänder Hof

Ludovico blieb der Mutter seines Sohnes stets verbunden und unterstützte sie weiterhin. Er bestimmte auch ihren zukünftigen Ehemann: Die Wahl fiel auf den Grafen Ludovico Carminati de Brambilla, genannt Bergamini, den sie 1492 im Alter von neunzehn Jahren heiratete. Außerdem überließ Ludovico ihr den prächtigen Palazzo Carmagnola in Mailand sowie ein Lehen in Saronno, so dass Cecilia als Gräfin das Leben einer Edeldame führen konnte.

Cecilia muss auch in späteren Jahren sehr schön gewesen sein, ihre Schönheit war Gegenstand zahlreicher zeitgenössischer Briefe und Gedichte. Sie galt zudem als klug und sehr gebildet. Sie sprach fließend Latein, musizierte, schrieb Gedichte und war eine angenehme Unterhalterin. Als Gastgeberin von literarischen Salons diskutierte sie mit hochgestellten Persönlichkeiten über Religion, Kunst und Philosophie. Diese Zusammenkünfte gelten als die ersten Salons Europas. Cecilia förderte außerdem Schriftsteller, unter ihnen den Novellisten Matteo Bandello.

Der Mailänder Herzog Ludovico Sforza wurde 1499 von den Franzosen vertrieben, entmachtet und starb 1508 in französischer Gefangenschaft. Ihr gemeinsamer Sohn Cesare schlug eine kirchliche Laufbahn ein, wurde Abt, starb jedoch bereits 1512 – vier Jahre nach seinem Vater – im Alter von nur 21 Jahren. 

Mit ihrem Ehemann, dem Grafen Ludovico Carminati de Brambilla, hatte Cecilia vier weitere Kinder. Der älteste Sohn – Giovanni Pietro Bergamini – heiratete Bona di Monastirolo, eine Tochter von Lucrezia Crivelli. Die Mailänder Adelige war Cecilias Nachfolgerin als Mätresse Ludovicos, Mutter zweier Söhne des Herzogs und wurde vermutlich als La Belle Ferronière von Leonardo porträtiert. Der Graf starb 1514. Cecilia Gallerani überlebte ihn um zweiundzwanzig Jahre und starb 1536 im Alter von 63 Jahren auf dem Schloss ihres Mannes in der kleinen Gemeinde San Giovanni in Croce (ital. „Heiliger Johannes am Kreuz“) nahe Cremona, etwa hundert Kilometer südöstlich von Mailand.

Leonardos Gemälde blieb bis zu ihrem Tod in ihrem Besitz.

Villa Medici del Vascello, San Giovanni in Croce, Italien
Nach ihrem Wegzug aus Mailand bewohnte Cecilia das Schloss ihres Mannes. Wie bereits im Palazzo Carmagnola in Mailand veranstaltete sie auch hier regelmäßig Salons.
Das Schloss ist heute nach seinem letzten Besitzer benannt, Giacomo Medici, Marquis del Vascello (1817-1882), der aber nicht mit der berühmten Florentiner Herrscherfamilie verwandt war. Das Schloss war stark heruntergekommen und wurde 2015 aufwändig saniert

Das Hermelin als Haustier

Dass Cecilia ein Hermelin als Haustier auf dem Arm hält, erscheint heute ungewöhnlich, war für Leonardos Zeitgenossen jedoch keineswegs befremdlich. Hermeline ernähren sich vorwiegend von kleinen Nagetieren und waren daher eine beliebte Wahl zur Schädlingsbekämpfung. Sie wurden häufig – ähnlich wie Katzen – als Mäusefänger gehalten.

Leonardo hatte ein ambivalentes Verhältnis zu Haustieren. Einerseits erkannte er ihren Nutzen, andererseits sah er in allem zuerst die Natur. Einer Legende nach soll er auf einem Markt Vögel gekauft haben, nur um sie unmittelbar danach in die Freiheit zu entlassen. Ein Tier seiner Freiheit zu berauben, nur um es zum eigenen Gefallen einzusperren, muss ihm zutiefst widersprochen haben – ganz gleich, wie weich sein Fell war. In dem Gemälde deutet er auf subtile Weise einige Probleme der Haustierhaltung an, die den Betrachter zum Nachdenken darüber anregen, ob die edlen Geschöpfe der Natur nicht besser in Freiheit leben sollten.

Freiheitsdrang

Der Freiheitsdrang des Tieres wird dadurch betont, dass Cecilia es festhalten muss. Ohne ihre rechte Hand an der Schulter des Hermelins wäre es ihr wohl bereits vom Arm gesprungen. Dafür sprechen die nach rechts gewundene Körperhaltung des Tieres und die nach vorn gerichtete linke Pfote.

Starker Eigengeruch

Die Nase Cecilias befindet sich genau über der Nase des Hermelins – ein Hinweis auf dessen starken Eigengeruch. Hermeline gehören zur Familie der Marder bzw. Wiesel und sind dafür bekannt, ein ausgeprägtes sekretorisches System zu besitzen, das einen markanten Duftstoff absondert.

Scharfe Krallen

Hermeline haben scharfe Krallen, mit denen sie Kleidung leicht beschädigen können. Leonardo deutet dies durch ein besonderes Kleidungsstück an: den blauen Umhang über Cecilias linker Schulter, der am Oberarm dekorativ von oben nach unten zweigeteilt ist. Nicht zufällig liegen beide Pfoten des Hermelins genau auf Höhe des oberen und unteren Endes dieser Stoffpartie. Im Zusammenspiel mit der rechten Pfote des Tieres scheint es, als habe eine kräftige Abwärtsbewegung den blauen Stoff aufgerissen, sodass der darunterliegende rote Stoff sichtbar wird.

Scharfe Zähne

Auch der starke Beißtrieb des Tieres wird angedeutet. Dunkle Flecken um das Maul des Hermelins könnten Spuren geronnenen Blutes sein – ein subtiler Hinweis auf einen vorangegangenen Biss des kleinen Raubtiers.

Leonardo da Vinci – Dame Hermelin (Detail), Kopf des Hermelins
Rund um das Maul des Hermelins sind dunkelrote Flecken zu erkennen

Das Hermelin als Symbol

Das titelgebende Hermelin ist nicht zufällig gewählt – es spielt auf Cecilias Nachnamen an. Vor allem aber ist das Hermelin bis heute ein symbolträchtiges Tier für den Hochadel. Besonders bemerkenswert ist, dass Leonardo das Tier fast doppelt so groß darstellte, wie es in der Natur tatsächlich ist: Ohne seinen Schwanz gemessen ist ein Hermelin nämlich kaum größer als ein Meerschweinchen.

Symbol für Cecilia

Das altgriechische Wort für Wiesel – das Hermelin zählt zu den Wieseln – lautet galê bzw. galéē und kann als Anspielung auf Cecilias Nachnamen Gallerani verstanden werden. Leonardo da Vinci und seine Auftraggeber hatten eine Vorliebe für Wortspiele, sie waren eine Mode der Zeit.

So wird Leonardo ein weiteres Porträt zugeschrieben: Es zeigt Ginevra de’ Benci. Sie sitzt vor einem Wacholderstrauch. Wacholder heißt auf Italienisch ginepro – ein Wort, das im italienischen ähnlich klingt wie Ginevra.

Auch beim Porträt der Lisa del Giocondo, das als Mona Lisa bekannt ist, lässt sich ein solches Wortspiel erkennen. Gioconda bedeutet auf Italienisch „die Heitere“. Es wird daher angenommen, dass ihr heiteres Lächeln auf ihren Nachnamen del Giocondo anspielt.

Symbol des Hochadels

Hermelinmäntel wurden ab dem 14. Jahrhundert zu einem Symbol für Reichtum und Macht des Adels. Da die Mäntel aus dem feinen weißen Winterfell des Hermelins äußerst kostbar waren, konnten sie sich nur Angehörige des hohen Adels leisten. Zeitweise wurde Nichtadeligen sogar der Erwerb von Hermelinmänteln verboten. Der zeremonielle Umhang von Kaiser, Königen, Herzögen und Kardinälen bestand seither aus dem weißen Winterfell mit den charakteristischen aufgesetzten schwarzen Schwanzspitzen. Das Motiv des Hermelinmantels schmückt bis heute alle Wappen des europäischen Hochadels.

Friedrich V.,  Gerrit van Honthorst
Friedrich V., König von Böhmen, um 1620
Die Innenseite des roten Mantels ist mit dem weißen Winterfell der Hermeline gefüttert. Die aufgesetzten schwarzen Schwanzspitzen sind gut zu erkennen
Wappen des Fürstentums Liechtenstein
Wappen des Fürstentums Liechtenstein mit Wappenmantel
Auch hier ist die Innenseite des Mantels mit dem weißen Winterfell der Hermeline gefüttert, auf das die schwarzen Schwanzspitzen aufgesetzt wurden

Winter- und Sommerfell der Hermeline

Das Fell der Hermeline verändert je nach Jahreszeit seine Farbe. Dabei bleibt die Schwanzspitze stets schwarz.

Hermelin im Winterfell. Die schwarze Schwanzspitze ist gut zu erkennen
Es ist ein typisches Verhalten von Hermelinen, sich auf den Hinterläufen aufzurichten und die Umgebung zu beobachten
Hermelin im Sommerfell. Auch hier ist die schwarze Schwanzspitze gut zu erkennen
Ein Hermelin blickt frontal auf Betrachtende

Warum identifiziert sich der Adel mit dem Hermelin?

Die klassische Aufgabe des Adels war dreigeteilt.

  • in Kriegszeiten die militärische Verteidigung übernehmen (Stärke)
  • für Nachwuchs sorgen, um die Dynastie zu sichern (Fruchtbarkeit)
  • ein moralisches Vorbild sein, also das sprichwörtlich ritterliche Benehmen (Tugend)

Das Hermelin vereint symbolisch alle drei Eigenschaften:

  1. Stärke – Das Hermelin ist muskulös, wendig und kämpferisch. Es ist sehr angriffslustig und verteidigt aggressiv sein Revier. Es scheut dabei nicht den Kampf gegen gefährliche Schlangen oder deutlich größere Tiere – in einem bekannten Video ist zu sehen, wie ein Hermelin einen deutlich größeren Hasen erlegt
  2. Fruchtbarkeit – Hermeline werden in freier Natur meist nur 1-2 Jahre alt. Dafür aber sind sie sehr fruchtbar, so können bereits die Jungtiere geschwängert werden. Bis zu 18 Jungtiere werden pro Wurf geboren. Hermeline vermehren sich daher sehr schnell
  3. Tugend – Da das Winterfell des Hermelins weiß ist, ist es ein Symbol für Reinheit. Daher soll das weiße Hermelin auf die tugendhafte Gesinnung des Adels verweisen

Symbol für Ludovico Sforza

Lange Zeit war unbekannt, dass Ludovico Sforza auch als "Weißes Hermelin" bezeichnet wurde. Historiker haben herausgefunden, dass Ludovico 1488 in den Hermelinorden des Königs von Neapel aufgenommen wurde. Er hatte dort den Rang eines "Hermelins". Hermelinorden waren spezielle Ritterorden, die zu dieser Zeit in Europa gegründet wurden. Die Aufnahme war eine hohe Ehre, wurde aber auch als diplomatisches Mittel genutzt. 

Ludovico Sforza trug daher auch den Beinamen „Ermellino Bianco“ (ital. 'Weißes Hermelin'). Das war jedoch kein offizieller Titel, sondern er wurde meist umschreibend verwendet, z.B. in einem Sonett des Dichters Bernardo Bellincioni.

Die Darstellung des weißen Hermelins in dem Gemälde ist also auch als Symbol für den Herzog zu verstehen. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass das Hermelin im Porträt viel muskulöser und fast doppelt so groß dargestellt wird, wie in Wirklichkeit. Der Herzog sollte, wenn schon als Wiesel, dann doch als das größte und stärkste aller Wiesel repräsentiert werden.

Ludovico Sforza
Porträt von Ludovico Sforza, Herzog von Mailand, Buchmalerei, um 1496-1499
Ludovico gab seinem Hofmaler Leonardo nie den Auftrag ein Porträt von sich anfertigen zu lassen. Es existieren auch sonst nur wenige zeitgenössische Darstellungen von dem einflussreichen Mailänder Herzog
Leonardo da Vinci - Das Hermelin als Symbol der Reinheit, 1494
Das Hermelin als Symbol der Reinheit, Leonardo da Vinci zugeschrieben, 1494
Illustriert wird die Legende, nach der sich ein Hermelin lieber erschlagen lässt, als das weiße Fell zu beschmutzen: „Malo Mori Quam Foedari“ („Lieber sterben als besudelt werden“)

Handelt es sich wirklich um ein Hermelin?

Leonardo zeigt kein naturgetreues Hermelin, da es in Größe und Körperbau stark von einem echten Hermelin abweicht. Seine Darstellung wirkt deutlich größer, muskulöser und schwerer gebaut – weniger elegant und zierlich als in Wirklichkeit. Möglich ist, dass Leonardo einen nahen Verwandten des Hermelins darstellte: das etwa doppelt so große Frettchen. Zwar unterscheidet sich dessen Fellfärbung, doch existieren Albino-Varianten, die nicht immer die für Albinos typischen roten Augen aufweisen. Aber auch für ein Frettchen ist das dargestellte Tier ungewöhnlich kräftig.

Vielleicht wirkt das Hermelin aber nur so groß, weil Cecilia selbst noch sehr jung und zierlich war – denn wenn das Hermelin nicht zu groß ist, dann ist sie sehr klein. Eine Deutung, die gut zu ihrer Biografie passt: bereits mit zehn Jahren verlobt und möglicherweise kaum älter als vierzehn, als sie Ludovicos Mätresse wurde. Es ist daher durchaus denkbar, dass Leonardo auf pointierte Weise auf das noch sehr junge Alter Cecilias hinweisen wollte.

Kunsthistoriker gehen dennoch davon aus, dass Leonardo ein Hermelin darstellen wollte. Sie begründen dies vor allem mit dem Bezug zu Herzog Ludovico Sforza, der Mitglied des Hochadels war und den Beinamen „Weißes Hermelin“ trug.

Dass das Tier nicht von Anfang an geplant war, zeigen die Untersuchungen des Physikers Pascal Cotte. Mithilfe multispektraler Aufnahmen konnte Cotte die Entstehungsphasen des Gemäldes rekonstruieren: In der ersten Fassung war Cecilia noch ohne Tier dargestellt. In einer zweiten Phase fügte Leonardo ein graues Wiesel hinzu und passte die Handhaltung an. Erst in der dritten Fassung entstand das weiße Hermelin in seiner heutigen Form.

Leonardo da Vinci – Dame Hermelin, Entstehungsphasen
@Pascal Cotte / Lumiere Technology – Ergebnis der multispektralen Untersuchung durch den französischen Physiker Pascal Cotte. Es zeigt die wesentlichen Entstehungsphasen des Gemäldes

Das Hinzufügen des Wiesels lässt sich vermutlich durch ein Wortspiel mit Cecilias Nachnamen erklären. Die Idee könnte Leonardo während der Arbeit am Gemälde gekommen sein. Denkbar ist auch, dass die literaturbegeisterte Cecilia diesen Wunsch äußerte, als sie eine frühe Version des Bildes sah. Dieses graue Wiesel entsprach zunächst einer eher naturalistischen Darstellung.
Die spätere Umwandlung in ein Hermelin war dagegen ein bedeutungsvoller Schritt, da das Tier als Symbol des Hochadels galt – für eine Mätresse eigentlich nicht standesgemäß, zumal Ludovico bereits mit Beatrice d’Este verlobt war und eine spätere Heirat mit Cecilia somit ausgeschlossen war.
Vermutlich wurde das Hermelin erst hinzugefügt, als Cecilia schwanger wurde. Nach einer antiken Legende um die Geburt des Herkules (s. unten) galt das Hermelin als Schutztier für Schwangere. Leonardo könnte daher die muskulöse, übergroße Form des Tieres als Zeichen der Schutzkraft betont und zugleich dessen Bauch leicht rundlich gestaltet haben, sodass er an den Leib eines trächtigen Hermelinweibchens erinnert. Das Tier wurde so zum Symbol sowohl für die schwangere Cecilia als auch für ihren Beschützer Ludovico Sforza

Bildinterpretation

Diese Interpretation wird aufzeigen, dass Leonardo da Vincis Dame mit dem Hermelin nicht nur das Porträt einer Edeldame, sondern eine vielschichtige Allegorie adliger Tugenden ist. In Anlehnung an die Ideale der Renaissance verkörpert das Gemälde die drei dem Adel zugeschriebenen Hauptmerkmale – Stärke, Fruchtbarkeit und Tugend – und verbindet sie mit mythologischen, erotischen und geometrischen Symbolen zu einer komplexen Bildsprache.

Stärke – Die Herkuleslegende

Das Hermelin steht in Verbindung mit der Sage von der Geburt des Herkules. Herkules war der uneheliche Sohn der sterblichen Alkmene und des Göttervaters Zeus. Obwohl er selbst kein Gott war, stand er als griechischer Held über den gewöhnlichen Menschen. Er ist für seine unbändige Kraft und zahlreiche Heldentaten bekannt. Die Legende weist bemerkenswerte Parallelen zu Cecilias eigener Geschichte auf.

Die antike Legende zur Geburt des Herkules

Wie häufig in der griechischen Mythologie existieren auch zur Geburt des Herkules verschiedene, im Kern jedoch ähnliche Versionen. Die folgende Version folgt dem Werk “Metamorphosen” des Antoninus Liberalis (2. Jh. n. Chr.), die auch durch andere antike Autoren überliefert ist.

Der Göttervater Zeus schwängerte die irdische Alkmene und zeugte Herkules, indem er sich als ihr Ehemann Amphitryon maskierte. Als Amphitryon das kurz darauf erfuhr, verzieh er ihr und schwängerte sie noch dazu mit Iphikles.

Hera, die eifersüchtige Gattin des Zeus, rächte sich, indem sie die Geburtsgöttin Eileithyia anwies, sich auf ihren Altar zu setzen und die Knie fest zu verschränken, damit Alkmene durch diesen Zauber ihre Zwillinge nicht zur Welt bringen könne. Nachdem Alkmene sieben Tage und Nächte in den Wehen lag, täuschte ihre Magd Galanthis die Göttin: Sie rief, die Geburt sei bereits erfolgt. Die getäuschte Eileithyia sprang erschrocken auf – der Zauber war gebrochen, und Alkmene entband die Zwillinge Herkules und Iphikles. Zur Strafe verwandelte die Göttin die Magd in ein Hermelin.

Nach der Geburt setzte Alkmene den Säugling Herkules aus Angst vor Heras Rache aus. Er wurde von der Göttin Athene gefunden, die ihn zu Hera brachte. Hera erkannte Herkules nicht und säugte ihn aus Mitleid. Mit der göttlichen Milch der Hera erhielt Herakles übernatürliche Kräfte. Herkules sog dabei einmal so stark an ihrer Brust, dass es Hera schmerzte. Sie stieß den Säugling von sich und die aus ihrer Brust spritzende Milch verteilte sich über dem Himmel und es entstand die Milchstraße. Athene brachte das Kind dann zu Alkmene zurück. Seine erste Heldentat vollbrachte der bereits sehr kräftige Herkules, als er im Alter von acht Monaten zwei Schlangen erwürgte, die Hera geschickt hatte, um ihn zu töten.

Die Herkuleslegende und die Schwangerschaft Cecilias

Mit der Renaissance kam es in Mode, dass sich Herrscher mit antiken Göttern identifizierten. Herrscher und Fürsten ließen sich bewusst in den Rollen antiker Götter oder Heroen darstellen. Die Konstellation von Zeus, Alkmene, ihrem Gatten Amphitryon und dem Sohn Herkules erinnert auffallend an die Beziehungen am Mailänder Hof. 

Ludovico (Zeus) „maskiert“ sich als Herzog – zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht der legitime Herzog Mailands – um Cecilia (Alkmene) als ihr Ehemann Giovanni Stefano Visconti (Amphitryon) zu verführen – Visconti war Cecilias erster Verlobter und entstammte dem früheren Fürstengeschlecht Mailands. Cecilia wird daraufhin mit Cesare (Herkules) schwanger. Doch wie in der antiken Sage darf auch Cecilia das Kind nicht in Ruhe gebären: Sie wird von Beatrice d’Este (Hera), der eifersüchtigen Gemahlin Ludovicos, vom Hof verstoßen.

Anspielungen auf die Herkuleslegende

Das Gemälde lässt sich in mehreren Details als Anspielung auf die antike Herkuleslegende verstehen:

  • die Maske des Zeus
  • die Schwangerschaft Alkmenes
  • das Hermelin als verwandelte Magd Galanthis
  • die stillende Brust der Hera
  • das zu kräftige Säugen des Herkules und die Milchstraße
  • die Stärke des Herkules

Die Maske des Zeus

Das Gesicht Cecilias ist von einer scharfen Trennlinie umgeben, die durch eine eng anliegende, transparente Haube entsteht, welche das Haar streng zurückhält. Dadurch wirkt ihr Antlitz wie eine Maske – eine mögliche Anspielung auf die Maskierung des Zeus, der sich in der Herkuleslegende als Ehemann der Alkmene verkleidet.

Dame mit dem Hermelin, Detail des Gesichts
Die klare Umzeichnung des Gesichts durch die streng zurückgekämmten Haare verleiht ihrem Antlitz einen maskenhaften Charakter. Verstärkt wird der Eindruck durch eine zweite Linie, die die vorderen Haare von den hinteren trennt (hellbraune Linie). Vor dem Hintergrund der antiken Herkuleslegende lässt sich dies als Anspielung auf die Maske des Zeus verstehen, mit der er Alkmene täuschte
Fragment eines Skizzenblattes mit der Zeichnung einer Maske, vermutlich als Studie für ein Fest oder eine Theatervorführung, Leonardo da Vinci zugeschrieben, Windsor, Royal Library (9)12589
Eine Maske wie diese könnte Zeus getragen haben, als er Alkmene täuschte

Die Schwangerschaft Alkmenes

Cecilia wurde schwanger, während das Gemälde entstand. Leonardo vermied es jedoch, den schwangeren Bauch direkt zu zeigen – er wollte die jugendliche Schönheit Cecilias für die Ewigkeit bewahren, nicht ihr Aussehen im Moment der Schwangerschaft. Dennoch deutet er die Schwangerschaft subtil an.

Dame mit dem Hermelin, Bildanalyse - schwangerer Bauch
Dame mit dem Hermelin, Detail des Bauches
Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Leonardo die Schwangerschaft Cecilias andeuten wollte. Ihr linker Arm kann das Hermelin in dieser Position kaum halten: Die Hinterläufe des sich windenden Tieres müssten sich zwischen Hüfte und rechtem Arm befinden – und damit oberhalb ihrer linken Hand. Betrachtet man nur den Bereich um die untere Hand, erinnert ihre Haltung stark an die typische Geste schwangerer Frauen, die eine Hand schützend auf den Bauch legen
Sandro Botticelli – Smeralda Brandini
Bildnis der schwangeren Smeralda Brandini, Sandro Botticelli, um 1470
Die auf dem Bauch ruhende linke Hand ist eine charakteristische Geste schwangerer Frauen. Botticelli, ein Mitschüler Leonardos während seiner Ausbildung bei Verrocchio, zeigt die Schwangerschaft deutlich sichtbar. Dadurch wirkt sein Gemälde weniger zeitlos. Es ist immer klar erkennbar, zu welchem Zeitpunkt es Smeralda Brandini zeigt

Das Hermelin als verwandelte Magd Galanthis

Das Hermelin erscheint nun als die verwandelte Magd Galanthis, die die Geburtsgöttin Eileithyia täuschte, um Alkmenes Geburtsqualen zu beenden. Zur Strafe verwandelte Eileithyia sie in ein Hermelin.

Galanthis wurde für ihre trickreiche Täuschung der Geburtsgöttin Eileithyia zur Strafe in ein Hermelin verwandelt

Die stillende Brust der Hera

Der Kopf des Hermelins geht farblich fast nahtlos in die Hauttöne von Cecilias Dekolleté über A. Seine spitz zulaufende Form erinnert an eine entblößte weibliche Brust, die zum Stillen nach außen gerichtet ist. Zugleich wirken Cecilias Hände, für sich betrachtet, wie die einer Mutter, die ihr Kind im Arm hält. So verwandelt sich Cecilia in Hera, die den kleinen Herkules stillt – während dieser, in der Bildlogik, als Hermelin erscheint.

Dame mit dem Hermelin, bearbeitet
Der angewandte Filter – starke Kontraste, Graustufen und Unschärfe – imitiert das skotopische Sehen, also jenen Zustand des Auges bei Dunkelheit, in dem Farben allmählich verschwinden und nur noch Helligkeitsunterschiede wahrgenommen werden können. Es wird deutlich, dass ein starker Schatten den Kopf des Hermelins nach unten abgrenzt und ihn zugleich klar vom blauen Kleid trennt. Dadurch wirkt der Kopf des Tieres vom Körper losgelöst und erinnert – für sich betrachtet – an zwei ineinandergeschobene Kugeln: eine größere links (die Brust), eine kleinere rechts (der Säuglingskopf). Insgesamt entsteht der Eindruck einer nach rechts gerichteten, entblößten Brust, die teilweise von einem Säuglingskopf verdeckt wird
Rogier van der Weyden – Madonna mit Kind
Madonna lactans, Rogier van der Weyden, um 1460-1465
Die stillende Madonna wendet ihre entblößte Brust dem Kopf des Kindes zu. Die Haltung ihrer Arme entspricht – isoliert betrachtet – derjenigen Cecilias, deren Gestik wirkt, als halte sie ein Kind im Arm

Das zu kräftige Säugen des Herkules und die Milchstraße

Die rötlichen Flecken um das Maul des Hermelins verweisen auf die Schmerzen, die der Säugling Herkules der Göttin Hera beim Stillen zufügte, woraufhin sie ihn von sich stieß. Der Legende nach bildete die aus ihrer Brust spritzende Milch daraufhin die Milchstraße.

Leonardo da Vinci – Dame Hermelin (Detail), Kopf des Hermelins
Dame mit dem Hermelin, Detail
Der Kopf des Hermelins überdeckt die linke Brust Cecilias. Rund um sein Maul sind feine, rötliche Spuren zu erkennen – eine Anspielung auf das kräftige Saugen des Herkules, der hier erneut als Hermelin erscheint
Leonardo da Vinci – Dame Hermelin, Entstehungsphasen
@Pascal Cotte / Lumiere Technology – Ergebnis der multispektralen Untersuchung durch den französischen Physiker Pascal Cotte
Die Untersuchungen von Pascal Cotte haben gezeigt, dass der Hintergrund des Gemäldes ursprünglich nicht schwarz war, sondern nach rechts hin in einen heller werdenden, bläulichen Ton überging. Erst um 1800 ließ eine spätere Besitzerin ihn übermalen. Damit erinnert die ursprüngliche Farbgestaltung an die „Milchstraße“, jenen hellen, milchigen Verlauf am Nachthimmel, der ihr ihren Namen gab

Die Stärke des Herkules

Das Hermelin – besonders sein rechter Vorderlauf – ist unnatürlich muskulös dargestellt. Auch seine Gesamtgröße übersteigt die eines realen Hermelins deutlich und verleiht dem Tier eine übernatürliche Erscheinung, wie sie auch dem Herkules zugeschrieben wird.

Dame mit dem Hermelin, Bildanalyse - Muskeln und Pfoten des Hermelins
Dame mit dem Hermelin, Detail
Der rechte Vorderlauf des Hermelins ist unnatürlich muskulös dargestellt. Auch dies ist eine Anspielung auf die Herkuleslegende: In der griechischen Mythologie gilt Herkules als Inbegriff übermenschlicher Stärke und wird daher traditionell mit ausgeprägter Muskulatur gezeigt
Herakles (Herkules Farnese), Lysipp, um 400 v.Chr.
Die Statue veranschaulicht die gewaltige Muskelkraft des Herkules eindrücklich. Lysipp zählt zu den bedeutendsten Bildhauern der Antike. Seine Darstellung des Herkules wurde schon in der Antike vielfach kopiert und gilt bis heute als ikonisches Sinnbild körperlicher Stärke

Fazit zu den Anspielungen auf die Herkuleslegende

Ludovico Sforza war der unumschränkte Herrscher des Herzogtums Mailand. Unter seiner Regentschaft erlebte der Hof eine Zeit politischer, militärischer und kultureller Blüte. Er zog zahlreiche Gelehrte und Künstler an, darunter Leonardo da Vinci, den Architekten Donato Bramante (erster Architekt des Petersdoms) und den Mathematiker Luca Pacioli (Begründer der doppelten Buchführung).

Charakteristisch für die Renaissance war der Rückgriff auf die Antike und ihre Götterwelt. Viele Herrscher sahen in ihrem Hof einen neuen Olymp – den Sitz der Götter. Der Fürst erschien selbstverständlich als Göttervater Zeus, die Künstler als Apollon, die Krieger als Ares, die Hofdamen als Hera, Athene oder Aphrodite usw.

Zeus ist vor allem für seine zahlreichen Liebesabenteuer bekannt. Ludovicos “heroische” Eroberung Cecilias, die ursprünglich Giovanni Stefano Visconti versprochen war, spiegelt die Verführung der verheirateten Alkmene durch Zeus deutlich wider. Auch Cecilias Schwangerschaft fügt sich in dieses Bild: Als nichtadelige, irdische Frau konnte sie kein göttliches Kind empfangen, doch der als Zeus auftretende Ludovico konnte auch keinen gewöhnlichen Menschen zeugen – ihr gemeinsamer Sohn Cesare musste also, im übertragenen Sinn, ein “Halbgott” werden, stark und kräftig wie Herkules. In dieser Lesart erscheint Herkules im Gemälde als übergroßes, muskulöses Hermelin in den Armen der Cecilia.

Dass Ludovico stolz auf den unehelichen Sohn war, zeigt der sogenannte Sforza-Altar (s. oben), auf dem Cesare gleichrangig neben Ludovicos legitimen Nachkommen mit Beatrice d’Este dargestellt ist. Leonardos Anspielungen auf die Herkuleslegende legen nahe, dass das Hermelin erst dann in das Gemälde eingefügt wurde, als feststand, dass Ludovico einen Sohn bekommen hatte – also im Mai 1491. Vermutlich war bis dahin, wie Pascal Cotte nachweisen konnte, noch das graue Wiesel zu sehen.

Mit der Geburt des ersten Sohnes erhielt Cecilia eine besondere Stellung, die eine Darstellung mit einem Hermelin – dem Symboltier des Hochadels – rechtfertigen konnte. Wäre Ludovico Sforza bis zu seinem Tod auf dem Mailänder Thron geblieben und ohne weitere männliche Nachkommen geblieben, so wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass der Thron an Cecilias Sohn Cesare übergegangen wäre – der dann, wie sein Vater, zu einem „Weißen Hermelin“ geworden wäre.

Fruchtbarkeit – Die Geschichte einer Liebe

Während die Herkuleslegende die göttliche Herkunft und die zukünftige Stärke des Kindes von Cecilia und Ludovico betont, verweisen weitere Details des Gemäldes unmittelbar auf ihre Liebesbeziehung:

  • die Perlenkette
  • die Pupillen Cecilias
  • die Pupillen des Hermelins
  • die Hände und der dunkle Hintergrund
  • das rechte Auge des Hermelins
  • der Bauch des Hermelins

Die Perlenkette

Cecilia trägt eine Kette aus schwarzen Perlen um den Hals. Perlen entstehen, wenn etwas Fremdes in eine Muschel eindringt, dort festgehalten und mit Schichten aus Perlmutt umhüllt wird. Sobald die Perle gewachsen ist, öffnet sich die Muschel und gibt ihre Schönheit preis. In der griechischen Mythologie waren Perlen der Göttin Aphrodite (römisch: Venus) geweiht – der Göttin der Liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit –, denn wie sie selbst wurden auch die Perlen aus dem Schaum des Meeres geboren. Im Christentum galten weiße Perlen als Sinnbild der Tugend und Reinheit der Jungfrau Maria. Schwarze Perlen finden sich nur im Pazifikraum. Sie gelangten durch den internationalen Handel über Indien und Arabien nur in sehr geringer Zahl nach Europa. Die kostbare Kette aus schwarzen Perlen unterstreicht daher die herausragende Stellung Cecilias.

Muschel mit einer Perle
Die Muschel wird traditionell mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht, die in ihr befindliche Perle steht für Fruchtbarkeit. Ist sie weiß, gilt sie als Symbol von Reinheit und Tugend.
Detail der Halskette Cecilias
Schwarze Perlen galten wegen ihrer Seltenheit als besonders kostbar und werden bis heute als Ausdruck von Eleganz und Mystik empfunden. Zugleich können sie auf Trauer oder Geheimnis verweisen. Die Lichtreflexe der Perlen zeigen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den schwarzen Pupillen Cecilias

Die Pupillen Cecilias

Cecilia steht in einem dunklen Raum, der von rechts her beleuchtet wird. Sie und das Hermelin blicken in Richtung des Lichts. Beinahe scheint es, als würden beide jemanden Eintretenden ansehen. Die Frage, was sie dort sehen, macht einen großen Teil der Faszination des Gemäldes aus. Leonardo beantwortet sie durch eine Miniaturmalerei in Cecilias Augen. 

Cecilias Pupillen spiegeln, was sie sieht: Sie reflektieren das kreisrunde Licht, das sie von rechts oben beleuchtet. Am unteren Rand dieses Lichtkreises ist die Silhouette eines Kopfes erkennbar – offenbar eine Person, die eine Treppe hinabsteigt und auf Cecilia zugeht. Sie trägt einen für die Renaissance typischen Hut, ein Barett. Im Zusammenhang des Gemäldes kann es sich dabei nur um ihren Geliebten Ludovico handeln.

So wird deutlich, dass Cecilia sich in einem tiefergelegenen Raum befindet, vermutlich einem Kellergewölbe. Dieser Ort wirkt dunkel und beengend, vielleicht sogar bedrohlich – ein Sinnbild für Ungewissheit, Erwartung und Verlangen. Leonardo zeigt sie in jenem Moment, in dem sich in der Dunkelheit eine Tür öffnet und Ludovico, gleichsam als Befreier, im Licht erscheint.

Detail der Augen Cecilias
Die schwarzen Pupillen und ihr Glanz erinnern an die Form der Perlen um ihren Hals. Die Pupillen sind im Originalgemälde nur etwa 1 cm groß. Sie reflektieren, was Cecilia sieht. Ihre Augen sind die einzigen unter Leonardos Porträts, die eine Spiegelung zeigen. Die Belle Ferronière weist lediglich einen vertikalen Lichtreflex auf, die Mona Lisa gar keinen
Dame mit dem Hermelin, Bildanalyse - Rechtes Auge
Detail der linken Pupille
Die Pupillen Cecilias spiegeln, was sie sieht. In ihnen ist die Silhouette eines behüteten Kopfes zu erkennen, der zu einer Person gehört, die sich rechts über ihr befindet. Im Kontext des Gemäldes könnte es sich dabei um Ludovico handeln. Er scheint den Tunnel eines Kellergangs hinabzusteigen. Hinter ihm schimmert ein leicht rötlicher Himmel – typisch für die Morgen- oder Abenddämmerung
Dame mit dem Hermelin, Bildanalyse - Linkes Auge
Detail der rechten Pupille
Dass die Silhouette nicht zufällig erscheint, wird an der Pupille des rechten Auges deutlich, die dieselbe Silhouette zeigt. Die Miniaturmalerei gilt heute als eigenständige Kunstform. Leonardos Notizbücher belegen, dass er in der Lage war, äußerst feine und kleinformatige Zeichnungen anzufertigen
Felsgrottenmadonna, Detail der Halsbrosche der Madonna, Leonardo da Vinci, 1483-1486
Bereits das fünf Jahre zuvor entstandene Gemälde Leonardos zeigt eine Miniaturmalerei in der Brosche der Madonna. Auch hier erscheint eine Spiegelung – erstaunlicherweise die eines Fensters, obwohl die Szene in einer Felsgrotte spielt. Das zeigt, dass Leonardo selbst kleinste Details zur Steigerung der Bildwirkung einsetzte

Die Pupillen des Hermelins

Im Gegensatz zu den Pupillen Cecilias zeigen die Augen des Hermelins erstaunlicherweise keine Spiegelungen. Die weißen Flecken am rechten Rand sind bei genauerem Hinsehen lediglich kurze weiße Striche auf der Hornhaut – unbestimmte Lichtreflexe, die Leonardo einfügte, um den Eindruck von Lebendigkeit zu verstärken.

Auffällig ist, dass die Pupillen unterschiedlich groß sind. Pupillen verändern ihre Größe je nach Lichtstärke: Bei großer Helligkeit werden sie kleiner, bei Dunkelheit größer. Auf diese Weise reguliert das Auge die einfallende Lichtmenge und ermöglicht so das jeweils bestmögliche Sehen. Da im Gemälde das Licht von rechts kommt, müsste das linke Auge des Hermelins, das stärker beleuchtet wird, eigentlich eine kleinere Pupille haben – und das rechte, im Schatten liegende, eine größere. Tatsächlich ist es jedoch umgekehrt. Da Leonardo über ein außergewöhnliches Verständnis von Anatomie und Optik verfügte, kann ein bloßer Fehler ausgeschlossen werden.

Neben äußeren Lichtverhältnissen reagieren Pupillen auch auf innere Emotionen – etwa auf Angst, Überraschung oder auch sexuelle Erregung. Dass das Hermelin nach oben blickt, in Richtung von Cecilias Gesicht, verweist in diesem Zusammenhang auf einen Moment intensiver Emotion, den das Hermelin in diesem Moment erlebt.

Detail der Augen des Hermelins
Die Augen des Hermelins schielen leicht nach oben und blicken zu Cecilia auf. Im Gegensatz zu ihren zeigen sie keine Spiegelungen. Auffällig ist zudem, dass die Pupillen unterschiedlich weit geöffnet sind – ein Widerspruch zur Lichtführung in dem Gemälde

Die Hände und der dunkle Hintergrund

Leonardo beschäftigte sich intensiv mit den Proportionen des menschlichen Körpers, die er unter anderem in seiner berühmten Skizze des Vitruvianischen Menschen darstellte. Nach dieser entspricht die Länge einer Hand der Höhe des Gesichts – vom Kinn bis zum Haaransatz – und beträgt ein Zehntel der gesamten Körperhöhe. Zwar zeigt der Vitruvianische Mensch nur ein Ideal, doch Cecilias rechte Hand ist auffallend länger als die Höhe ihres Gesichts. Ihre deutlich hellere Rechte dominiert den Gesamteindruck, während die linke im Schatten liegt. Beide wirken durch ihre kräftige Modellierung wenig feminin, beinahe männlich – besonders die linke, die grob und klobig erscheint.

Das Gemälde wurde um 1800 auf der rechten Seite stark nachgedunkelt. Zuvor war am Bildrand ein bläuliches Schwarz sichtbar. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Ludovico Sforza von seinen Zeitgenossen „il Moro“ genannt wurde. Die genaue Bedeutung des Beinamens ist umstritten, sicher ist jedoch, dass er „der Dunkle“ bedeutet. Zwar war es in jener Zeit Mode, Porträts vor dunklem Hintergrund zu zeigen, um die dargestellte Person besonders hervorzuheben, doch im Zusammenspiel mit den auffallend großen, männlich wirkenden Händen Cecilias deutet sich ein weiteres Wortspiel Leonardos an.

So erscheint „il Moro“, der die Treppen zu Cecilia hinabgestiegen ist, gleichsam als die Dunkelheit selbst. Die Arme Cecilias wirken nicht mehr als Teil ihres Körpers, sondern als die Arme Ludovicos, der sie von hinten umfasst und an sich zieht – besonders deutlich an der unteren, dunkleren Hand. Das Gemälde erhält dadurch eine subtile, aber eindeutige erotische Komponente.

Das rechte Auge des Hermelins

Der erotische Charakter der Szene wird durch den Kopf des Hermelins verstärkt, dessen Farbtöne sanft in die Hauttöne von Cecilias Dekolleté übergehen. Im Gegensatz zur Deutung im Zusammenhang mit der Herkuleslegende erscheint die entblößt wirkende Brust Cecilias hier deutlich erotischer. Sie ist nicht mehr zur Seite gerichtet, als würde sie Herkules säugen, sondern der hinter ihr stehende Ludovico hat mit seiner helleren rechten Hand Cecilias Korsett leicht heruntergestreift und so ihre linke Brust entblößt. Das rechte Auge des Hermelins setzt in dem weitgehend monochrom wirkenden Bereich einen auffallend dunklen Akzent. Seine Position scheint in diesem Zusammenhang die Brustspitze Cecilias anzudeuten A. Einige Jahre später griff Raffael genau dieses Motiv in mehreren seiner Porträts auf (s. unten).

Der erotische Kontext ist nicht ungewöhnlich. Das Gemälde wurde für den Herzog geschaffen. Er sollte es betrachten können, um sich an die jugendliche Schönheit Cecilias zu erinnern – und damit auch an ihre körperliche Anziehungskraft. Natürlich konnte Leonardo die Geliebte des Herzogs nicht nackt darstellen. Doch durch das subtile Spiel der Hände, die sanften Farbübergänge und die Lichtführung im Bereich des Dekolletés gelingt es ihm, im Auge des Herzogs die Erinnerung an die gemeinsamen, erotisch aufgeladenen Momente wachzuhalten.

Dame mit dem Hermelin, bearbeitet
Der angewandte Filter verstärkt Kontrast und Unschärfe. Das rechte Auge des Hermelins bildet dabei den stärksten Kontrastpunkt im Bildbereich und ist in dieser Darstellung als dunkler Fleck auf Höhe von Cecilias Brust wahrnehmbar
Jean Fouquet – Madonna mit Kind
Madonna mit Kind, Jean Fouquet, um 1456
An dieser Darstellung wird besonders deutlich, dass der Bezug zur nährenden Madonna oft nur als Vorwand diente, um entblößte weibliche Brüste darzustellen. Fouquet war Hofmaler am französischen Königshof
Geburt der Venus (Detail), Sandro Botticelli, um 1485
Botticellis kurz zuvor entstandenes Gemälde zeigt, dass eine entblößte linke Brust nicht allein dem Bildtypus der milchgebenden Madonna entsprechen musste, sondern ebenso als Ausdruck von Erotik verstanden werden konnte

Die erotisierenden Frauenporträts von Raffael

Die Andeutung einer entblößten Brust in einem Porträt war eine Mode, die erst gegen Ende von Leonardos Lebenszeit aufkam. Er starb 1519 im Alter von 67 Jahren. Vor allem sein junger Bewunderer Raffael (*1483) griff Leonardos Motive später auf. Wo Leonardo noch andeutete, führte Raffael aus. Erst seine Generation nahm sich größere Freiheiten in der Darstellung von Porträts.

Allen hier gezeigten Darstellungen ist gemeinsam, dass die rechte Hand die linke Brust der Porträtierten berührt – und doch ist die Bildwirkung jeweils eine andere. Von links nach rechts wird das Nackte zunehmend auf spielerische, beinahe kokette Weise verdeckt.

Das Zusammenspiel erotisch-entblößender Hände mit tatsächlicher oder angedeuteter Nacktheit erinnert deutlich an Leonardos Porträt der Dame mit dem Hermelin. Raffael hat beständig aus Leonardos Gemälden zitiert.

Raffael - La Fornarina
Porträt einer jungen Frau (La Fornarina) (Ausschnitt), Raffael zugeschrieben, um 1518–1519
Die Handhaltung der mutmaßlichen Geliebten Raffaels erinnert an die angedeutete Entblößung der Brust der Dame mit dem Hermelin. Raffael war ein großer Bewunderer von Leonardos Malerei
Raffael - Porträt einer jungen Frau
Porträt einer jungen Frau, Raffael zugeschrieben, um 1516–1520
Raffael verwendete diese Geste mehrmals in seinen Porträts. Interessant ist hier, wie der leicht dunklere Fingernagel des Zeigefingers eingesetzt wird, um die Position der Brustspitze anzudeuten
Raffael - La Velata
Porträt einer jungen Frau (La Velata), Raffael zugeschrieben, um 1516–1520
Hier schiebt der entkleidende Zeigefinger das bereits geöffnete Korsett leicht nach vorn

Der Bauch des Hermelins

Der glatte Bauch des Hermelins ist ein markanter Blickfang im unteren Teil des Gemäldes. Im Zusammenspiel mit den beiden Pfoten – der einen muskulösen und der anderen mit nach vorn fallenden Haaren – betont Leonardo schließlich den sexuellen Aspekt des Bildes.

Dame mit dem Hermelin, Detail des Bauches des Hermelins
Dieser Bereich des Hermelins verdeutlicht den sexuellen Aspekt des Gemäldes. Die übertrieben ausgeprägte Muskulatur des Tieres trägt unverkennbar menschliche Züge. Besonders die linke Pfote mit ihren nach vorn fallenden Haaren erinnert an die Haltung eines sich vorbeugenden Menschen. Auch der füllige Bauch des Tieres wirkt stark vermenschlicht. Interessanterweise zeigen die wenigen zeitgenössischen Darstellungen des Mailänder Herzogs, dass Ludovico Sforza selbst etwas korpulenter war

Tugend – Linien, Formen, Muster

Das Hermelin ist ein Symboltier des Hochadels und verkörpert dessen drei zentralen Eigenschaften: Stärke, Fruchtbarkeit und Tugend. Leonardo nimmt auf alle drei Bezug – auf Stärke durch Anspielungen auf die Herkuleslegende, auf Fruchtbarkeit durch erotische Andeutungen und auf Tugend durch die kompositorische Ordnung und Harmonie des Bildes.

In der Renaissance galten Werte wie Tapferkeit, Bescheidenheit, Weisheit und Treue als Ausdruck von Tugend. Daraus sollte eine innere Schönheit entstehen, die sich in äußerer Schönheit widerspiegelt – der Ursprung des Sprichworts „Schönheit kommt von innen“.

Tugend wurde durch geistige Beschäftigung mit Literatur, Religion und Philosophie erlangt, ihren Ausdruck fand sie in den Künsten. Dichtung, Musik, Architektur, Bildhauerei und Malerei beruhten alle auf Maß, Proportion und Harmonie. Als Grundlage dieser Ordnung galt die Geometrie, die als besonders tugendhafte Wissenschaft verehrt wurde. Geometrie war die dominierende Form der Mathematik vom Altertum bis ins späte Mittelalter. 

Leonardos Faszination für geometrische Prinzipien zeigt sich deutlich in der Komposition des Gemäldes: Die Linienführung und Ausrichtung der beiden Figuren folgen einer präzisen, geometrisch durchdachten Ordnung, die Harmonie und innere Ausgeglichenheit sichtbar macht.

I Der Blick des Hermelins

Leonardo hat die Augen und Ohren des Hermelins so angeordnet, dass sie sich durch ein gleichschenkliges Dreieck verbinden lassen I. Darüber hinaus weist dieser Bereich weitere geometrische Besonderheiten auf:

  • der Goldene Schnitt der Bildhöhe verläuft durch das rechte Auge des Hermelins (orange Horizontale)
  • der Goldene Schnitt der Bildbreite verläuft links am Rand von Cecilias linkem Auge und durch das linke Auge des Hermelins (orange Vertikale)
  • die Mittelsenkrechte der Bildbreite verläuft links am Rand von Cecilias rechtem Auge und rechts am Rand des rechten Ohrs des Hermelins (rote Vertikale)
  • das rechte Auge des Hermelins befindet sich exakt in der Mitte von Mittelsenkrechter (rote Vertikale) und goldenem Schnitt der Bildbreite (orange  Vertikale)
  • das rechte Ohr des Hermelins und dessen Augen lassen sich zu einem gleichschenkligen Dreieck verbinden (grüne Linien). Die Innenwinkel betragen 120° und zweimal 30°

Mit diesem Wissen verwandeln sich das rechte Ohr und die Augen des Hermelins in ein zweites Gesicht – ein kleines, lächelndes Hermelin, das frontal auf den Betrachter blickt (I + Mouseover). Hier zeigt sich der für Leonardos Malerei typische wissende und spielerische Geist, mit dem er seine Werke durchdachte. Das lächelnde Hermelin steht im Zusammenhang mit der Schwangerschaft Cecilias und deutet auf eine glückliche Geburt hin.

II Der Blick der Cecilia

Auch im Gesicht der Cecilia lassen sich geometrische Strukturen aufzeigen II.

  • begrenzt vom goldenen Schnitt der Bildhöhe (orange Horizontale) und der Mittelsenkrechten (rote Vertikale), lässt sich zum rechten Bildrand ein Quadrat aufspannen, dessen obere Seite durch beide Augen Cecilias verläuft (rote Horizontale). Diese Linie liegt genau auf 3/4 der Bildhöhe.
  • von Cecilias Mittelscheitel trifft ein 45° Winkel die Mitte beider Augen (weiße Linien)
  • von dem eben aufgespannten Quadrat lässt sich nach oben hin zum schwarzen Stirnband ein Rechteck ziehen. Dieses hat das Seitenverhältnis von 3:4
  • von der Höhe ihres schwarzen Stirnbands kann nach unten hin eine Linie zur rechten Pfote des Hermelins gezogen werden. Diese Linie (gelb) wird vom horizontalen goldenen Schnitt ebenfalls im goldenen Schnitt geteilt
  • Die rechte Pfote des Hermelins stützt sich auf einen 45° Winkel (grünes Dreieck) der links von der Bildmitte und rechts vom goldenen Schnitt der Bildbreite begrenzt wird. Es ist dasselbe Dreieck, dass Cecilias Augen und der Mittelscheitel bilden (grünflächige Dreiecke)

Die geometrische Betonung der Augen und des muskulösen rechten Vorderlaufs des Hermelins verweist auf die Stärke des Hauses Sforza, die in Cecilia Galleranis Augen sehr anziehend gewesen sein muss.

III Das Haus vom Nikolaus

Heute vor allem als Kinderspiel bekannt, eignet sich das Haus vom Nikolaus als eines der einfachsten Beispiele für das möglichst effiziente Verbinden von Punkten durch Strecken, hier sind es fünf Punkte. Die Fragestellung kann bei zunehmender Anzahl der Punkte und veränderten Positionen schnell sehr komplex werden. Bis heute ist die sogenannte Graphentheorie ein Teilgebiet der diskreten Mathematik bzw. der theoretischen Informatik. Wenn etwa Google Maps den schnellsten Weg von Punkt A nach Punkt B berechnet, nutzt das Programm unter anderem Erkenntnisse aus der Graphentheorie.

Der berühmte Mathematiker Leonhard Euler hat ein solches Problem im 18. Jh. erstmals genauer untersucht (das "Königsberger Brückenproblem"). Rund 200 Jahre zuvor muss sich Leonardo da Vinci mit ganz ähnlichen Fragen beschäftigt haben – was sich in der Komposition der Dame mit dem Hermelin zeigen lässt III.

  • Cecilias rechtes Auge befindet sich rechts an der Mittelsenkrechten (rote Vertikale). Von dort führt ein 22,5° Winkel zu der Stelle, an der der vertikale Goldene Schnitt auf das goldene Stirnband trifft (grüne Linien). Der 22,5° Winkel ist der Mittelpunktwinkel eines regelmäßigen Sechszehnecks
  • Cecilias linkes Auge befindet sich rechts am goldenen Schnitt der Bildmitte (orange Vertikale). Von dort führt ein 22,5° Winkel zum Schnittpunkt von goldenem Stirnband und der Mittelsenkrechten (rote Vertikale)
  • Vom Schnittpunkt der beiden Linien kann zu dem bereits bekannten Punkt des Mittelscheitels ein Winkel von 72° gezogen werden, dem Mittelpunktwinkel eines regelmäßigen 5-Ecks (dunkelblaue Linie)
  • die beiden Schnittpunkte des goldenen Stirnbands mit der Mittelsenkrechten und dem goldenen Schnitt der Bildbreite bilden zusammen mit dem Mittelscheitel ein Dreieck aus den symbolischen Winkeln von 45°, 75° und 60° (obere grüne Fläche). Es ergibt sich jenes Dreieck, das Leonardo zuvor bereits in der Felsgrottenmadonna prominent platzierte und auf das er im folgenden Werk, der Belle Ferronière, ebenso verwies
Felsgrottemandonna – Dreieck mit den Innenwinkeln von 45°, 60° und 75°
Felsgrottenmadonna (Ausschnitt, bearbeitet), Leonardo da Vinci, 1483-1486
Die drei rechten Augen und das linke Auge des Jesusknaben (unten rechts) liegen auf einem Kreis. Die drei Augen auf der linken Seite sind verbunden durch ein Dreieck mit den Winkeln 45°, 60° und 75°. Die Spitze des Zeigefingers des Engels trifft exakt die rechte Seite des Dreiecks. Ein Dreieck mit genau diesen Winkeln erscheint auffallend häufig in Leonardos Gemälden
Leonardo da Vinci – Belle Ferroniere, Dreieck in der Bildmitte mit den Innenwinkeln von 45°,60° und 75°
Belle Ferronière (Ausschnitt, bearbeitet), Leonardo da Vinci, 1497
Das Dreieck, das durch den linken Pupillenrand des linken Auges, den linken Pupillenrand des rechten Auges sowie den Mittelscheitel gebildet wird, weist die bereits bekannten Innenwinkel von 45°, 60° und 75° auf. Das namensgebende Ferronière (Kopfschmuck) tangiert exakt die linke Innenseite dieses Dreiecks.
Die weiße Linie markiert die Mittelsenkrechte des Gemäldes. Sie verläuft durch das linke Auge der Porträtierten
Leonardo da Vinci – Ginevra de Benci, Dreieck auf der Rückseite mit den Innenwinkeln von 45°,50° und 75°
Ginevra de' Benci (Rückseite, bearbeitet)
Hier zeigt sich dasselbe Dreieck durch die Verbindung der Spitze des Gebindes mit den Mittelpunkten der Spiralen am Ende des Spruchbandes
  • werden nun alle derart entstandenen Punkte verbunden, ergibt sich das heute als Haus vom Nikolaus bekannte Muster (grüne Linien im Stirnbereich)
  • Durch geometrische Verschiebung kann das obere Dreieck der Stirn (obere grüne Fläche) so in einer geraden Bahn nach unten geschoben werden, dass es auf das bereits vorhandene gleichschenklige Dreieck am Kopf des Hermelins aufsetzt (unteres grünflächiges Dreieck). Das so verschobene Dreieck ist genau gleich groß, wie das auf Cecilias Stirn. Die obere Spitze des unteren Dreiecks befindet sich exakt an der Spitze des linken Ohrs des Hermelins. Somit stehen beide Ohren und beide Augen des Hermelins in einem geometrischen Zusammenhang

Fazit zur geometrischen Analyse

Es hat sich gezeigt, dass markanten Punkten, Linien und Formen in Leonardos Werken stets geometrische Strukturen zugrunde liegen. Sie bilden Muster und stehen miteinander in Verbindung (lat. “vincire”). Diese Zusammenhänge sind durch die entstehende Harmonie zwar spürbar, jedoch nicht auf den ersten Blick erkennbar. Leonardo versteht es, diesen geometrischen Beziehungen einen individuellen Charakter zu geben – in diesem Fall einen humorvollen (das lächelnde Hermelin im gleichschenkligen Dreieck) – und schafft damit eine Art persönliche Signatur.

Im Vergleich zur komplexeren Geometrie anderer Gemälde Leonardos wirkt die Dame mit dem Hermelin insgesamt relativ einfach konstruiert. Auffällig ist die starke Konzentration der Bildkonstruktion auf einen schmalen, turmartigen Bereich zwischen der Mittelsenkrechten und dem vertikalen goldenen Schnitt (III, rote und orange Vertikale). Die gesamte Komposition spielt sich dort ab. Durch den vertikalen Aufbau und die Dreiteilung der Dreiecksformen in Oben, Mitte und Unten entsteht der Eindruck einer geometrischen Projektion: Ein Dreieck wird zunächst verschoben – von der Stirn der Dame zur Stirn des Hermelins im Bildzentrum –, dann leicht nach links gedreht, sodass seine Spitze mittig zwischen der Mittelsenkrechten und dem goldenen Schnitt liegt (gelbe Linie, Dreieck aus Augen und rechtem Ohr des Hermelins), und schließlich nochmals nach unten verschoben und dabei gekippt (Dreieck am unteren Bildrand).

Leonardo verstand Geometrie nicht nur als theoretische Disziplin, sondern als Ausdruck seines Bestrebens, besonders tugendhafte Werke zu erschaffen. Er nutzte sie, um eine Erzählung von Proportion und Harmonie zu komponieren, deren Erkundung verborgene Aspekte seiner Kunst offenbart – und zugleich deren Absicht nachweisbar macht. So zeigt sich ein lächelndes Hermelin als ganz praktische Anwendung dieser Idee.

 

Provenienz

Heute gilt es als weitgehend unbestritten, dass die Dame mit dem Hermelin von Leonardo da Vinci stammt. Leonardo stand von etwa 1487 bis 1499 im Dienst des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza. Wahrscheinlich gab der Herzog den Auftrag, ein Porträt seiner Mätresse Cecilia Gallerani anfertigen zu lassen. Schriftliche Belege wie Auftragsdokumente oder Verträge sind jedoch nicht erhalten – ebenso wenig wie Studien Leonardos oder andere Notizen.

Wie Pascal Cotte 2014 zeigen konnte (s. oben), enthielt die ursprüngliche Version des Gemäldes zunächst keine Anspielungen auf Cecilias Schwangerschaft, war aber bereits in weiten Teilen fertiggestellt. Das deckt sich mit der allgemeinen Annahme, dass Leonardo mit der Arbeit begann, als die Beziehung zwischen Ludovico und Cecilia offiziell wurde – also im Jahr 1489. Schwanger wurde Cecilia im Sommer 1490. Da das Gemälde durch das später hinzugefügte graue Wiesel – das schließlich zum Hermelin wurde – vermutlich auf die Schwangerschaft und die Geburt des gemeinsamen Sohnes anspielt, dürfte es erst um 1491 vollendet worden sein, als Cesare Sforza im Mai 1491 geboren wurde. Es war für Leonardo nicht ungewöhnlich, über mehrere Jahre an einem Gemälde zu arbeiten.

Die historische Existenz eines von Leonardo gemalten Porträts der Cecilia Gallerani ist gut belegt. So bittet Isabella d’Este in einem Briefwechsel von 1498 Cecilia darum, ihr ein Porträt zu leihen, das Leonardo „nach der Natur gemalt“ habe, um es mit einem Werk des venezianischen Malers Giovanni Bellini zu vergleichen. Cecilia entsprach der Bitte, merkte jedoch an, dass ihr das Bild inzwischen nicht mehr ähnlich sehe, da es sie in einem „unfertigen Alter“ zeige. Auch zeitgenössische Dichter wie Bernardo Bellincioni und Antonio Tebaldeo erwähnen ein von Leonardo gemaltes Porträt der Cecilia.

In der Biblioteca Ambrosiana, Mailand

Das Gemälde blieb im Besitz von Cecilia Gallerani, bis sie 1536 starb. Für die darauffolgenden Jahrzehnte ist sein Verbleib unklar. Vermutlich blieb es im Besitz der Familie oder wurde im Raum Mailand gehandelt. Erst im 18. Jahrhundert wird es wieder erwähnt: Carlo Amoretti, der Bibliothekar der Mailänder Biblioteca Ambrosiana, nennt es dort als Teil der Sammlung des Marchese von Bonasana. Die Biblioteca Ambrosiana besitzt heute den umfangreichsten der erhaltenen Notizbände Leonardos, den Codex Atlanticus.

Im Besitz der polnischen Fürstenfamilie Czartoryski

Prinz Adam Jerzy Czartoryski (1770–1861), Spross einer polnischen Fürstenfamilie, erwarb das Gemälde um 1798 während einer Reise in Italien. Die Vorbesitzer sind nicht dokumentiert. Im Jahr 1800 brachte Czartoryski das Werk nach Polen und schenkte es seiner Mutter, Fürstin Izabela Czartoryska, die in der Stadt Puławy eine bedeutende Kunstsammlung aufbaute.

In den Unterlagen, die der Sohn der Fürstin aus Italien mitbrachte, befand sich eine Notiz, die Izabela Czartoryska fälschlicherweise glauben ließ, bei der Dame mit dem Hermelin handle es sich um ein Porträt der legendären „Belle Ferronière“. Daher ließ sie in der linken oberen Ecke des Gemäldes eine Aufschrift anbringen:

LA BELE FERONIERE
LEONARD DAWINCI

„Leonard Dawinci“ war eine zeitgenössische polnische Schreibweise von Leonardo da Vinci. „La Belle Ferronière“ bezeichnete ursprünglich eine historisch nicht nachweisbare Person – eine angebliche Geliebte des französischen Königs Franz I. (1494–1547), dem letzten Dienstherrn Leonardos. Als La Belle Ferronière wird heute ein anderes Frauenporträt Leonardos bezeichnet, das sich im Louvre befindet. Zur Zeit Izabela Czartoryskas galt es als das bekannteste Werk des Künstlers. Ironischerweise beruht auch bei diesem Gemälde die Bezeichnung auf einer Verwechslung und bezog sich ursprünglich auf ein anderes Werk der Sammlung.

Neben der Inschrift ließ die Fürstin vermutlich noch weitere Änderungen vornehmen: Kette, Stirnband und Verzierungen des Kleides wurden mit kräftigeren Farben übermalt, ebenso die Konturen von Nase, Haarsträhnen und Pupillen. Zudem erhielt Cecilia etwas Rouge auf den Wangen. Der ursprünglich leicht bläuliche Hintergrundverlauf wurde durch ein einheitliches Schwarz ersetzt.

Dame mit dem Hermelin (Detail der linken oberen Ecke)
Die Inschrift „LA BELE FERONIERE, LEONARD DAWINCI“ (in polnischer Schreibweise) geht auf eine Verwechslung der Fürstin Izabela Czartoryska zurück, die das Gemälde für ein anderes Werk Leonardos hielt
La Belle Ferronière, Leonardo da Vinci, um 1490-1499, Louvre Museum (INV 778)
Der Louvre selbst führt das Gemälde unter dem Titel Portrait de femme, dit à tort “La Belle Ferronnière” (Porträt einer Frau, fälschlicherweise La Belle Ferronière genannt). Der Irrtum geht auf den Maler Jean-Auguste-Dominique Ingres zurück, der zwischen 1802 und 1806 einen Kupferstich des Bildes falsch betitelte und der sich rasch verbreitete
Porträt einer Dame - genannt Belle Ferroniere
Porträt einer Dame – genannt “La Belle Ferronière”, unbekannter Künstler, um 1500–1525, Louvre Museum (INV 786)
Vor dem berühmten Irrtum von Ingres wurde dieses Gemälde als La Belle Ferronière bezeichnet. Bis heute konnte keine historische Person nachgewiesen werden, die tatsächlich als „Belle Ferronière“ bekannt war

Von Puławy über Paris nach Krakau

Anders als die übrigen Gemälde Leonardos blickt dieses Porträt auf eine bewegte Geschichte zurück, insbesondere seit es in den Besitz der polnischen Fürstenfamilie gelangte – eine Geschichte, die in gewisser Weise auch das Schicksal Polens widerspiegelt.

Das Gemälde befand sich zunächst im “Gotischen Häuschen” der Czartoryski-Residenz in Puławy im Osten Polens, wo es ab 1809 öffentlich ausgestellt wurde. Während des russisch-polnischen Krieges von 1831 floh die Fürstenfamilie nach Paris. Das Gemälde galt offiziell als verschollen, befand sich jedoch im Pariser Hôtel Lambert, in dem die Familie Quartier bezog. Um 1871 kehrten die Czartoryski aus dem Pariser Exil nach Krakau zurück – mit ihnen auch die Dame mit dem Hermelin. 1876 wurde das Gemälde im Krakauer Czartoryski-Museum erneut öffentlich gezeigt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde es zur Sicherheit in die Dresdner Gemäldegalerie verbracht. Nach Kriegsende kehrte es 1920 wieder in das Krakauer Czartoryski-Museum zurück.

Beutekunst im Zweiten Weltkrieg

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden das kostbare Gemälde und weitere Kunstgegenstände der Czartoryski-Sammlung Ende August 1939 im ländlich gelegenen Schloss Sieniawa im Osten Polens versteckt – eingemauert in einem Keller. Nach der Niederlage Polens wurde das geheime Versteck von Ortsansässigen an Soldaten der Wehrmacht verraten und geplündert. Die wertvollen Gemälde wurden dabei – vermutlich aus Unkenntnis – zurückgelassen. Laut Erinnerungen von Zeitzeugen (Zofia Szmit und Stanisława Małkowska) lag die Dame mit dem Hermelin auf dem Boden, noch mit dem Abdruck eines Soldatenstiefels. Fürst Augustyn Czartoryski ließ die Reste der Sammlung erneut vermauern und kurz darauf in Richtung Westen nach Pełkinie verlagern, um sie vor der von Osten heranrückenden Roten Armee zu schützen. Doch bald darauf wurden die Kunstwerke von den deutschen Besatzern aufgespürt und beschlagnahmt.

Die Dame mit dem Hermelin wurde nach Berlin in das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum) gebracht und dort für einige Wochen ausgestellt. Sie war für das geplante „Führermuseum“ in Linz vorgesehen. 1940 veranlasste Hans Frank, Generalgouverneur des besetzten Polen, die Rückführung des Gemäldes nach Krakau. Er nahm das Werk in seinen persönlichen Besitz und ließ es in sein Dienstzimmer auf der Wawel-Burg überführen, seinem Amtssitz im Zentrum Krakaus.

1941 wurde das Gemälde aus Franks Büro entfernt – offiziell aus Sicherheitsgründen – und zur Einlagerung nach Breslau (nach anderen Quellen nach Berlin) gebracht. 1943 gelangte Frank erneut in den Besitz des Gemäldes. Anlass war eine nicht-öffentliche Ausstellung beschlagnahmter Kunstwerke aus dem Generalgouvernement Polen, die in seinem Amtssitz, der Wawel-Burg, stattfand. 

Die Dame mit dem Hermelin verblieb bis Ende 1944 in seinem persönlichen Besitz. Mit dem Vorrücken der sowjetischen Armee hatte Frank begonnen, die Kunstschätze zunächst in seine nahegelegene Privatresidenz Schloss Krzeszowice westlich von Krakau zu bringen, von wo sie schließlich nach Deutschland gelangten.

Wiederentdeckung und Rückkehr nach Polen

Als Frank Anfang 1945 in sein Landhaus nach Neuhaus am Schliersee (Bayern) floh, nahm er das Gemälde mit. Dort wurde es noch im selben Jahr von den „Monuments Men“ – einer US-amerikanischen Spezialeinheit zur Sicherung geraubter Kunstwerke – entdeckt und beschlagnahmt. Nach einer ersten Untersuchung im Central Collecting Point in München wurde es im April 1946 an eine polnische Delegation übergeben, die es zunächst an die rechtmäßigen Vorkriegseigentümer, die Familie Czartoryski, zurückgab. Die Familie wurde jedoch von den neuen kommunistischen Machthabern Polens enteignet und ging erneut ins Exil.

Noch im Jahr 1946 kehrte die Dame mit dem Hermelin in das Czartoryski-Museum nach Krakau zurück. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Gemälde nicht nur dort, sondern im Rahmen des Kulturaustauschs auch weltweit ausgestellt (u. a. in Warschau, Moskau, Washington, Malmö, Rom, Mailand und Florenz) – häufiger als jedes andere Gemälde Leonardos.

Rückkehr in den Besitz der Familie Czartoryski

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa wurde 1991 die gesamte Kunstsammlung der Familie Czartoryski restituiert, das heißt den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben und in die neu gegründete Czartoryski-Stiftung überführt – darunter auch die Dame mit dem Hermelin. Das Gemälde verblieb jedoch weiterhin im Krakauer Czartoryski-Museum. 

Aufgrund einer mehrjährigen Restaurierung des Museums wurde das Gemälde 2010-2012 international ausgestellt (Madrid, Berlin, London) und anschließend in der Wawelsburg (2012-2017) und dem Nationalmuseum in Krakau ausgestellt (2017-2019) – das kleinere Czartoryski-Museum ist eine Zweigstelle des Nationalmuseums Krakau.

Im Besitz des polnischen Staates

Ende 2016 kaufte der polnische Staat die gesamte Sammlung der Stiftung – einschließlich Leonardos Dame mit dem Hermelin – für rund 100 Millionen Euro vom Familienerben Prinz Adam Karol Czartoryski. Der Preis war erstaunlich gering, denn der Schätzwert der Sammlung lag bei etwa zwei Milliarden Euro. Doch der Prinz betrachtete den Verkauf als patriotische Schenkung an Polen.

Seit dem Abschluss der Restaurierung des Czartoryski-Museums im Jahr 2019 befindet sich die Dame mit dem Hermelin wieder als Teil der Dauerausstellung im Czartoryski-Museum in Krakau. Aus Konservierungsgründen hat der polnische Staat beschlossen, die Dame mit dem Hermelin vorerst nicht mehr international zu verleihen. 

Kunsthistorische Bedeutung

Im Vergleich zu anderen Werken seiner Zeit zeigt Leonardo in diesem realistisch wirkenden Porträt seine herausragende Meisterschaft in der Porträtmalerei. Dank seines anatomischen Wissens und seines malerischen Könnens gelingt es ihm, feinste Nuancen in Gesicht, Händen und im Hermelin wiederzugeben – und so eine bemerkenswerte Bandbreite an Emotionen auszudrücken. Dabei bewahrt er stets die Anmut der Dargestellten – selbst in den feinsten Regungen. Umso beeindruckender ist, dass Leonardo diese subtile Ausdruckstiefe mit erstaunlich wenigen gestalterischen Mitteln erzielt.

Einführung dynamischer Posen

Zur Entstehungszeit der Dame mit dem Hermelin wirkten Porträts meist steif und unbeweglich – sie folgten einer langen Tradition statischer Darstellung. Leonardo war der Erste, der mit der Dame mit dem Hermelin ein Frauenporträt schuf, in dem die Dargestellte in einer lebendig wirkenden Drehbewegung erscheint. Diese Drehung umfasst den gesamten Oberkörper: Hüfte, Schultern, Kopf und Augen zeigen jeweils in verschiedene Richtungen. Auch Leonardos weitere Frauenporträts – La Belle Ferronière und die Mona Lisa – zeigen diese typische Körperdrehung. Dadurch wirken die Dargestellten lebendiger – und zugleich realistischer.

Porträt einer jungen Dame, Petrus Christus, um 1470
Petrus Christus war ein niederländischer Maler und Schüler von Jan van Eyck. Die niederländische Malerei galt zu dieser Zeit als realistischer als die italienische – vor allem dank der damals bereits etablierten Ölmalerei. Die Motive wirkten jedoch noch sehr statisch und formal, wie auch das Porträt einer jungen Dame zeigt. Im Vergleich dazu erscheint Leonardos Dame mit dem Hermelin deutlich lebendiger und natürlicher – ein stilistischer Bruch mit der damals üblichen Porträtauffassung
Bildnis der Simonetta Vespucci als Nymphe, Sandro Botticelli, ca. 1480–1485
Im Vergleich zu Botticelli wird deutlich, wie innovativ Leonardos Bildkonzept war. Der sieben Jahre ältere Botticelli, ein früherer Mitschüler Leonardos in Verrocchios Werkstatt, hielt in seinem Porträt der Simonetta Vespucci an der traditionellen, statischen Darstellungsweise fest. Darüber hinaus verwendete er – wie damals in Italien noch üblich – ausschließlich Tempera statt Ölfarben. Auch deshalb wirken seine Werke insgesamt flächiger und weniger realistisch als Leonardos subtil modellierte Gemälde

Erstes Sfumato Porträt

Die Dame mit dem Hermelin ist das erste Porträt Leonardos, in dem sein berühmter Sfumato-Stil deutlich zur Geltung kommt. Bei dieser besonderen Maltechnik werden unzählige hauchdünne Farbschichten nahezu transparent übereinandergelegt, sodass besonders sanfte Übergänge zwischen Licht und Schatten entstehen. Dadurch wirken Gesichter und Formen plastischer, weicher und lebendiger. Leonardos Sfumato war stilbildend für die italienische Hochrenaissance und prägte zahlreiche Künstler seiner Zeit und darüber hinaus.

Mona Lisa, Leonardo da Vinci, 1503-1519
Die Mona Lisa ist das bekannteste Beispiel für Leonardos Sfumato-Technik. Vor allem Gesicht, Hände und die Landschaft im Hintergrund zeichnen sich durch besonders weiche Schattierungen und fließende Farbübergänge aus. Konturen wirken aufgelöst, was der Darstellung eine fast mystische Sanftheit verleiht
Johannes der Täufer, Leonardo da Vinci, um 1513-1519
Leonardos letztes Werk zeigt die Sfumato-Technik in Vollendung. Der Täufer scheint aus dem Dunkel herauszutreten – oder darin zu verschwinden. Das Gemälde besteht aus unzähligen hauchdünnen Farbschichten, die mit Ölfarbe aufgetragen wurden. Klare Konturen sind dabei kaum auszumachen

Verbindung zwischen Mensch und Tier

Die Dame mit dem Hermelin ist nicht das erste Gemälde, das Mensch und Tier gemeinsam zeigt – aber das erste, das eine zärtliche Beziehung zwischen beiden darstellt. Fast scheint es, als hielte Cecilia das Tier in den Armen wie eine Mutter ihr Kind.

Arnolfini Hochzeit, Jan van Eyck, 1434
Zu Füßen des Brautpaares ist ein kleiner Hund zu erkennen – Symbol für Treue und familiäre Verbundenheit. Jan van Eyck war ein begnadeter niederländischer Maler und galt lange Zeit als Erfinder der Ölmalerei. Zum Teil kannte Leonardo sein Schaffen, er erwähnt ihn in seinen Notizbüchern
Raffael – Dame mit Einhorn
Dame mit dem Einhorn, Raffael, 1505–1507
Raffael war ein großer Bewunderer Leonardos und bezog viele Motive direkt aus dessen Werken. In diesem Gemälde kombiniert er die Hintergrundarchitektur der Mona Lisa mit dem Tier in den Armen der Dame mit dem Hermelin. Das Horn des Einhorns verweist möglicherweise auf Leonardos legendäre Festinszenierungen, bei denen auch Tiere kunstvoll geschmückt wurden

Ausgangspunkt geometrischer Systeme in Leonardos Gesamtwerk

Leonardos Gemälde stehen nicht für sich allein, sondern referenzieren einander – thematisch wie auch geometrisch. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung des 3,5°-Winkels zur Verbindung der Pupillen in der Dame mit dem Hermelin B und dem Porträt La Belle Ferronière. Ein weiteres Beispiel ist die besondere Art, in der Leonardo den Goldenen Schnitt für die Komposition seiner Porträts einsetzt.

Der 3,5° Winkel

Mehrere der zweifelsfrei echten Gemälde Leonardos zeigen den 3,5°-Winkel als Kompositionslinie markanter Bildpunkte.

Dame mit dem Hermelin (digital bearbeitet), 1491
Cecilia Galerani, Mätresse des Mailänder Herzogs. Die Achse zwischen den Pupillen (blaue Linie) ist um genau 3,5° nach rechts oben geneigt
La Belle Ferronière (digital bearbeitet), Leonardo da Vinci, 1497
Lucrezia Crivelli, Cecilias Nachfolgerin als Mätresse des Mailänder Herzogs, ebenfalls Mutter seines Sohnes. Die Achse zwischen den Pupillen (blaue Linie) ist um genau 3,5° nach rechts oben geneigt
Johannes der Täufer, Leonardo da Vinci, 1513-1519
Leonardos letztes Gemälde zeigt den Johannes, erkennbar an seinen Hauptattributen: Fellumhang und Johannestab (ein längliches Kreuz, blaue vertikale Linie). Das Kreuz oberhalb der Hand ist um genau 3,5° nach rechts geneigt, darunter um etwa die Hälfte, also ~1,7°

Mit der Dame mit dem Hermelin (Cecilia Gallerani) und der Belle Ferronière (Lucrezia Crivelli) porträtierte Leonardo zwei der Mätressen Ludovico Sforzas, die ihm beide jeweils einen Sohn schenkten. Eine dritte Mätresse hatte der Herzog dann nicht mehr. Er wurde von den Franzosen verjagt und starb in Kerkerhaft.

  • Durch die Pupillen der beiden Damen führt eine horizontale Linie im Winkel von 3,5°.
  • Leonardos letztes Gemälde zeigt Johannes den Täufer, den Schutzpatron seiner Heimatstadt Florenz. Im linken Arm hält Johannes einen Kreuzstab (Johanneskreuz). Mit genau zwei Fingern der linken Hand weist er auf sich selbst. Das Kreuz ist oberhalb der Hand um genau 3,5° vertikal geneigt, darunter um etwa die Hälfte, also ~1,7°

Ob Leonardo diesen Winkel bewusst symbolisch einsetzte, ist unklar. Mindestens zwei Deutungen sind denkbar:

  • Signaturhypothese: Maler dieser Zeit signierten ihre Werke noch nicht. Möglich ist, dass Leonardo auf andere Weise seine Urheberschaft andeutete. Seine Initialen L D V entsprechen zugleich den römischen Zahlzeichen DLV, also 555 – drei Fünfen in einem Dezimalsystem.
    Es ließe sich spekulieren, ob Leonardo diese drei Fünfen über den 3,5°-Winkel bewusst in seine Werke einfließen ließ. Dass dieser Winkel einmal die Augen und ein anderes Mal ein Kreuz betont, könnte in die Zeit der Renaissance passen, da sie Ratio, also den Verstand, symbolisiert durch die Augen und Emotio, d.h. das Gefühl, symbolisiert durch das Kreuz verbindet
  • Theologische Deutung: Da der 3,5°-Winkel zweimal bei den Damen und einmal bei Johannes auftritt, lässt sich auch eine religiöse Symbolik annehmen. In der Offenbarung des Johannes (nicht identisch mit dem Täufer) werden im  letzten Buch des Neuen Testaments mehrfach 42 Monate als symbolische Zeitspanne genannt – das entspricht 3,5 Jahren. Theologisch gilt dieser Zeitraum als Hälfte der Sieben, wobei die Sieben in der Bibel für Vollkommenheit steht (die Schöpfung in sieben Tagen). So entstehen zwei weibliche Porträts mit je einem horizontalen 3,5°-Winkel, denen ein männliches, geistliches Porträt gegenübersteht, das nur einen vertikalen 3,5°-Winkel zeigt.

Dies ist nur ein Beispiel unter vielen für die verborgene geometrische Mystik, die Leonardos Gemälde verbindet. Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach seiner Absicht zu versuchen, wäre angesichts der Vielschichtigkeit seines Denkens gewagt. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Leonardo seine Gemälde durch bewusst gesetzte geometrische Analogien miteinander verknüpfte.

System des Goldenen Schnitts in Leonardo Porträts

In seinen Porträts verwendete Leonardo den Goldenen Schnitt stets, um die Augen zu betonen. Er betrachtete sie als „Fenster der Seele“ und als Instrument der Erkenntnis – das Sehen galt ihm als die höchste Form des Verstehens. Bemerkenswert ist dabei eine bestimmte Art, in der Leonardo den Goldenen Schnitt für die Komposition seiner Porträts einsetzte. Es entsteht der Eindruck, dass er seine Porträts aufeinander aufbaute und über den Goldenen Schnitt hierarchisch strukturierte. Diese Hierarchie deckt sich auch mit der chronologischen Abfolge der Werke.

Dame mit dem Hermelin (digital bearbeitet), 1491
Der Goldene Schnitt trifft das rechte Auge des Hermelins exakt (untere orange Linie). Die Augen Cecilias hingegen werden verfehlt (obere orange Linie), ebenso verfehlt die Mittelsenkrechte ihr rechtes Auge knapp (rote vertikale Linie).
Die Augen des Hermelins und sein rechtes Ohr bilden ein nach unten gerichtetes gleichseitiges Dreieck mit den Winkeln 30°, 30° und 120° (grüne Linien). Die Länge seiner Basis entspricht der Differenz zwischen dem Goldenen Schnitt der Bildbreite und der halben Bildbreite – also weniger als ein Achtel der gesamten Bildbreite. Die Augen Cecilias werden zwar nicht betont, jedoch so knapp verfehlt (Augenlid und Augrand), dass dies als bewusstes Spiel mit dem Proportionsprinzip interpretiert werden kann. Das chronologisch erste Porträt ist hinsichtlich seiner Bildkonstruktion insgesamt am einfachsten aufgebaut
La Belle Ferronière (digital bearbeitet), Leonardo da Vinci, 1497
Das nachfolgende zweite Porträt der Mätresse Lucrezia Crivelli zeigt den Goldenen Schnitt, der durch das Kopfstück des Halsschmucks führt (untere orange Linie, linker hellblauer Punkt) – eines von sieben geknoteten Bändern, die auch ihre beiden Ärmel zieren. Wird der Major erneut im Goldenen Schnitt geteilt, trifft er das Stirnjuwel am titelgebenden Ferronière exakt.
Ihr linkes Auge befindet sich genau in der Bildmitte (rote vertikale Linie).
Die Knoten ihrer Schulterschleifen bilden dasselbe gleichseitige Dreieck, das bereits beim Hermelin links verwendet wurde (30°, 30° und 120°), nur ist es hier nach oben gerichtet. Die beiden kurzen Seiten haben eine Länge von genau 1/8 der Bildbreite. Das Dreieck ist hier im Verhältnis zum Bildformat deutlich größer als beim Hermelin. Der Goldene Schnitt betont nun nicht mehr die Augen, sondern den Schmuck, während die Bildmitte bereits die Pupille ihres linken Auges schneidet
Mona Lisa (digital bearbeitet), Leonardo da Vinci, 1503-1519
Das letzte Porträt Leonardos Lisa zeigt insgesamt die komplexesten geometrischen Beziehungen der drei zweifelsfrei echten Leonardo-Porträts.
Auch hier wird das linke Auge von der Mittelsenkrechten geschnitten (rote vertikale Linie). Der Goldene Schnitt befindet sich auf Höhe der kaum wahrnehmbar in den Bildausschnitt hineinragenden Säulenfüße. Wird der Major erneut geteilt, verläuft er exakt durch ihre beiden Augen (hellblaue Linien). Damit vereinen sich Goldener Schnitt und Bildmitte in der Augenpartie – die Komposition erreicht hier ihre größte Präzision und Geschlossenheit

In den geometrischen Beziehungen lässt sich eine klare Systematik erkennen: Von Werk zu Werk rücken Augen, Bildmitte und Goldener Schnitt einander näher. Bei der Dame mit dem Hermelin trifft der Goldene Schnitt nur die Augen des Tieres, bei der Belle Ferronière betont er den Schmuck, während die Bildmitte bereits ihr linkes Auge schneidet, und in der Mona Lisa, die keinen Schmuck mehr trägt und zugleich Leonardos letztes Porträt, fallen schließlich Bildmitte und Goldener Schnitt im linken Auge der Dargestellten zusammen. Beim Hermelin betonte der Goldene Schnitt noch beide Augen getrennt voneinader vertikal und horizontal, bei der Mona Lisa schließlich ist er auf den Horizont ausgerichtet und führt durch beide Augen. Eine Entwicklung, die mit der Dame mit dem Hermelin ihren Anfang nahm.

Ginevra de’ Benci (Vorderseite), Leonardo da Vinci zugeschrieben, datiert auf 1474–1478
Das Porträt wurde in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt, da eine fundierte Analyse der Bildkomposition – insbesondere ihrer geometrischen Symbolik – entgegen der gegenwärtigen Mehrheitsmeinung eine deutlich spätere Datierung (18. Jh.) zwingend nahelegt.
Für die Systematik des Goldenen Schnitts wurden daher nur die drei verbleibenden, zweifelsfrei echten Porträts Leonardos herangezogen
Ginevra de’ Benci (Rückseite)

Natur, wer erregt deinen Zorn, wer erregt deinen Neid?

Es ist Vinci, der einen eurer Sterne gemalt hat!
Cecilia, die heute so schön ist, ist diejenige.
Neben deren schönen Augen die Sonne wie ein dunkler Schatten erscheint.

Alle Ehre dir, auch wenn in seinem Bild
Sie zu hören und nicht zu reden scheint.
Denke nur, je lebendiger und schöner sie ist,
desto größer wird ihr Ruhm in künftigen Zeiten sein.
Sei also Ludovico dankbar, oder vielmehr
Dem Talent und der Hand Leonardos
Die euch erlaubt, Teil der Nachwelt zu sein.
Jeder, der sie sieht - auch wenn es zu spät ist
Um sie lebendig zu sehen - wird sagen: das genügt uns
Zu verstehen, was Natur und was Kunst ist.

Antonio Tebaldeo (1463-1537) Erzieher der Isabella d’Este, Markgräfin von Mantua und Schwägerin des Mailänder Herzogs

Literatur

Website des ausstellenden Museums: Czartoryski Muzeum, Krakau

Frank Zöllner, Leonardo, Taschen (2019)

Frank Zöllner/ Johannes Nathan, Leonardo da Vinci - Sämtliche Zeichnungen, Taschen (2019)

Martin Kemp, Leonardo, C.H. Beck (2008)

Charles Niccholl, Leonardo da Vinci: Die Biographie, Fischer (2019)

Johannes Itten, Bildanalysen, Ravensburger (1988)

Besonders empfehlenswert

Marianne Schneider, Das große Leonardo Buch – Sein Leben und Werk in Zeugnissen, Selbstzeugnissen und Dokumenten, Schirmer/ Mosel (2019)

Leonardo da Vinci, Schriften zur Malerei und sämtliche Gemälde, Schirmer/ Mosel (2011)