Der Osterspaziergang von Johann Wolfgang von Goethe

Mit diesem grandiosen Gedicht aus seinem Hauptwerk "Faust" beweist Johann Wolfgang von Goethe bildgewaltig, warum er zu den größten deutschen Dichtern zählt. Das besondere an Goethes Gedicht "Osterspaziergang" ist sicherlich seine ewige Gültigkeit. Denn das ist immer wahr: Doktor Faust kann jedes Jahr aufs Neue am Ostersonntag in die Hügel über der Stadt spazieren gehen und er wird jedes Jahr dasselbe sehen: Eine erwachende Natur. Sonnenschein, erblühendes Grün und fröhlich spazierende Menschen. Dr. Faust, der so enthusiastisch über den Frühlingsanfang sprechen kann, hat in seiner Dichtung diesen magischen Moment – nach allgemeiner Lesart – wohl am besten eingefangen.
Neben seinen dichterischen Werken tat sich Johann Wolfgang von Goethe auch in der Kunsttheorie hervor und versuchte in Kenntnis des "Traktats von der Malerei" von Leonardo da Vinci eine eigene Farbenlehre zu entwickeln.

Das berühmte Gemälde Goethe in der Campagna zeugt von seiner Begeisterung für die Malerei. Der beinah scherzhaft auf das fehlende rechte Bein verweisende Zeigefinger der rechten Hand Goethes weist auf den Umstand hin, dass Goethe hier zwei linke Füße gemalt bekommen hat. Durch diese Irritation erlangte das Gemälde eine gewisse Aufmerksamkeit. Eventuell handelt es sich aber auch um eine fehlerhafte Bildkomposition des Malers Tischbein.

Goethe in der Campagna, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

Goethe in der Campagna
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1787
Öl auf Leinwand, 206 × 164cm
Städel Museum, Frankfurt am Main

Aus: Faust – Der Tragödie erster Teil

Osterspaziergang, 1808, Johann Wolfgang von Goethe

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluss in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Nobody is perfect - das gilt auch für nicofranz.art!

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