Unabhängigkeitserklärung, John Trumbull, 1819

Benjamin Franklin: Der Weg zum Reichtum (The Way to Wealth)

Wer war Benjamin Franklin?

Benjamin Franklin (1706-1790) war gebürtiger Amerikaner und einer der Gründerväter der USA. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten trägt auch seine Unterschrift. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, begann als Drucker und wurde später ein erfolgreicher Verleger und Unternehmer. Schließlich engagierte er sich verstärkt politisch und kämpfte für die Unabhängigkeit der USA. Am Vorabend der französischen Revolution war er als Diplomat in Frankreich erfolgreich und erreichte die politische Anerkennung der Vereinigten Staaten durch Frankreich. Neben seiner politischen Tätigkeit war er auch als Naturwissenschaftler bekannt und erfand unter anderem den Blitzableiter. Franklin ist ein frühes Symbol des amerikanischen Traums. Sein Porträt ziert die höchste Dollar-Note, den 100-Dollar-Schein.

Wie entstand Franklins Text?

Mit Beginn seiner unternehmerischen Tätigkeiten begann Franklin zunächst anonym den “Poor Richard’s Almanack” herauszugeben. Diese, in den amerikanischen Kolonien sehr beliebte Spruchsammlung, stammt von der fiktiven Figur Richard Saunders, genannt “Poor Richard” (engl. 'armer Richard'), die auf unterhaltsame und humorvolle Weise über ihr Leben berichtet. Viele Sprüche daraus wurden zu bekannten amerikanischen Redewendungen, wie zum Beispiel: „Early to bed and early to rise, makes a man healthy, wealthy and wise“ (engl. ‘Früh ins Bett und früh heraus, macht einen gesunden, wohlhabenden und weisen Manne aus’) oder "no pain, no gain" (engl. etwa 'Ohne Mühe kein Erfolg'). Die beliebtesten dieser Sprüche fasste Franklin 1758 in seinem bis heute bekannten Werk “The Way to Wealth” zusammen und stellte sie in den Rahmen einer Predigt von Vater Abraham. Der Milliardär Charles T. Munger, langjähriger Geschäftspartner der Investmentlegende Warren Buffett, veröffentlichte in Anlehnung an Franklins Text das Buch “Poor Charlie’s Almanack: The Wit and Wisdom of Charles T. Munger” (2005).

 

Diese Lehre, meine Freunde, ist Vernunft und Weisheit.

Benjamin Franklin in "Der Weg zum Reichtum"

Der Weg zum Reichtum

Die vorliegende Übersetzung basiert vollständig auf dem Originaltext aus dem Jahr 1758. Dieser Text wurde der Sammlung “The Works of Benjamin Franklin, herausgegeben von Jared Sparks, Band 2” (Boston, 1836), Seiten 92–103, entnommen. Zur Verbesserung der Lesbarkeit und der Orientierung im Text wurden sechs thematische Überschriften eingefügt. Der Originaltext ist in seiner englischen Fassung auf der entsprechenden Sprachversion dieser Seite zugänglich. Der Eigenname “Poor Richard” bzw. "Poor Dick" wurde unverändert beibehalten.

Prolog

Verehrter Leser,

Ich habe gehört, dass einem Autor nichts mehr Freude bereitet, als seine Werke respektvoll von anderen gelehrten Autoren zitiert zu sehen. Diese Freude habe ich selten erfahren. Denn obwohl ich, wenn ich es ohne Eitelkeit sagen darf, ein bedeutender Autor von jährlichen Almanachen bin, und zwar nun schon ein volles Vierteljahrhundert lang, sind meine Brüder-Autoren auf gleiche Weise, aus welchem Grund weiß ich nicht, stets sehr sparsam mit ihren Applaus gewesen. Und kein anderer Autor hat je das Geringste von mir bemerkt, sodass, hätten meine Schriften mir nicht den ein oder anderen festen Pudding eingebracht, der große Mangel an Lob mich völlig entmutigt hätte.

Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass das Volk der beste Richter meines Verdienstes sei, denn sie kaufen meine Werke. Außerdem habe ich auf meinen Streifzügen, wo ich nicht persönlich bekannt bin, häufig das eine oder andere meiner Sprichwörter wiederholt gehört, mit “wie es Poor Richard sagt” am Ende. Dies gab mir etwas Zufriedenheit, da es nicht nur zeigte, dass meine Lehren beachtet wurden, sondern auch etwas Respekt vor meiner Autorität offenbarte. Und ich gestehe, dass ich, um die Praxis des Erinnerns und Wiederholens dieser weisen Sätze zu fördern, manchmal mich selbst mit großer Ernsthaftigkeit1 zitiert habe.

Überlege nun, wie sehr ich mich über ein Ereignis gefreut haben muss, das ich nun mit dir in Beziehung setzen werde. Neulich hielt ich mein Pferd an, wo sich eine große Anzahl von Leuten bei einer Auktion von Handelswaren versammelt hatte. Da die Verkaufszeit noch nicht gekommen war, unterhielten sie sich über die schlechten Zeiten, und einer aus der Gesellschaft rief einem einfachen, sauberen alten Mann mit weißen Locken zu: „Vater Abraham, was hältst du von den Zeiten? Werden diese hohen Steuern das Land nicht völlig ruinieren? Wie sollen wir sie jemals bezahlen können? Was würdest du uns raten?“ Vater Abraham stand auf und antwortete: „Wenn ihr meinen Rat haben wollt, gebe ich ihn euch kurz, denn ein Wort für den Weisen genügt, und viele Worte füllen keinen Scheffel, wie Poor Richard sagt.“ Sie kamen hinzu, erfüllt vom Wunsch, ihn seine Gedanken teilen zu lassen und umringten ihn, woraufhin er wie folgt fortfuhr:

I Fleiß

„Freunde“, sagt er, „und Nachbarn, die Steuern sind in der Tat sehr hoch, und wenn die von der Regierung erhobenen die einzigen wären, die wir zu zahlen hätten, könnten wir sie leichter begleichen. Aber wir haben viele andere, und viel schwerwiegendere für einige von uns. Wir werden doppelt so viel durch unsere Trägheit besteuert, dreimal so viel durch unseren Stolz und viermal so viel durch unsere Torheit, und von diesen Steuern können uns die Beauftragten nicht entlasten oder befreien, indem sie eine Ermäßigung gewähren. Doch lasst uns auf guten Rat hören, und es könnte etwas für uns getan werden. Gott hilft denen, die sich selbst helfen, wie Poor Richard in seinem Almanach von 1733 sagt.“

Es würde als harte Regierung betrachtet werden, die ihr Volk um ein Zehntel seiner Zeit besteuert, um es in ihren Dienst zu stellen. Aber die Trägheit besteuert viele von uns viel mehr, wenn wir all das mitrechnen, was in absoluter Faulheit oder im Nichtstun verbracht wird, sowie das, was in nutzlosen Beschäftigungen oder Amüsementen vergeudet wird, die zu nichts führen. Faulheit, indem sie Krankheiten herbeiführt, verkürzt das Leben absolut. Faulheit, wie Rost, verzehrt schneller, als Arbeit abnutzt, während der benutzte Schlüssel immer glänzt, wie Poor Richard sagt. Aber liebst du das Leben, dann verschwende keine Zeit, denn davon ist das Leben gemacht, wie Poor Richard sagt. Wie viel mehr als nötig verbringen wir im Schlaf!

Vergessend, dass der schlafende Fuchs keine Hühner fängt, und dass es im Grab genug Schlaf geben wird, wie Poor Richard sagt. Wenn Zeit von allen Dingen das wertvollste ist, muss Zeitverschwendung, wie Poor Richard sagt, die größte Verschwendung sein, da, wie er uns an anderer Stelle sagt, verlorene Zeit nie wiedergefunden wird, und was wir „genug Zeit“ nennen, sich immer als zu wenig herausstellt: Lasst uns also aufstehen und handeln, und das zielgerichtet, durch Fleiß werden wir mehr tun mit weniger Verwirrung. Faulheit macht alles schwierig, aber Fleiß ["industry"] macht alles leicht, wie Poor Richard sagt. Und wer spät aufsteht, muss den ganzen Tag eilen und wird seine Angelegenheiten abends kaum einholen. Während die Faulheit so langsam reist, dass die Armut ihn bald einholt, wie wir im Poor Richard lesen, der hinzufügt: „Führe dein Geschäft, lass nicht zu, dass es dich führt“. Und „früh ins Bett, früh aufstehen, macht einen Mann gesund, reich und weise ["early to bed, and early to rise, makes a man healthy, wealthy and wise"]."

Was nützen also Wünsche und Hoffnungen auf bessere Zeiten? Wir können diese Zeiten besser machen, wenn wir uns anstrengen. Fleiß muss nicht wünschen, wie Poor Richard sagt, und wer von Hoffnung lebt, wird hungernd sterben. Es gibt keinen Gewinn ohne Mühe [no gains, without pains], also helft mit, denn ich habe kein Land, oder wenn ich es habe, ist es geschickt besteuert. Und wie Poor Richard ebenfalls bemerkt, wer ein Gewerbe hat, hat ein Vermögen, und wer berufen wurde, hat ein Amt von Nutzen und Ehre, aber das Gewerbe muss auch ausgeübt werden, und die Berufung [das Amt] gut verfolgt, sonst wird weder das Vermögen noch das Amt uns in die Lage versetzen, unsere Steuern zu zahlen.

Wenn wir fleißig sind, werden wir nie verhungern. Denn, wie Poor Richard sagt, beim Haus des arbeitenden Mannes sieht der Hunger hinein, aber wagt nicht einzutreten. Ebenso wird der Gerichtsvollzieher oder der Polizist nicht eintreten, denn Fleiß zahlt Schulden, während Verzweiflung sie vergrößert, sagt Poor Richard. Was, wenn du keinen Schatz gefunden hast, noch dir ein reicher Verwandter ein Erbe hinterlassen hat? Emsigkeit ist die Mutter des guten Glücks, wie Poor Richard sagt, und Gott gibt alles dem Fleiß. Dann pflüge tief, während die Faulen schlafen, und du wirst Korn haben, um es zu verkaufen und zu behalten, sagt Poor Dick2. Arbeite, solange es heute heißt, denn du weißt nicht, wie sehr du morgen behindert werden könntest, was Poor Richard sagen lässt: Ein heute ist mehr wert als zwei morgen [one today is worth two tomorrows] und weiter: Hast du etwas für morgen zu tun, tue es heute.

Wenn du ein Diener wärst, würdest du dich nicht schämen, dass ein guter Meister dich in Trägheit erwischt? Bist du dann dein eigener Meister, schäme dich, dich selbst in Trägheit zu erwischen, wie Poor Dick sagt. Wenn so viel für dich, deine Familie, dein Land und deinen gnädigen König3 zu tun ist, steh beim ersten Anzeichen des Tages auf. Lass die Sonne nicht herabsehen und sagen: „Ruhmlos liegt er hier.“ Benutze deine Werkzeuge ohne Fausthandschuhe. Erinnere dich daran, dass die Katze in Handschuhen keine Mäuse fängt, wie Poor Richard sagt. Es ist wahr, dass viel zu tun ist, und vielleicht bist du schwach in der Hand, aber halte durch, und du wirst große Ergebnisse sehen, denn steter Tropfen höhlt den Stein, und durch Emsigkeit und Geduld biss die Maus das Seil in zwei Hälften. Und kleine Schläge fällen große Eichen, wie Poor Richard in seinem Almanach sagt, an das Jahr kann ich mich gerade nicht erinnern.

Mir scheint, ich höre einige von euch sagen: Darf ein Mensch sich denn gar keine Muße gönnen? Ich will denen sagen, mein Freund, was Poor Richard sagt: Nutze deine Zeit gut, wenn du vorhast, dir Muße zu verschaffen. Und da du dir keiner Minute sicher sein kannst, wirf keine Stunde weg. Muße ist Zeit, um etwas Nützliches zu tun. Diese Muße wird der Fleißige erlangen, aber der Faule niemals. Sodass, wie Poor Richard sagt, ein Leben voller Muße und ein Leben voller Faulheit zwei verschiedene Dinge sind. Glaubst du, dass dir Faulheit mehr Komfort bietet als Arbeit? Nein, denn wie Poor Richard sagt: Ärger entspringt aus Trägheit, und schwere Arbeit aus unnötiger Bequemlichkeit. Viele ohne Arbeit möchten allein von ihrem Verstand leben, doch scheitern sie an fehlendem Kapital4. Sowie Fleiß Komfort, Überfluss und Respekt bringt: Meide Vergnügungen, und sie werden dir folgen. Der emsige Spinner hat ein großes Hemd, und jetzt, da ich ein Schaf und eine Kuh habe, wünscht mir jeder Guten Tag, was alles gut von Poor Richard gesagt ist.

Doch neben unserem Fleiß müssen wir auch standhaft, bodenständig und sorgsam sein und unsere eigenen Angelegenheiten mit unseren eigenen Augen überwachen, anstatt anderen zu viel zu vertrauen. Denn, wie Poor Richard sagt: Ich sah niemals einen oft verpflanzten Baum, noch eine oft versetzte Familie, die so gut gedieh wie jene, die sesshaft blieb.

Und weiter: Drei Umzüge sind so schlimm wie ein Feuer.
Und weiter: Kümmere dich um deinen Laden, und dein Laden wird sich um dich kümmern.
Und weiter: Wenn du deine Angelegenheiten geregelt haben willst, geh; wenn nicht: schick.
Und weiter: Wer durch den Pflug gedeihen will, muss ihn entweder selbst halten oder führen.
Und weiter: Das Auge eines Meisters leistet mehr als beide seine Hände.
Und weiter: Mangel an Sorgfalt fügt uns mehr Schaden zu als Mangel an Wissen.
Und weiter: Arbeiter nicht zu überwachen, heißt, ihnen deine Geldbörse offenzulassen.

Zu viel auf die Sorgfalt anderer zu vertrauen, ist der Ruin vieler. Denn, wie der Almanach sagt: In den Angelegenheiten dieser Welt werden Menschen nicht durch Glauben gerettet, sondern durch den Mangel daran. Doch die eigene Sorgfalt ist gewinnbringend, denn, sagt Poor Dick: Wissen gehört den Wissbegierigen, Reichtum den Sorgsamen, Macht den Kühnen und der Himmel den Tugendhaften. Und weiter: Wenn du einen treuen Diener haben willst, der dir gefällt, diene dir selbst. Und weiter rät er zu Umsicht und Sorgfalt, selbst bei den kleinsten Dingen, denn manchmal kann eine kleine Nachlässigkeit großes Unheil anrichten. Er fügt hinzu: "Wegen eines fehlenden Nagels ging der Huf verloren, wegen eines fehlenden Hufs ging das Pferd verloren, und wegen eines fehlenden Pferdes ging der Reiter verloren, eingeholt und erschlagen vom Feind – alles nur wegen der Nachlässigkeit bei einem Hufnagel.

II Sparsamkeit

So viel zum Fleiß, meine Freunde, und zur Aufmerksamkeit gegenüber den eigenen Angelegenheiten. Doch zu diesen müssen wir Sparsamkeit [frugality] hinzufügen, wenn wir unseren Fleiß sicherer zum Erfolg führen wollen. Ein Mann, der nicht weiß, wie er sparen soll, während er verdient, mag sein Leben lang seine Nase am Schleifstein halten und am Ende keinen Groschen wert sein. Eine fette Küche macht ein mageres Testament, wie Poor Richard sagt. Und: Viele Vermögen werden beim Erwerb vergeudet, seit Frauen für Tee das Spinnen und Stricken aufgaben und Männer für Punsch das Hacken und Spalten.

Wenn du reich sein willst, sagt er in einem anderen Almanach, denke ans Sparen ebenso wie ans Verdienen: Westindien hat Spanien nicht reich gemacht, weil ihre Ausgaben größer waren als ihre Einnahmen. Weg also mit euren kostspieligen Torheiten, und ihr werdet nicht so viel Grund haben, euch über schlechte Zeiten, hohe Steuern und kostspielige Familien zu beklagen. Denn, wie Poor Dick sagt: Frauen und Wein, Spiel und Betrug machen das Vermögen klein und die Nöte groß. Und weiter: Was ein Laster unterhält, könnte zwei Kinder aufziehen. Vielleicht denkt ihr, dass ein wenig Tee oder ein wenig Punsch hin und wieder, eine etwas teurere Mahlzeit, etwas feinere Kleidung und ein wenig Unterhaltung ab und zu keine große Sache seien. Aber denkt daran, was Poor Richard sagt: Viele kleine machen ein Großes [many a little makes a mickle]. Und weiter: Hüte dich vor kleinen Ausgaben. Ein kleines Leck kann ein großes Schiff zum Sinken bringen. Und wieder: Wer Leckereien liebt, wird sich als Bettler erweisen. Und darüber hinaus: Narren machen Festmahle, und weise Männer essen sie.

Hier seid ihr nun alle zusammengekommen bei dieser Auktion von Feinheiten und Krimskrams. Ihr nennt sie Waren, aber wenn ihr nicht aufpasst, werden sie sich für einige von euch als Übel erweisen. Ihr erwartet, dass sie billig verkauft werden, und vielleicht werden sie das auch, für weniger, als sie gekostet haben. Aber wenn ihr keinen Bedarf habt für sie, sind sie teuer für euch. Denkt daran, was Poor Richard sagt: Kaufe, was du nicht brauchst, und schon bald wirst du dein Nötigstes verkaufen.

Und weiter: Bei einem großen Schnäppchen halte kurz inne. Er meint, dass der günstige Preis vielleicht nur scheinbar und nicht echt ist. Oder das Schnäppchen könnte, indem es dich in deinem Geschäft einschränkt, dir mehr schaden als nützen. Denn an anderer Stelle sagt er: Viele sind durch den Kauf günstiger Angebote ruiniert worden. Wieder sagt Poor Richard: Es ist töricht, unser Geld für den Kauf von Reue auszugeben. Und dennoch wird diese Torheit jeden Tag bei Auktionen praktiziert, weil man nicht auf den Almanach achtet. Weise Männer, wie Poor Dick sagt, lernen aus den Schäden anderer, Narren kaum aus ihren eigenen, aber: Felix quem faciunt aliena pericula cautum [lat. “Glücklich, wen fremde Gefahren klug machen”].

Viele haben, um der feinen Kleidung willen, mit leerem Magen gelebt und ihre Familien halb verhungern lassen. Seiden und Satins, Scharlach und Samte, wie Poor Richard sagt, lassen das Küchenfeuer erlöschen. Das sind nicht die Notwendigkeiten des Lebens, sie können kaum Bequemlichkeiten genannt werden. Und nur weil sie hübsch aussehen, wollen sie unzählige haben. Die künstlichen Bedürfnisse der Menschheit werden so zahlreicher als die natürlichen. Und wie Poor Dick sagt: Auf einen armen Menschen kommen hundert Notleidende. Durch diese und andere Verschwendungen werden die Vornehmen in die Armut getrieben und gezwungen, bei denen zu leihen, die sie einst verachtet haben, die aber durch Fleiß und Sparsamkeit ihren Stand gehalten haben. In einem solchen Fall zeigt sich deutlich, dass ein Pflüger auf seinen Beinen höher steht als ein Herr auf seinen Knien, wie Poor Richard sagt.

Vielleicht wurde ihnen ein kleines Vermögen hinterlassen, von dem sie nicht wussten, wie es erworben wurde. Sie glauben, es sei immer Tag und werde nie Nacht. Dass ein bisschen Ausgaben aus so viel nicht ins Gewicht fällt (ein Kind und ein Narr, wie Poor Richard sagt, glauben, zwanzig Schillinge und zwanzig Jahre könnten nie aufgebraucht werden). Aber immer nur aus dem Mehlsack zu nehmen und nichts hineinzutun, führt bald zum Boden. Dann, wie Poor Dick sagt: Wenn der Brunnen trocken ist, kennen sie den Wert des Wassers. Aber das hätten sie schon vorher wissen können, wenn sie seinen Rat befolgt hätten: Wenn du den Wert von Geld kennenlernen willst, versuche, etwas zu leihen. Denn, wer leihen geht, geht mit Sorgen ["he that goes a borrowing goes a sorrowing"], und in der Tat tut das auch derjenige, der solchen Leuten leiht, wenn er versucht, es wiederzubekommen.

Poor Dick rät weiter und sagt: Die törichte Eitelkeit der Kleidung ist gewiss ein Fluch. Bevor du deinen Geschmack befragst, befrage deinen Geldbeutel. Und weiter: Stolz ist ein ebenso lauter Bettler wie Mangel und dazu noch viel frecher. Wenn du eine schöne Sache gekauft hast, musst du zehn weitere kaufen, damit dein Aussehen stimmig bleibt. Aber Poor Dick sagt: Es ist leichter, den ersten Wunsch zu unterdrücken, als all die folgenden zu befriedigen. Und es ist genauso töricht, dass die Armen die Reichen nachäffen, wie der Frosch sich aufbläst, um dem Ochsen gleichzukommen. Große Vermögen können mehr riskieren, doch kleine Boote sollten in Ufernähe bleiben [Great estates may venture more, but little boats should keep near shore]. Es ist jedoch eine Torheit, die bald bestraft wird. Denn Stolz, der sich aus Eitelkeit speist, endet mit Verachtung, wie Poor Richard sagt. Und an anderer Stelle: Der Stolz frühstückte mit Überfluss, dinierte5 mit Armut und aß abends mit Schande. Und schließlich: Was nützt dieser Stolz auf die Erscheinung, für den so viel riskiert und so viel gelitten wird? Er fördert weder die Gesundheit, noch lindert er Schmerzen. Er erhöht nicht den Wert der Person, er erzeugt Neid und beschleunigt das Unglück. Was ist ein Schmetterling? Im besten Fall ist er nur eine Raupe in feinem Kleid. Der schillernde Geck ist nur sein Ebenbild, wie Poor Richard sagt.

III Schulden

Aber was für ein Wahnsinn muss es sein, in Schulden [debts] zu geraten für diese Überflüssigkeiten! Uns wird bei den Bedingungen dieser Auktion ein Kredit von sechs Monaten angeboten, und das hat vielleicht einige von uns dazu verleitet, daran teilzunehmen, weil wir kein Bargeld entbehren können und hoffen jetzt, ohne es auszukommen. Aber, ach, denkt darüber nach, was ihr tut, wenn ihr Schulden macht: Ihr gebt einem anderen Macht über eure Freiheit. Wenn ihr nicht rechtzeitig zahlen könnt, werdet ihr euch schämen, euren Gläubiger zu sehen. Ihr werdet Angst haben, mit ihm zu sprechen, ihr werdet armselige, erbärmliche Entschuldigungen vorbringen und schrittweise eure Wahrhaftigkeit verlieren und in gemeines, unverhohlenes Lügen verfallen. Denn, wie Poor Richard sagt: Das zweite Laster ist das Lügen, das erste ist das Schulden machen.

Und wieder mit der gleichen Absicht: Lügen reiten auf dem Rücken der Schulden. Ein freigeborener Engländer3 sollte sich jedoch weder schämen noch fürchten, irgendeinen lebenden Menschen zu sehen oder mit ihm zu sprechen. Aber Armut entzieht einem Mann oft all seinen Lebensgeist und seine Tugend: Ein leerer Beutel kann schwer aufrecht stehen, wie Poor Richard wahrhaftig sagt.

Was würdet ihr von jenem Fürsten oder jener Regierung halten, die ein Edikt erlassen würde, das euch verbietet, euch wie ein Gentleman oder eine Dame zu kleiden, unter Androhung von Gefängnis oder Knechtschaft? Würdet ihr nicht sagen, dass ihr frei seid, das Recht habt, euch zu kleiden, wie es euch gefällt, und dass ein solches Edikt eure Rechte verletzen und eine solche Regierung tyrannisch wäre? Und doch seid ihr im Begriff, euch selbst dieser Tyrannei zu unterwerfen, wenn ihr Schulden für solche Kleidung macht! Euer Gläubiger hat die Autorität, euch nach Belieben eurer Freiheit zu berauben, indem er euch lebenslang ins Gefängnis steckt oder euch als Diener verkauft, falls ihr ihn nicht bezahlen könnt!

Wenn ihr euer Schnäppchen gemacht habt, denkt ihr vielleicht wenig an die Zahlung. Aber Gläubiger, so sagt uns Poor Richard, haben ein besseres Gedächtnis als Schuldner, und an anderer Stelle sagt er: Gläubiger sind eine abergläubische Sekte, große Beobachter festgelegter Tage und Zeiten. Der Tag kommt schneller, als ihr es erwartet, und die Forderung wird gestellt, bevor ihr darauf vorbereitet seid, sie zu erfüllen. Oder wenn ihr eure Schuld im Kopf behaltet, wird die Frist, die anfangs so lang schien, immer kürzer erscheinen, je näher sie rückt. Die Zeit wird euch vorkommen, als hätte sie Flügel an ihren Fersen ebenso wie an ihren Schultern. Diejenigen, die Geld schulden, das zu Ostern bezahlt werden muss, haben, wie Poor Richard sagt, eine kurze Fastenzeit. Also, da, wie er sagt, der Leiher ein Sklave des Verleihers ist und der Schuldner der des Gläubigers, verachtet die Kette, bewahrt eure Freiheit und wahrt eure Unabhängigkeit: Seid fleißig und frei, seid sparsam und frei.

Gegenwärtig mag es euch vielleicht so vorkommen, als seid ihr in blühenden Verhältnissen und könntet euch ein wenig Extravaganz leisten, ohne Schaden zu nehmen. Aber: Für Alter und Not, spare, solange du kannst. Keine Morgensonne hält den ganzen Tag, wie Poor Richard sagt. Gewinn mag vorübergehend und ungewiss sein, aber Ausgaben sind ständig und sicher, solange ihr lebt. Und es ist einfacher, zwei Schornsteine zu bauen, als einen mit Brennstoff zu versorgen, wie Poor Richard sagt. Also geht lieber hungrig ins Bett, als verschuldet aufzuwachen." Nimm, was du bekommen kannst, und halte fest, was du hast. Das ist der Stein, der all dein Blei in Gold verwandeln wird, wie Poor Richard sagt. Und wenn du den Stein der Weisen gefunden hast, wirst du dich sicher nicht mehr über schlechte Zeiten beklagen oder die Schwierigkeit, Steuern zu zahlen.

IV Demut

Diese Lehre, meine Freunde, ist Vernunft und Weisheit. Aber trotz allem, verlasst euch nicht zu sehr auf euren eigenen Fleiß, eure Sparsamkeit und eure Klugheit, obwohl das hervorragende Dinge sind, denn sie können alle zunichte gemacht werden ohne den Segen des Himmels. Darum bittet demütig [humbly] um diesen Segen und seid nicht hartherzig gegenüber denen, die ihn derzeit zu brauchen scheinen, sondern tröstet und helft ihnen. Denkt daran, dass Hiob6 litt und später wohlhabend wurde.

Und nun zum Schluss: Die Erfahrung ist eine teure Schule, doch Narren lernen in keiner anderen und kaum einmal in dieser. Denn es ist wahr, wir können Ratschläge geben, aber wir können keine Anleitung geben, wie Poor Richard sagt. Denkt jedoch daran: Denjenigen, die sich nicht beraten lassen wollen, kann nicht geholfen werden, wie Poor Richard sagt. Und weiter: Wenn du nicht auf die Vernunft hören willst, wird sie dir sicher auf die Finger klopfen.

Epilog

So beendete der alte Herr seine lange Ansprache. Die Leute hörten zu und stimmten der Lehre zu, handelten aber sofort im Gegenteil, als wäre es eine gewöhnliche Predigt gewesen, als die Auktion begann, und sie begannen extravagant zu kaufen, trotz aller Warnungen und ihrer eigenen Angst vor Steuern. Ich stellte fest, dass der gute Mann meine Almanache gründlich studiert und alles aufgenommen hatte, was ich zu diesen Themen im Laufe von fünfundzwanzig Jahren geäußert hatte. Die häufige Erwähnung meiner Person hätte jeden anderen ermüdet, aber meine Eitelkeit war darüber wunderbar erfreut, obwohl ich mir bewusst war, dass nicht ein Zehntel der Weisheit, die er mir zuschrieb, wirklich meine eigene war, sondern vielmehr die, die ich als Überbleibsel der Weisheit aller Zeiten und Nationen gesammelt hatte. Wie dem auch sei, ich beschloss, durch das Echo davon besser zu werden.

Und obwohl ich ursprünglich entschlossen war, Stoff für einen neuen Mantel zu kaufen, ging ich weg mit dem Entschluss, meinen alten noch ein wenig länger zu tragen. Leser, wenn du das Gleiche tust, wird dein Gewinn genauso groß sein wie meiner.

Ich bin, wie stets, der Deine, um dir zu dienen,
Richard Saunders


1 im Original: “gravitiy” ("Ernsthaftigkeit", aber auch “Schwerkraft”)

2 “Dick” ist im Englischen die Kurzform von Richard

3 1758, zum Zeitpunkt der Entstehung des Textes waren die späteren USA noch eine Kolonie des englischen Königs

4 im Original: “stock” ("Bestand, Vorrat"). Die Verwendung des Wortes in diesem Zusammenhang ist doppeldeutig. Neben der Bedeutung “Mangel an Vorräten” könnte es auch im übertragenen Sinne als “Mangel an Verstand” interpretiert werden

5 im Original: "breakfasted with plenty, dined with poverty, and supped with infamy" In früheren Zeiten war „dining“ oft die Hauptmahlzeit des Tages, die am Mittag oder frühen Nachmittag serviert wurde. Das „Supper“ hingegen bezeichnet im Englischen traditionell eine leichte Abendmahlzeit

6 Hiob ist eine biblische Figur aus dem Alten Testament, bekannt für seine Geduld und Glaubensfestigkeit. Im Buch Hiob wird geschildert, wie er schweres Leid erträgt und schließlich von Gott mit Wohlstand und Glück belohnt wird

Die Leute hörten es und stimmten der Lehre zu, handelten aber sofort im Gegenteil, als wäre es eine gewöhnliche Predigt gewesen

Benjamin Franklin in "Der Weg zum Reichtum"

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